Blaine zuckte mit den Augenlidern, sagte jedoch nichts.
»War ein echter Hammer. Das Vanning-Institut erklärte, daß es sichere Beweise dafür hätte, daß nur etwa einer von einer Million ins Jenseits kommt. Der Rest, die ganzen Millionen und Abermillionen, gingen einfach aus wie die Lichter, wenn sie starben. Paff! Nichts mehr. Kein Leben danach mehr. Nichts!«
»Warum?« fragte Blaine.
»Na ja, Tom, das ist mir auch nicht so ganz klar«, sagte Melhill. »Wenn du mich etwas über Flußmechanik fragen würdest, dann könnte ich dir einiges erklären. Aber die Theorie der parapsychischen Erscheinungen ist einfach nicht mein Gebiet. Also versuch mal, mit mir am Ball zu bleiben, während ich mich da durchwühle.«
Er rieb sich kräftig seine Stirn. »Was nach dem Tod überlebt oder nicht überlebt, das ist der Geist. Die Leute liegen sich seit Jahrtausenden darüber in der Wolle, was eigentlich Geist ist und inwieweit er mit dem Körper zusammenhängt und nicht. Und so weiter. Wir wissen noch nicht alle Antworten auf diese Fragen, aber wir haben sowas wie Arbeitshypothesen. Heutzutage nimmt man an, daß der Geist ein energetisches Hochspannungsnetz ist, das vom Körper ausgestrahlt wird, von ihm verändert wird und ihn seinerseits verändert. Kannst du mir folgen?«
»Ich glaube schon. Weiter.«
»Soweit wie ich das verstanden habe, reagieren Geist und Körper miteinander und beeinflussen sich gegenseitig. Aber der Geist kann auch unabhängig vom Körper existieren. Eine ganze Reihe von Wissenschaftlern nimmt an, daß der unabhängige Geist die nächste Stufe der Evolution sein wird. In einer Million Jahren, sagen sie, werden wir nicht einmal einen Körper brauchen, höchstens vielleicht für eine kurze Inkubationszeit. Was mich angeht, so glaube ich kaum, daß diese verdammte Rasse noch eine Million Jahre überstehen wird. Verdient hätten wir’s wahrscheinlich nicht.«
»Da kann ich dir im Augenblick nur beipflichten«, sagte Blaine. »Aber was ist denn nun mit dem Jenseits?«
»Da gibt’s also dieses energetische Hochspannungsnetz. Wenn der Körper stirbt, dann sollte das Netz eigentlich weiterbestehen, wie ein Schmetterling, der sich entpuppt. Der Tod ist lediglich der Vorgang, der den Geist aus dem Körper ablöst. Aber das funktioniert so nicht, und zwar wegen des Todestraumas. Manche Wissenschaftler sind der Meinung, daß das Todestrauma der Ejektionsmechanismus der Natur ist, um den Geist vom Körper zu befreien. Aber es schlägt zu sehr zu und versaut alles. Das Sterben ist ein enormer psychischer Schock und in den meisten Fällen wird das Netz zerfetzt und völlig zerstört. Es kann sich nicht selbst wieder zusammensetzen, sondern verteilt sich überall hin; und dann ist man völlig tot.«
Blaine sagte: »Deshalb ist Houdini also nicht zurückgekommen.«
»Er und die meisten anderen. Ganz genau. Jedenfalls haben ziemlich viele Leute ziemlich angestrengt nachgedacht, und damit waren die Verrückten Jahre zu Ende. Das Vanning-Institut arbeitete weiter. Man untersuchte Yoga und so’n Zeugs, aber auf wissenschaftlicher Grundlage. Einige von diesen östlichen Religionen hatten wirklich recht, weißt du. Den Geist stärken. Das ist es, was das Institut wollte; eine Methode, das Energienetz so zu verstärken, daß es den Todesvorgang überleben kann.«
»Und? Haben sie eine Methode gefunden?«
»Schaufelweise. Das war dann die Zeit, als sie sich in Jenseits, Inc. umbenannten, was heute die Unsterblichkeitsgesellschaft ist.«
Blaine nickte. »Ich bin heute an ihrem Gebäude vorbeigegangen. Aber warte mal! He! Du hast gesagt, daß sie das Problem der Geiststärkung gelöst haben? Aber dann stirbt doch niemand mehr! Dann überlebt jeder den Tod!«
Melhill grinste sardonisch. »Sei kein Bauerntölpel, Tom. Meinst du, daß sie das kostenlos verteilen würden? Von wegen! Freund, das ist eine komplizierte elektrochemische Behandlung, und die kostet. Die kostet verdammt viel.«
»Also kommen nur die Reichen in den Himmel«, sagte Blaine.
»Was dachtest du denn? Da kann man doch nicht jeden reinlassen!«
»Natürlich«, sagte Blaine, »natürlich. Aber gibt es denn keine anderen Methoden, andere geiststärkende Disziplinen? Was ist denn mit Yoga? Was ist denn mit Zen?«
»Die funktionieren«, sagte Melhill. »Es gibt mindestens zwei Dutzend von der Regierung geprüfte und anerkannte Heimlehrgänge fürs Überleben. Das Problem ist nur, daß man gute zwanzig Jahre hart arbeiten muß, bis man sie beherrscht. Das ist nichts für den Durchschnittsmenschen. Nein, ohne Maschinen, die einem helfen, ist man tot.«
»Und die Maschinen hat nur die Jenseits, Inc.?«
»Es gibt noch ein oder zwei andere Firmen, die Akademie für das Leben nach dem Tode und die Himmel GmbH, aber die Preise bleiben sich in etwa gleich. Die Regierung ist dabei, ein Überlebensversicherungsprogramm einzuführen, aber das hilft uns auch nichts.«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Blaine. Einen Augenblick lang war der Traum erschütternd gewesen: eine Befreiung von der Todesangst; die rationale Gewißheit, daß es nach dem Absterben des Körpers ein Weiterbestehen und eine Existenz gibt; das Wissen um einen ununterbrochenen Wachstums- und Selbstverwirklichungsfortschritt, ein Erreichen der eigenen, weitgesteckten Grenzen – nicht die einengenden Beschränkungen der gebrechlichen fleischlichen Hülle, die Vererbung und Schicksal einem oktroyiert hatten.
Aber es sollte nicht sein. Der Wunsch seines Geistes, sich auszudehnen, wurde brutal und endgültig gebremst, zum Stehen gebracht. Auf immer und ewig würden die Verheißungen des Morgen nicht im Heute zu verwirklichen sein.
»Was ist mit der Reinkarnation und den Wirtskörpern?« fragte er.
»Das solltest du doch wissen«, meinte Melhill. »Sie haben dich ja reinkarniert und in einen Wirt eingepflanzt. Ein Geistaustausch ist nicht weiter kompliziert, wie dir die Transplantationsoperateure fröhlich versichern werden. Aber die Transplantation ist nur eine vorläufige Besetzung und beinhaltet nicht die völlige Beseitigung und Dislozierung des ursprünglichen Geistes. Wirtskörper sind für immer gedacht. Zunächst einmal muß der ursprüngliche Geist ausradiert werden. Zum zweiten ist es ein für den Geist ziemlich gefährliches Spiel, in einen Wirtskörper eindringen zu wollen. Manchmal gelingt es dem Geist nicht, in den Wirt einzudringen, und er bricht dabei auseinander. Wenn man eine Reinkarnation versucht hat, dann nützt einem das Jenseitstraining auch nichts mehr. Wenn es dem Geist nicht gelingt, in den Wirt einzudringen, dann – paff!«
Blaine nickte. Jetzt war ihm klar, warum Marie Thorne es für besser gehalten hatte, wenn Reilly sterben würde. Ihr Ratschlag war völlig in Reillys eigenem Interesse gewesen.
Er fragte: »Warum versucht denn ein Mensch mit einer Jenseitsversicherung dann eine Reinkarnation?«
»Weil manche alten Knacker Angst vorm Sterben haben«, erwiderte Melhill. »Sie fürchten sich vor dem Jenseits, haben einen Horror vor diesem ganzen Geistzeugs. Sie wollen hier auf der Erde bleiben, wo sie sich auskennen und wissen, was gespielt wird. Also kaufen sie sich legal einen Körper auf dem offenen Markt, sofern sie einen finden. Wenn nicht, dann kaufen sie eben einen Körper auf dem Schwarzmarkt. Einen von unseren Körpern, Freund!«
»Die Körper auf dem offenen Markt werden dann also freiwillig angeboten, ja?«
Melhill nickte.
»Aber wer verkauft denn seinen Körper?«
»Natürlich jemand, der sehr arm ist. Das Gesetz schreibt eigentlich vor, daß er als Gegenleistung dafür eine Jenseitsversicherung bekommen müßte. In der Praxis sieht es jedoch so aus, daß er nimmt, was man ihm gibt.«
»Dann muß er doch verrückt sein!«
»Meinst du wirklich?« fragte Melhill. »Die Welt ist heutzutage – wie schon seit eh und je – voll von gescheiterten, kranken, verseuchten und verhungernden Leuten. Und wie seit Urzeiten haben sie alle Familien. Nimm doch mal an, daß jemand für seine Kinder Nahrungsmittel kaufen muß? Sein Körper ist alles, was er verkaufen kann, sein einziger wertvoller Besitz. Damals, zu deiner Zeit, hatte er überhaupt nichts, was er verkaufen konnte.«