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»Gut. Wo du gerade dabei bist, überprüf einen gewissen Josef Pe- cek. Arbeitet hier als Techniker. Kollege von Clohessy.«

Bär griff mit der Linken nach seinen Zigaretten und mit der Rechten zum Telefon.

WAGNER

Als sie um Viertel nach elf die Augen öffnete, hatten ihre Kopfschmerzen nachgelassen. Dafür war ihre Zunge so trocken, dass sie Mühe hatte, sie vom Gaumen zu lösen.

»Guten Morgen«, sagte O’Connor irgendwo hinter ihr.

Sie strich sich das Haar aus der Stirn und zwinkerte. Vor ihr stand eine halb volle Tasse Kaffee.

»Wie lange habe ich geschlafen?«

»Nicht lange. Eine halbe Stunde. Wir haben Frühstück bestellt, und mittendrin bist du an meine Brust gesunken. Was ich grundsätzlich sehr begrüße.«

»Meine Güte«, stöhnte sie. »Die letzte Nacht. Wessen Idee war es bloß wieder, die verdammte Flasche mit nach oben zu nehmen?«

»Deine«, sagte O’Connor.

»Im Ernst?«

»Ich schätze, du hältst es für protokollarisch unabwendbar, in meiner Gesellschaft Alkohol zu trinken, und ich wollte dich nicht blamieren. Möchtest du einen frischen Kaffee?«

Wagner setzte sich auf und gähnte. Sie saßen im Speisesaal des Holiday Inn. Abgesehen von einem älteren Mann einige Tische weiter schienen sie die einzigen Gäste zu sein. Ein Kellner ging geräuschlos über den weichen Teppichboden. Er schenkte ihnen keine Beachtung.

Kuhn!

Wie hatte sie schlafen können? Es wäre besser gewesen, sie hätte nachgedacht!

»Vergiss den Kaffee«, sagte sie. »Wir müssen rüber aufs Revier.«

»Was willst du da? Lavallier wollte uns abholen, soweit ich mich erinnere. Denk lieber nach, was Kuhn Komisches gesagt hat.«

»Es… fällt mir nicht ein.« Natürlich war ihr nichts eingefallen. Sie hatte geschlafen. Ein fürchterlich schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit. »Und dir? Ist dir was eingefallen?«

»Wegen der SMS?« O’Connor schüttelte den Kopf. »Der Tag wird kommen.«

»Falls wir überhaupt noch Zeit haben«, sagte sie mutlos.

Im selben Moment kam ihr ein Fetzen des Gesprächs mit Kuhn in den Sinn. Sie versuchte daran festzuhalten, weitere Erinnerungen herbeizurufen. Bruchstücke reihten sich aneinander. Plötzlich wusste sie, dass der Lektor gegen Ende des Telefonats etwas Merkwürdiges gesagt hatte. Etwas, das keinen rechten Sinn ergab.

O’Connor beobachtete sie von der Seite.

»Hast du–«

Sie schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.

Da war es!

»Wir müssen rüber«, sagte sie und wandte ihm ihr Gesicht zu. »Ich erinnere mich wieder!«

»Und?«

Tränen stiegen ihr in die Augen. O’Connor sah, was los war, und schlang die Arme um sie. Wagner zitterte. Sie presste sich in ihn hinein und fragte sich, warum der wunderbaren Nacht nicht ein ebensolcher Morgen hatte folgen können.

»Liam.«

»Mhm.«

»Ich habe Angst.«

O’Connor drückte sie fester an sich.

»Das ist schon in Ordnung«, sagte er. »Wie sehr ich dich beneide.«

SPEDITION

»Du bist also entführt worden«, sagte die Frau etwas zu ruhig.

Kuhn starrte sie verständnislos an.

Sie schien in sich hineinzuhorchen.

Dann holte sie plötzlich aus und schlug ihn mit dem Handrücken ins Gesicht. Der Lektor heulte auf und zerrte an seinen Handschellen.

»Was hast du verschwiegen?«

»Ich habe nichts verschwiegen. Ich schwör’s!«

Ein zweiter Schlag traf hart sein Nasenbein. Blut schoss heraus. Er duckte sich und versuchte, sich auf die andere Seite des Rohres zu retten. Sie kam ihm nach.

»Ich denke, du willst leben! Du Idiot! Willst du leben?«

»Ja!«

»Warum haben dich O’Connor und Wagner als vermisst gemeldet?«

»Ich weiß es nicht. Wir wollten .«

Ihre Faust fuhr klein und spitz in seinen Bauch, und er klappte gurgelnd zusammen und fiel auf die Knie. Sein Magen wollte sich umstülpen, aber es war nichts darin, nur Säure, die unvermittelt seine Speiseröhre hochschoss. Er würgte und hustete, während seine Gedanken sich überschlugen.

Einen Moment lang war er versucht, ihr von der SMS zu erzählen.

Aber dann würde sie ihn töten. Was sollte sie noch mit ihm, wenn sie annehmen musste, dass das Märchen von der außerplanmäßigen Verlagsreise aufgeflogen war?

»Warum?«

Kuhn japste nach Luft. Nie zuvor war er so gedemütigt und erniedrigt worden. Mit einem Mal fühlte er, wie sich Wut zu seiner Angst gesellte, lodernder Hass auf diese kleine Drecksau, die sich anmaßte, über sein Leben bestimmen zu wollen. Er hob den Kopf und richtete den Blick auf sie.

»Wir wollten doch O’Connor anrufen«, sagte er heftig. »War das nicht Teil Ihres grandiosen Plans? Warum wundern Sie sich, dass die sich Sorgen machen, he? Ich habe Kika gesagt, sie könnte mich den ganzen Tag über erreichen, und dass ich mich melden würde, also hören Sie auf, es an mir auszulassen! Ich hätte mich längst melden sollen, dann wäre niemand auf die Idee gekommen, dass man mich entführt hat. Es ist Ihre Schuld, hören Sie, einzig Ihre!«

Er stockte. Entsetzt machte er sich klar, wie seine Worte auf sie wirken mussten. Beispiellose Furcht riss den Zorn mit sich hinfort. Sie würde ihn bestrafen. Sie würde es ihm heimzahlen, dass er so mit ihr gesprochen hatte.

»Es tut mir leid«, stammelte er. »Ich… ich wollte nicht…«

Die Frau betrachtete ihn. Sie machte keine Anstalten, ihn ein weiteres Mal zu schlagen.

»Ja, du hast Recht«, sagte sie erstaunlicherweise. »Ich hätte dich anrufen lassen sollen.«

Kuhn pumpte Luft in seine Lungen. Immer noch fühlte er sich kaum in der Lage, aufzustehen nach dem Schlag in die Magengrube.

»Ich kann jetzt anrufen«, keuchte er.

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe umdisponiert. Sollen sie ruhig nach dir suchen. Es ändert nichts.«

»Aber es könnte wichtig sein, ich meine .«

»Sie werden einer anderen Fährte folgen, die wir gelegt haben. Im Zweifel passt du da als Entführungsopfer ganz gut rein.« Sie machte eine Pause. »Oder als Leiche.«

Kuhn schluckte schwer und rappelte sich hoch.

»Wie lange noch?«, fragte er matt.

Sie sah ihn an und zuckte die Achseln.

»Ich will dich nicht töten.«

So wie sie es sagte, hatte Kuhn keinen Zweifel daran, dass sie es ernst meinte. Er lehnte sich schwer atmend gegen die Wand und wischte mit der freien Hand das Blut von der Oberlippe.

»Wenn Sie getan haben, weswegen Sie hergekommen sind«, sagte er, »können Sie mich doch fortlassen, oder? Ich habe doch überhaupt nichts mit Ihren Angelegenheiten zu tun.«

»Dafür hast du deine Nase ziemlich tief reingesteckt, findest du nicht?«

»Was Sie tun, ist unrecht. Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, aber Sie begehen ein Verbrechen. Ich habe meine Nase reingesteckt, weil wir dachten, Liam, Kika und ich, dass wir ein Verbrechen verhindern könnten. Glauben Sie nicht, dass wir damit im Interesse eines wesentlich größeren Teils der Menschheit handeln als Sie?«

»Ja«, sagte die Frau. »Das tut ihr wohl.«

Er war irritiert. Er hatte erwartet und befürchtet, dass sie wieder auf ihn losgehen würde, aber offenbar reagierte sie auf Opposition mit Ruhe und Gelassenheit. Eigentlich machte sie auf Kuhn nicht den Eindruck einer blindwütigen Fanatikerin. Sofern man mit ihr reden konnte, würde seine einzige Chance eben darin bestehen. Zu reden.

Allmählich, trotz der nagenden Angst, schöpfte er wieder ein bisschen Mut.

»Werden Sie mir sagen, was Sie vorhaben?«, fragte er.