»Mag sein«, sagte Blaine. »Aber ich werde meinen Körper niemals verkaufen, egal, wie schlimm sich die Sache entwickeln mag!«
Melhill lachte gutmütig: »Bist ’n aufrechter Bursche! Aber Tom, sie nehmen ihn dir einfach umsonst weg!«
Darauf wußte Blaine keine Antwort.
VII
Die Zeit verstrich langsam in der gepolsterten Zelle. Man gab Blaine und Melhill Bücher und Zeitschriften. Sie bekamen oft und gut zu essen und zu trinken, aus Pappbechern und von Papptellern. Man wachte sorgfältig über ihr körperliches Wohl, denn ihren enorm marktfähigen Körpern durfte nichts zustoßen.
Man ließ sie zusammen, damit jeder von ihnen Gesellschaft hatte. Menschen in Einzelzellen werden manchmal wahnsinnig, und der Wahnsinn kann wertvolle Gehirnzellen beschädigen. Man erlaubte ihnen sogar, Sport zu treiben, unter scharfer Bewachung, damit sie sich nicht langweilten und damit ihre Körper für ihre zukünftigen Besitzer fit blieben.
Blaine entwickelte langsam eine immer größer werdende Zuneigung für den kräftigen, grobschlächtigen muskulösen Körper, den er erst seit so kurzer Zeit bewohnte und von dem er schon so bald getrennt werden würde. Es war wirklich ein ausgezeichneter Körper, dachte er, ein Körper, auf den man stolz sein konnte. Zugegeben, besonders grazil war er nicht gerade, aber man konnte Grazie auch überbewerten. Er nahm an, daß der Körper dafür, sozusagen als Gegengewicht, nicht so anfällig für Heuschnupfen war wie der, den er früher bewohnt hatte; und seine Zähne waren auch völlig in Ordnung.
Abgesehen von der Frage nach der Sterblichkeit überhaupt war es immerhin, alles in allem betrachtet, ein Körper, den man nicht so leichtfertig aufgeben sollte.
*
Eines Tages öffnete sich ein Teil der gepolsterten Wand, kurz nachdem sie gegessen hatten. Von Stahlgitterstäben geschützt, blickte Carl Orc in die Zelle.
»Hallochen«, sagte Orc, groß und hager, geraden Blicks und in seiner Stadtkleidung eckig wirkend, »wie geht’s meinem Freund aus Brasilien?«
»Sie Bastard!« sagte Blaine, der bedauernd spürte, wie unangemessen Worte sein konnten.
»Immer mit der Ruhe!« sagte Orc. »Bekommt ihr Jungs auch genug zu futtern?«
»Sie und ihre Ranch in Arizona!«
»Ich habe dort tatsächlich eine gepachtet«, sagte Orc. »Eines Tages werde ich mich dorthin zurückziehen und Sandpflanzen anbauen. Ich schätze, daß ich wahrscheinlich mehr über Arizona weiß als manch ein Eingeborener dort. Aber eine Ranch kostet halt Geld, und Jenseitsversicherungen kosten auch Geld. Man tut eben was man kann.«
»Ein Aasgeier tut auch, was er kann«, meinte Blaine.
Orc seufzte tief. »Na ja, ist eben ein Geschäft und auch nicht viel schlechter als manche andere Sachen, die ich mir vorstellen könnte, wenn ich mal ernsthaft darüber nachdenken würde. Ist eine schlimme Welt, in der wir hier leben. Wahrscheinlich wird mir das alles mal leid tun, wenn ich auf der Veranda meiner kleinen Wüstenranch sitze.«
»Da werden Sie nie hinkommen!« versicherte Blaine.
»Ach nein?«
»Nein. Eines Tages wird irgendein Typ merken, wie Sie ihm den Drink versoßen. Sie werden im Rinnstein enden, Orc, mit eingedroschenem Schädel. Und das war’s dann auch schon.«
»Nur für meinen Körper«, berichtigte Orc ihn. »Meine Seele wird in das süße Leben im Drüben weiterwandern. Ich hab mein Geld bezahlt, Junge, und mein nächstes Zuhause ist der Himmel!«
»Das verdienen Sie nicht!«
Orc grinste, und selbst Melhill konnte sich nicht eines Lächelns enthalten. Orc sagte: »Mein armer, brasilianischer Freund, es geht doch überhaupt nicht um Verdienste. Das solltest du doch wirklich wissen! Das Leben nach dem Tod ist eben nicht für die sanftmütigen und friedfertigen kleinen Leute, egal wie verdienstvoll sie sein mögen. Der schlaue Kopf mit den Taschen voller Dollars und dem wachen Sinn dafür, die Nummer eins zu sein, dessen Seele überlebt den Tod.«
»Ich kann das nicht glauben!« sagte Blaine. »Das ist einfach nicht fair, es ist ungerecht.«
»Du bist ein Idealist«, sagte Orc interessiert, so als würde er den letzten Panda-Bär der Welt studieren.
»Nennen Sie es, wie Sie wollen. Vielleicht bekommen Sie schon Ihr Jenseits, Orc. Aber ich glaube, daß es dort eine kleine Ecke gibt, in der Sie in Ewigkeit schmoren werden!«
Orc sagte: »Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis für das Höllenfeuer. Aber es gibt noch sehr viel, was wir über das Jenseits nicht wissen. Vielleicht werde ich ja schmoren. Und vielleicht gibt es dort oben im Blauen ja sogar eine Fabrik, in der man deinen zertrümmerten Geist wieder zusammensetzt … Aber wir wollen nicht streiten. Tut mir leid, die Zeit ist gekommen.«
Orc schritt schnell davon. Die Stahlgittertür schwang auf, und fünf Männer marschierten in den Raum.
»Nein!« schrie Melhill.
Sie umringten den Raumfahrer. Geschickt wichen sie seinen schwingenden Fäusten aus und drückten seine Arme zusammen. Einer von ihnen knebelte ihn, dann begannen sie damit, ihn aus dem Raum zu zerren.
Orc erschien in der Tür und blickte sie böse an. »Laßt ihn los!« sagte er.
Die Männer ließen Melhill frei.
»Ihr habt den falschen Mann genommen, ihr Idioten!« sagte Orc ihnen. »Den da brauchen wir!«
Blaine hatte sich bereits darauf vorbereitet, den Verlust seines Freundes irgendwie zu verschmerzen. Diese abrupte Wende des Schicksals traf ihn unvorbereitet, mit offenem Mund. Die Männer packten ihn, bevor er Zeit hatte zu reagieren.
»Tut mir leid«, sagte Orc, als sie Blaine hinausführten, »der Kunde hat deine Statur und Hautfarbe angefordert.«
Blaine erwachte plötzlich aus seinem Stupor und versuchte, sich loszureißen. »Ich bring dich um!« brüllte er Orc an. »Ich schwöre es, ich bring dich um!«
»Beschädigt ihn nicht«, sagte Orc mit hölzerner Miene zu den Männern.
Man legte ihm einen Lumpen über Nase und Mund, und Blaine nahm einen widerlichen süßlichen Geruch wahr. Chloroform, dachte er. Seine letzte Erinnerung war das Bild, wie Melhill aschfahl an der vergitterten Tür stand.
VIII
Thomas Blaines erste bewußte Reaktion war es, festzustellen, ob er immer noch Thomas Blaine war und ob er noch seinen eigenen Körper bewohnte. Die Frage selbst war schon der Beweis. Seinen Geist hatten sie noch nicht ausgelöscht.
Er lag voll bekleidet auf einem Sofa. Er setzte sich auf und hörte, wie sich von draußen Fußschritte der Tür näherten.
Sie mußten die Stärke des Chloroforms überschätzt haben! Er hatte immer noch eine Chance!
Er huschte hinter die Tür. Sie ging auf und jemand kam durch die Öffnung geschritten. Blaine trat hervor und holte aus.
Es gelang ihm, den Hieb etwas zu bremsen. Aber es war immer noch sehr viel Wucht dabei, als er Marie Thorne seitlich an ihrem hübschen Kinn traf.
Er trug sie zum Sofa hinüber. Wenige Minuten später kehrte ihr Bewußtsein wieder zurück, und sie sah ihn an.
»Blaine«, sagte sie, »Sie sind ein Idiot!«
»Ich wußte nicht, wer es war«, sagte Blaine. Doch noch während er sprach wurde ihm klar, daß es nicht stimmte. Er hatte Marie Thorne doch erkannt, einen Sekundenbruchteil bevor sein Hieb losging; und sein gut durchtrainierter, geübter Körper hätte den Schlag selbst dann noch bremsen und zurückziehen können. Aber unter seinem gesunden, rationalen, moralisch wachen Bewußtsein hatte eine unsichtbare, eine unkontrollierbare Wut gehandelt; die Wut hatte auf gerissene Weise die Brenzligkeit und die Hast dazu benutzt, die Verantwortlichkeit auszuschließen, hatte den täuschenden Augenblick wahrgenommen, um der kalten und gefühllosen Miss Thorne eins zu verpassen.