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»Perfide«, sagte Wagner. »Abstoßend und abscheulich.«

»Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht«, sagte O’Connor. »Abscheulich ist immer nur, was man draus macht.«

Lavallier hatte ihm strinrunzelnd zugehört. Jetzt blätterte er weiter in den Ausdrucken. »Hier ist noch etwas, das er mitentwickelt haben soll. Lichtblitzzündung.«

»Simultane Blitze.« O’Connor nickte. »Ich weiß.«

»Das wissen Sie auch? Sie wissen ja allerhand.«

»Es ist mein Gebiet, wenn Sie gestatten. Ich arbeite mit Licht. Man benutzt ein Fotoblitzgerät, wie man es überall kaufen kann, zündet es in beträchtlicher Entfernung von der Bombe, aber nur, um einen weiteren Blitz anzuregen, der näher dran ist. Und so weiter, bis hin zur Bombe. Ein Blitz speist den nächsten. Zündung und Detonation erfolgen zeitgleich. Ganz einfach.«

Lavallier legte die Ausdrucke beiseite.

Lichtblitze! Bomben!

Es half alles nichts. Er musste die Geschäftsleitung verständigen. Seine Hand wanderte zum Telefon.

»Warten Sie«, sagte Wagner.

»Ja?«

»Mir ist etwas eingefallen. Eben im Hotel. Sie fragten, ob Kuhn komische Dinge gesagt hat.«

Lavalliers Hand verharrte über dem Hörer.

»Und?«

Sie zögerte. »Er sagte: Ich glaube, ich bin heute nicht so ganz bei mir. Musste zu viel überbrücken in der letzten Zeit.«

»Überbrücken? Was musste er denn überbrücken?«

»Keine Ahnung. Ich weiß es eben nicht. Die Formulierung wirkt irgendwie schief, schlecht gewählt. Es klingt, als wollte er sagen, ich musste zu viel aushalten, wegstecken, hatte zu viel um die Ohren. Jemand, der flüchtig zuhört, würde es vielleicht so verstehen. Aber überbrücken passt einfach nicht.«

»In welchem Jahr baute Moses seine Arche?«

»Was?«, fragte Lavallier verwirrt.

O’Connor breitete die Hände aus. »Ist doch ganz einfach. In welchem Jahr baute Moses seine Arche?«

Lavallier grinste dünn.

»Es war nicht Moses, Sie Schlaumeier.«

»Richtig. Aber die Frage ist so gestellt, dass man versucht ist, sich völlig auf das Jahr zu konzentrieren. Man überhört das Offensichtliche. Ich meine, wenn Kuhn nicht allein war, als er mit Kika sprach, wenn er nicht frei reden konnte, dann hat er versucht, ihr Hinweise zu geben. Er hat es so ausgedrückt, damit es klang wie: Hey, mir geht’s nicht gut, ich bin durcheinander, war ein bisschen viel in letzter Zeit.

Vielleicht ist ihm die Finte ja geglückt, und seinen Mithörern ist entgangen, was er wirklich sagen wollte.«

Lavallier sah von ihm zu Wagner und wieder zurück.

»Ich bin nicht ganz bei mir«, wiederholte er langsam. »Soll heißen, ich bin bei jemand anderem. Sie haben mich entführt.«

O’Connor nickte.

»Und was er in letzter Zeit überbrücken musste, kurz vor Kikas Anruf .«

»Ist eine Brücke.«

»Ja. Der Ausgangspunkt seiner Überlegungen war das Maritim. Er ist auf der anderen Rheinseite, schätze ich.«

Lavallier starrte den Physiker einen Moment lang an. Dann wählte er die Nummer der Geschäftsleitung.

»Und?«, fragte O’Connor.

»Was und?«

»Da Sie ja nun über einen Sack voller Informationen verfügen .«

»Ich muss Sie bitten, vorerst zu bleiben.«

O’Connor verzog das Gesicht.

»Können wir wenigstens irgendwas tun?«, fragte Wagner. »Dieses Herumhängen macht mich krank.«

»Sie können Hauptkommissar Bär das Gleiche erzählen, was Sie mir erzählt haben. Er sitzt zwei Räume weiter. Wir bearbeiten den Fall zusammen, und er will Sie sehen.«

»Ich kann nicht endlos zur Verfügung stehen«, sagte Wagner. »Ich muss um halb fünf in Köln sein.«

»Gehen Sie zu Bär«, sagte Lavallier ungerührt. »Finden Sie heraus, was es mit der SMS auf sich hat. Besichtigen Sie den Flughafen. Gehen Sie was essen oder trinken, ich weiß nicht. Wenn Sie unbedingt nach Köln müssen, auch gut, aber seien Sie erreichbar.«

»Das Zeitalter der Erreichbarkeit«, philosophierte O’Connor. »E-Mail. Mobiltelefone. Ich wusste, dass die Sklaverei nicht wirklich abgeschafft worden ist.«

VERWALTUNG. GESCHÄFTSLEITUNG

Das Erste, was auffiel, wenn man das Büro betrat, waren zwei große, übereinander hängende Bilder zur Linken. Sie zeigten dieselbe merkwürdige Szenerie, einmal bei Tag und einmal in der Nacht. Saurierhafte Flugzeuge in einer Umgebung, die irgendetwas zwischen Wald, Vorfeld und Zoo darzustellen schien. Menschen schritten zwischen Maschendrahtabsperrungen auf die gigantischen Jets zu, Tieren gleich, die man durch Gittertunnel in eine Manege trieb. Wer sich die Mühe machte zu fragen, wurde belehrt, dass es sich bei dem Werk keineswegs um Kunst handelte, sondern um das neue Terminal 2 nach der Vorstellung eines der Architekten, die Anfang der Neunziger an der Ausschreibung des Flughafens um den Neubau teilgenommen hatten. Der aeronautische Jurassic Park war als Erstes aus dem Rennen gewesen, hatte allerdings seinen Weg in die Geschäftsleitungsetage und in Heinz Gombels Büro gefunden, wo er mit der Zeit dann doch zu etwas Kunstartigem avanciert war.

Bei seinen seltenen Besuchen hatte Lavallier dem Doppelbild jedes Mal eine Minute seiner Aufmerksamkeit geschenkt. Er mochte die Vision eines begrünten Flughafens. Heute hatte er keinen Blick dafür. Unmittelbar nachdem die Informationen über Paddy Clohessy hereingeflattert waren und Kika Wagner ihre Erinnerung wieder gefunden hatte, hockte er in Gombels Besucherecke und informierte vier ernst bis besorgt dreinblickende Männer über den Stand der Dinge.

Wie vorhin hatte jeder von ihnen seiner Einladung umgehend

Folge geleistet. Neben Gombel saß der Technische Direktor Wolfgang Klapdor, der gleich um die Ecke residierte und sich seit Anbeginn der Bauzeit mit Behörden und Ämtern um Beglaubigungen und Genehmigungen für die Fertigstellung des neuen Terminals herumprügelte. Klapdors Markenzeichen waren Vollbart und Halbbrille am Band. Lavallier wartete ständig darauf, ihn aus einer Zigarettenspitze rauchen zu sehen, was den Eindruck eines distinguierten KaffeehausLiteraten komplettiert hätte.

Neben ihm lehnte Peter Stankowski in den schwarzen Lederpolstern, der Verkehrsleiter, ebenfalls bärtig und von Natur aus grimmig wirkend. Der vierte Mann im Raum hieß Dieter Knott. Er war der stellvertretende Verkehrsleiter. Beiden oblag die logistische Seite der Gipfel-Landungen, das VIP-Zelt, die Koordination der Presse und die protokollarische Seite. Sie standen in direkter Verbindung mit dem Auswärtigen Amt, wo man für die Geschichte, die Lavallier zu erzählen hatte, kaum mehr Begeisterung aufbringen würde als hier in diesem Büro.

Lavallier schloss seinen Bericht ab, legte die Fingerspitzen aufeinander und nickte bekräftigend.

»Das also sind die Neuigkeiten.«

Eine Atmosphäre des Unbehagens hatte sich ausgebreitet. Einen Moment lang sagte niemand etwas. Die Männer sahen auf ihre Füße oder in Lavalliers Augen, als erwarteten sie nach der Darlegung des Problems nun die Lösung.

»Unschön«, brummte Gombel. »Ich sagte doch, wir können nichts Ernstes gebrauchen.«