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»Noch nichts!« rief der bärtige alte Arzt.

Blaine spürte die Nervosität im Saal, die sich mit einem Hauch von Furcht vermengt hatte. Die Sekunden zogen sich dahin, während die Ärzte und Techniker den Körper umringten.

»Immer noch nichts!« rief der alte Arzt, und seine Stimme wurde schrill.

»Was ist los?« fragte Blaine Marie Thorne.

»Wie ich Ihnen ja schon sagte, die Reinkarnation ist schwierig und gefährlich. Reillys Geist hat es bisher noch nicht geschafft, in den Wirtskörper einzudringen. Viel Zeit hat er nicht mehr.«

»Warum nicht?«

»Weil ein Körper in dem Augenblick zu sterben anfängt, in dem er nicht mehr bewohnt wird. Wenn der Geist nicht wenigstens latent im Körper ist, setzen unwiderrufliche Todesvorgänge ein. Der Geist ist lebenswichtig. Selbst ein bewußtloser Geist kontrolliert immer noch die automatischen Körpervorgänge. Aber ohne jeden Geist -«

»Immer noch nichts!« schrie der alte Doktor.

»Ich glaube, jetzt ist es schon zu spät«, flüsterte Marie Thorne.

»Ein Beben!« sagte der Arzt. »Ich habe ein Beben gespürt!«

Ein langes Schweigen setzte ein.

»Ich glaube, er ist drin!« rief der alte Arzt. »Los jetzt, Sauerstoff! Adrenalin!«

Sie setzten dem Gesicht des Wirts eine Maske auf und verabreichten ihm eine Spritze. Der Wirt bewegte sich, zitterte, sackte zusammen und bewegte sich aufs neue.

»Er hat es geschafft!« rief der alte Arzt und entfernte die Sauerstoffmaske.

Wie auf ein Stichwort hin sprangen die Direktoren von ihren Sitzen und eilten auf die Bühne. Sie umringen den Wirt, der nun mit den Augen rollte und keuchte.

»Herzlichen Glückwunsch, Mr. Reilly!«

»Gut gemacht, Sir!«

»Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, Mr. Reilly!«

Der Wirt starrte sie an. Er wischte sich über den Mund und sagte: »Mein Name ist nicht Reilly!«

Der alte Arzt bahnte sich einen Weg durch die Direktoren und beugte sich über den Wirt. »Nicht Reilly?« fragte er. »Sind Sie Fitzsimmons?«

»Nein«, sagte der Wirt. »Ich bin nicht Fitzsimmons, dieser arme verdammte Narr! Und ich bin auch nicht Reilly. Reilly hat versucht, in diesen Körper zu gelangen, aber ich war zu schnell für ihn. Ich bin als erster reingekommen. Es ist jetzt mein Körper.«

»Wer sind Sie?« fragte der Doktor.

Der Wirt erhob sich. Die Direktoren wichen von ihm zurück, und einer von ihnen bekreuzigte sich hastig.

»Er war zu lange tot«, sagte Marie Thorne.

Das Gesicht des Wirts war nur noch schwach und sehr stilisiert das Antlitz des blassen, ängstlichen William Fitzsimmons. Es war nichts von Fitzsimmons’ Entschlossenheit darin, nichts von Reillys Verdrießlichkeit und Gutmütigkeit in diesem Gesicht. Es glich nur sich selbst.

Das Gesicht war totenblaß bis auf die schwarzen Bartstoppeln an Kinn und Wangen. Die Lippen waren blutlos. Als Fitzsimmons noch da gewesen war, waren die Züge in harmonischem, unauffälligen Übereinklang gewesen. Doch nun waren die einzelnen Züge verhärtet und voneinander getrennt. Das unharmonische weiße Gesicht sah grob und unfertig aus, wie Eisen vor der Bearbeitung oder Ton vor dem Brennen. Es trug einen schlaffen, mißmutigen entspannten Ausdruck, weil Muskeltonus und -spannung im Gesicht fehlten. Die ruhigen, formlosen, unharmonischen Züge existierten einfach und verrieten nichts über die Persönlichkeit, die dahinter lag. Das Gesicht wirkte nicht mehr völlig menschlich. Alles, was menschlich an der Gestalt war, ruhte nun in den großen, geduldigen, ruhigen Buddhaaugen.

»Der Körper ist zum Zombie geworden«, flüsterte Marie Thorne und klammerte sich an Blaines Schulter fest.

»Wer sind Sie?« fragte der alte Arzt.

»Ich kann mich nicht mehr erinnern«, sagte das Wesen. »Ich kann es nicht.« Es drehte sich langsam um und wollte von der Bühne steigen. Zwei der Direktoren stellten sich ihm zögernd in den Weg.

»Haut ab«, sagte er, »das ist jetzt mein Körper.«

»Lassen Sie den armen Zombie in Frieden«, sagte der alte Arzt erschöpft.

Die Direktoren machten den Weg frei. Der Zombie ging ans Ende der Bühnen, schritt die Stufen hinab und kam zu Blaine herüber.

»Ich kenne dich!« sagte er.

»Was? Was wollen Sie?« fragte Blaine nervös.

»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte der Zombie und starrte ihn konzentriert an. »Wie heißt du?«

»Tom Blaine.«

Der Zombie schüttelte den Kopf. »Sagt mir nichts. Aber ich werde mich schon noch dran erinnern. Du bist es schon, das stimmt schon. Irgendwas … Mein Körper stirbt, nicht wahr? Schade. Ich werde mich dran erinnern, bevor er tot ist. Du und ich, weißt du, wir waren zusammen. Blaine, erinnerst du dich nicht mehr an mich?«

»Nein!« schrie Blaine und zuckte vor der Vorstellung zurück, daß es zwischen ihm und diesem sterbenden Ding eine lebenswichtige Beziehung geben sollte. Das konnte einfach nicht sein! Auf welches gemeinsame Geheimnis spielte dieser Leichendieb da an, dieser schmutzige Usurpator, welche dunkle Intimität deutete er da an, welches gemeinsame Wissen, das nur von ihm und Blaine wahnsinnig keckernd geteilt werden sollte, wie eine schmutzige Brotrinde?

Nichts, sagte Blaine zu sich selbst. Er kannte sich selbst, wußte, wer er war, was er gewesen war. Nichts Derartiges hatte das Recht, sich zu erheben und ihn … Diese Kreatur mußte verrückt sein oder sich irren.

»Wer sind Sie?« fragte Blaine.

»Ich weiß es nicht!« Der Zombie warf seine Hände in die Höhe wie ein Mann, der in einem Netz gefangen war. Und Blaine spürte, was dieser Geist fühlen mußte, verwirrt, desorientiert, namenlos, mit dem Willen zu leben und eingekerkert in der fleischigen, sterbenden Umarmung eines Zombiekörpers.

»Ich werde dich wieder aufsuchen«, sagte der Zombie zu Blaine. »Du bist wichtig für mich. Ich werde dich wiedertreffen und mich an alles über dich und mich erinnern.«

Der Zombie wandte sich um und schritt durch den Gang aus dem Theatersaal hinaus. Blaine starrte ihm nach, bis er plötzlich eine Last auf seiner Schulter spürte.

Marie Thorne war ohnmächtig geworden. Es war die weiblichste Handlung, die sie bisher vollführt hatte.

ZWEITER TEIL 

XI

An der Reinkarnationsmaschine diskutierten der Cheftechniker und der bärtige Arzt miteinander, von ihren Gehilfen respektvoll umringt. Die Auseinandersetzung wurde im Fachjargon geführt, doch Blaine merkte, daß sie wohl versuchten, die Ursache für den Mißerfolg der Reinkarnation herauszufinden. Jeder schien der Meinung zu sein, daß der Hauptfehler beim anderen liege.

Der alte Doktor beharrte darauf, daß die Maschine falsch eingestellt gewesen sein mußte oder daß ein plötzlicher, nicht-kompensierter Energieabfall eingetreten sein mußte. Der Cheftechniker schwor, daß die Maschine perfekt sei. Er war der Überzeugung, daß Reilly dem anstrengenden Versuch körperlich nicht gewachsen gewesen sei.

Niemand wollte auch nur um einen Zoll von seinem Standpunkt abweichen. Aber da sie vernünftige Menschen waren, kamen sie bald zu einer Kompromißlösung. Der Fehler, so einigten sie sich, lag bei dem namenlosen Geist, der Reilly beim Eintrittsversuch in den Körper von Fitzsimmons bekämpft hatte und ihn ausgebootet hatte.

»Aber wer war das?« fragte der Cheftechniker. »Meinen Sie, daß es ein Gespenst war?«

»Möglicherweise«, sagte der Arzt, »obwohl es verdammt selten ist, daß Gespenster in einen lebenden Körper eindringen. Aber er hat verrückt genug geredet, um ein Gespenst sein zu können.«

»Wer immer es auch gewesen sein mag«, sagte der Cheftechniker, »den Wirt hat er jedenfalls zu spät übernommen. Der Körper war definitiv zomboid. Na ja, jedenfalls kann man niemanden dafür verantwortlich machen.«