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Diese Handlung deutete auf etwas in ihm selbst hin, über das Blaine keineswegs mehr zu erfahren wünschte. Er fragte: »Miss Thorne, für wen haben Sie meinen Körper gekauft?«

Sie blitzte ihn an. »Ich habe ihn für Sie gekauft, da Sie offensichtlich nicht dazu in der Lage waren, selbst darauf aufzupassen!«

Also würde er doch nicht sterben müssen. Kein fetter Widerling würde seinen Körper erben und seinen Geist in alle Winde verstreuen. Gut! Er wollte auch unbedingt weiterleben. Aber er wünschte sich, daß nicht ausgerechnet Marie Thorne ihn gerettet hätte.

»Wenn ich gewußt hätte, was hier alles los ist, wäre es mir besser ergangen«, sagte Blaine.

»Ich wollte Ihnen alles erklären. Warum haben Sie nicht gewartet?«

»So, wie Sie mit mir geredet haben?«

»Es tut mir leid, wenn ich etwas brüsk war«, sagte sie. »Ich war ziemlich wütend, weil Mr. Reilly die Werbekampagne abgeblasen hatte. Aber konnten Sie das denn nicht verstehen? Wenn ich ein Mann gewesen wäre -«

»Sie sind aber kein Mann«, meinte Blaine.

»Was macht das für einen Unterschied? Ich vermute, daß Sie noch so ein paar merkwürdige altmodische Vorstellungen über die Rolle und Stellung der Frau haben.«

»Ich finde die gar nicht merkwürdig«, antwortete Blaine.

»Natürlich nicht.« Sie befingerte ihren Kiefer, der etwas verfärbt und geschwollen war. »Na gut, sagen wir eins zu eins? Oder wollen Sie mich noch einmal vermöbeln?«

»Einmal reicht, danke«, sagte Blaine.

Sie erhob sich ein wenig unsicher. Blaine legte einen Arm um sie, um sie zu stützen und geriet sofort aus der Fassung. Er hatte sich diesen adretten Körper als eine Mischung aus Sprungfedern und Stahl vorgestellt; tatsächlich aber bestand er aus Fleisch, festem, widerstandsfähigem und erstaunlich sanftem Fleisch. Aus dieser Nähe konnte er einzelne Haare sehen, die aus ihrer strengen Frisur ausgeschert waren; auf ihrer Stirn erblickte er ein winziges Muttermal unter dem Haaransatz. In diesem Augenblick hörte Marie Thorne auf, für ihn eine reine Abstraktion zu sein und nahm menschliche Gestalt an. »Ich kann auch allein stehen«, sagte sie.

Einen langen Augenblick später ließ Blaine sie los.

»Ich glaube«, sagte sie und blickte ihn fest an, »daß es unter den gegebenen Umständen besser wäre, wenn unsere Beziehung auf einer rein geschäftlichen Ebene bliebe.«

Wunder über Wunder! Auch sie hatte plötzlich damit begonnen, ihn als menschliches Wesen zu sehen; sie nahm ihn als Mann wahr, und das beunruhigte sie. Der Gedanke daran machte ihm viel Freude. Es war ja nicht so, dachte er bei sich, daß er Marie Thorne mochte oder sie sonderlich begehrte. Aber er wollte sie zu gern aus dem Gleichgewicht bringen, die Emaille von der Fassade kratzen, sie aus ihrer verdammten Fassung scheuchen.

Er sagte: »Aber gewiß doch, Miss Thorne!«

»Es freut mich, daß Sie das auch so sehen«, sagte sie zu ihm. »Denn, ehrlich gesagt, Sie sind nicht mein Typ.«

»Was ist denn Ihr Typ?«

»Ich mag große, schlanke Männer«, sagte sie. »Männer, die eine gewisse Grazie besitzen, Gelassenheit und Format.«

»Aber -«

»Wie wär’s mit Mittagessen?« fragte sie. »Danach möchte Mr. Reilly mit Ihnen ein paar Worte wechseln. Ich glaube, daß er Ihnen ein Angebot machen möchte.«

Er folgte ihr aus dem Zimmer und kochte dabei innerlich vor Wut. Hatte sie ihn verspottet? Große, schlanke, grazile Männer mit Format! Verdammt, das war er doch einmal gewesen! Und unter diesem fleischigen blonden Ringerkörper war er es auch immer noch, wenn sie nur die Augen hätte, genau genug hinzusehen!

Und überhaupt: Wer brachte denn nun wessen Pose eigentlich durcheinander?

*

Als sie sich an den Tisch in der Managementkantine des Rex-Gebäudes setzten, sagte Blaine plötzlich: »Melhill!«

»Wie?«

»Ray Melhill, der Mann, mit dem ich zusammen in der Zelle war. Hören Sie, Miss Thorne, wäre es vielleicht möglich, ihn auch freizukaufen? Ich werde dafür bezahlen, sobald ich dazu in der Lage bin. Wir waren zusammen eingesperrt. Ist ein verdammt netter Bursche.«

Sie sah ihn mit einem seltsamen Ausdruck an. »Ich werde sehen, was sich machen läßt.«

Sie stand vom Tisch auf und ging fort. Blaine wartete. Er rieb sich die Hände und wünschte, daß er Carl Orcs Hals dazwischen hätte. Wenige Minuten später kehrte Marie Thorne zurück.

»Es tut mir sehr leid«, sagte sie. »Ich habe Kontakt zu Orc aufgenommen. Mr. Melhill ist eine Stunde nachdem Sie entfernt wurden, verkauft worden. Es tut mir wirklich leid. Ich wußte das nicht.«

»Das ist schon in Ordnung«, sagte Blaine. »Ich glaube, ich hätte jetzt ganz gern einen Drink.«

IX

Mr. Reilly saß steif und beinahe wie verloren in einem riesigen, weichen, thronähnlichen Stuhl. Er war ein winziger, spinnenartiger alter Mann. Seine faltige, durchschimmernde Haut spannte sich straff über seinem Schädel und an den Krallenhänden, und durch das ledrige, verschrumpelte Fleisch waren Knochen und Sehnen gut zu erkennen. Blaine hatte den Eindruck, als ob das Blut träge durch die brüchigen, purpurnen verkalkten Venen strömte und jeden Augenblick drohte, stehenzubleiben. Und doch war Reillys Haltung fest, und die Augen in seinem humorvollen Affengesicht blickten klar in die Welt hinaus.

»Das ist also unser Mann aus der Vergangenheit!« sagte Mr. Reilly. »Setzen Sie sich bitte, Sir. Sie auch, Miss Thorne. Ich habe gerade mit meinem Großvater über Sie gesprochen, Mr. Blaine.«

Blaine blickte sich um und erwartete beinahe, den seit fünfzig Jahren toten Großvater als Gespenst über sich schweben zu sehen. Doch in dem verschnörkelten Raum mit der hohen Decke war keine Spur von ihm zu sehen.

»Er ist fort«, erklärte Mr. Reilly. »Der arme Großvater kann immer nur kurz in einem ektoplasmatischen Zustand bleiben. Aber da hat er es immer hoch besser als die meisten anderen Gespenster.«

Blaines Gesichtsausdruck mußte sich verändert haben, denn Reilly fragte: »Glauben Sie nicht an Gespenster, Mr. Blaine?«

»Ich fürchte nein.«

»Natürlich nicht. Ich nehme an, daß das Wort für Ihren, im zwanzigsten Jahrhundert lebenden Geist eine Reihe unglücklicher Konnotationen hat. Rasselnde Ketten, Skelette und ähnlicher Blödsinn. Aber Worte verändern ihre Bedeutung, und selbst die Wirklichkeit verändert sich zusammen mit der Menschheit, die die Natur ändert und manipuliert.«

»Ich verstehe«, erwiderte Blaine höflich.

»Sie glauben, das wäre Etikettenschwindel«, sagte Mr. Reilly gutgelaunt. »Lag aber nicht in meiner Absicht. Nehmen Sie doch mal die Art und Weise, in der Worte ihre Bedeutung verändern. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde das Wort ›Atom‹ zu einem Schlagwort für phantasievolle Schriftsteller: all die ›Atomkanonen‹ und ›atomgetriebene Schiffe‹ und so. Ein absurdes Wort, das jeder vernünftige Mensch eigentlich am besten ignorieren würde, so wie Sie voller Vernunft das Wort ›Gespenst‹ ignorieren. Und doch konnten ›Atome‹ nur wenige Jahre später das Bild einer äußerst realistischen und unmittelbaren Bedrohung beschwören. Kein vernünftig denkender Mensch konnte das Wort länger ignorieren!«

Mr. Reilly lächelte, in seine Erinnerungen verloren. »Das Wort ›Strahlung‹ wurde von einem langweiligen Lehrbuchausdruck zu einer Quelle von Krebsgeschwüren. Zu Ihrer Zeit war ›Raumkrankheit‹ ein abstrakter Begriff ohne Substanz. Aber fünfzig Jahre später bedeutete das Krankenhäuser voller sich verkrampft windender Körper. Mr. Blaine, Worte haben die Neigung, sich zu verändern, und zwar vom abstrakten, phantastischen oder akademischen Gebrauch zu funktionalen, realistischen Alltagsausdrücken. So etwas geschieht eben, wenn die Technik die Theorie eingeholt hat.«