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»Miss Thorne«, sagte er, »ich frage mich, ob -«

»Ach sei still!« sagte sie und drehte sich plötzlich zu ihm hin. Ihre Augen wirkten in dem schattigen Zimmer riesig. »Mußt du denn alles hinterfragen, Tom?«

Nachher sagte sie verträumt: »Unter diesen Umständen kannst du mich wohl Marie nennen, glaube ich.«

Am Morgen duschte Blaine, rasierte sich und zog sich an. Marie bestellte per Knopfdruck ein Frühstück für beide. Nachdem sie gegessen hatten, reichte sie ihm einen kleinen Umschlag.

»Wenn du mehr brauchen solltest, kann ich dir noch was geben«, sagte sie. »Was jetzt deinen Job angeht -«

»Du hast mir sehr geholfen«, sagte Blaine. »Aber den Rest würde ich lieber auf eigene Faust machen.«

»Also gut. Meine Adresse und Telefonnummer stehen auf dem Umschlag. Bitte ruf mich an, sobald du ein Hotel gefunden hast.«

»Das werde ich«, sagte er und musterte sie aufmerksam. Es war keine Spur mehr von der Marie der letzten Nacht zu erkennen. Sie hätte eine völlig andere Person sein können. Aber ihre einstudierte Beherrschtheit war Blaine Reaktion genug. Jedenfalls für den Augenblick.

Als sie an der Tür standen, berührte sie seinen Arm. »Tom«, sagte sie, »paß bitte auf dich auf. Und ruf mich an.«

»Das werde ich, Marie«, versprach Blaine. Glücklich und ausgeruht ging er hinaus. Er wollte die Welt erobern.

XII

Blaines erster Gedanke war ursprünglich gewesen, nacheinander die Yacht-Konstruktionsbüros aufzusuchen. Aber er entschied sich dagegen, weil er sich einfach einmal vorgestellt hatte, wie ein Yacht-Designer aus dem Jahre 1806 in ein Büro des Jahres 1958 kam.

Der merkwürdige alte Mann mochte ja sehr talentiert sein, aber was würde ihm das nützen, wenn man ihn fragte, was er von metazentrischer Shelfanalyse verstand, von Flußdiagrammen, von Sekundärkraftzentrierung und der besten Plazierung für Radiopeilgerät und Radar? Welche Firma würde ihn bezahlen, während er alles über Reduktionsgetriebe, abblätternde Lacke, Tanktests, Propellerumdrehungszahlen, Wärmeaustauschsysteme, synthetisches Segeltuch und so weiter lernte?

Keine Chance, entschied Blaine. Er konnte nicht einfach 152 Jahre hinter der Zeit herhinken und in einem Konstruktionsbüro nach einer Stelle fragen. Eine Stelle als was? Vielleicht konnte er viel studieren und sich auf den Stand von 2110 bringen, aber das würde er in seiner Freizeit tun müssen.

Im Augenblick würde er alles annehmen, was er bekommen konnte.

Er ging an einen Zeitungskiosk und kaufte eine mikroverfilmte New York Times und ein Lesegerät. Er ging weiter, bis er eine Bank gefunden hatte, setzte sich und sah sich die Stellenanzeigen an. Schnell ließ er die qualifizierten Angebote aus, für die er ja doch nicht geeignet war, und studierte die Jobs für ungelernte Kräfte. Er las:

»Auto-Cafeteria sucht Mann für Wartung. Lediglich Grundkenntnisse der Robotik erforderlich.«

»Hüllenreiniger für Mar-Coling Raumer gesucht. Muß Rh positiv haben und verstärkter Antiklaustrophobiker sein.«

»Listenmann für hochtensilen Abfalltransporter gesucht. Bedingung: Grundkenntnisse in Jenkling. Verpflegung inklusive.«

Blaine merkte, daß selbst ungelernte Arbeit im Jahre 2110 ihn im Augenblick überfordern würde. Als er die Seite ›Stellenangebote für junge Leute‹ aufschlug, las er:

»Junger Mann gesucht, der sich für Slic-Trug-Maschinen interessiert. Gute Aufstiegsmöglichkeiten. Grundkenntnisse in Integralrechnung und Erfahrung im Gebrauch der Hooteschen Formeln erforderlich.«

»Junger Mann für Außendienstarbeit auf Venus gesucht. Gehalt plus Verkaufsprovision. Grundkenntnisse in Französisch, Deutsch, Russisch und Ourescz erwünscht.«

»Zeitungsausträger: Die Eth-Col-Agentur sucht Zeitungsjungen. Müssen Spenning lenken können. Gute Stadtkenntnisse erforderlich.«

Er konnte also noch nicht einmal als Zeitungsjunge arbeiten!

Es war ein deprimierender Gedanke. Es war offenbar doch schwieriger, eine Stelle zu finden, als er gedacht hatte. War denn niemand mehr in dieser Stadt, der Gräben aushob oder Pakete austrug? Machten die Roboter alle körperlichen Arbeiten, oder brauchte man mittlerweile sogar schon einen Doktortitel, um eine Schubkarre zu schieben? Was war das nur für eine Welt?

Er blätterte zurück auf die erste Seite des New York Times und stellte sein Lesegerät schärfer ein, dann las er die Tagesneuigkeiten:

In Oxa, Südmars, wurde ein neuer Raumhafen gebaut.

Ein Poltergeist war vermutlich die Ursache für mehrere Brände in Industrieanlagen in Chicago. Man hatte mit Versuchsexorzismen begonnen.

Im Sektor Sigma-G des Asteroidengürtels waren reiche Kupfervorkommen entdeckt worden.

In Berlin waren zunehmende Doppelgängeraktivitäten zu verzeichnen.

In den Octopidörfern der Mindanao-Tiefe fanden weitere Forschungsarbeiten statt.

In Spenser, Alabama, hatte ein Mob zwei städtische Zombies gehenkt und verbrannt. Gegen die Rädelsführer waren rechtliche Schritte eingeleitet worden.

Ein führender Anthropologe vertrat die Auffassung, daß das Tuamoto-Archipel in Ozeanien die letzte Bastion des einfachen Lebens in der Art des Zwanzigsten Jahrhunderts sei.

Die Atlantische Fischwächtergesellschaft hielt ihre Jahresversammlung im Waldorf ab.

Im österreichischen Tirol hatte man ohne Erfolg einen Werwolf gejagt. Den Dorfbewohnern wurde angeraten, rund um die Uhr Wachtposten aufzustellen, damit sie sich vor dem Tier schützen könnten.

Im Kongreß war ein Gesetzesvorschlag unterbreitet worden, der Jagden und Gladiatorenkämpfe verbieten sollte. Der Antrag wurde abgelehnt.

In der Unterstadt von San Diego hatte ein Amokläufer vier Menschen getötet.

Die Zahl der Hubschrauberunfälle hatte dieses Jahr bereits die Ein-Millionen-Grenze überschritten.

Blaine legte die Zeitung beiseite, er war deprimierter denn je. Gespenster, Doppelgänger, Werwölfe, Poltergeister … Der Klang dieser vagen, grimmigen alten Worte gefiel ihm ganz und gar nicht; sie schienen heutzutage völlig reale Erscheinungen zu bezeichnen. Er wollte keinem der gefährlicheren Nebeneffekte des Jenseits mehr begegnen.

Er stand auf und ging weiter. Er kam durch das Theaterviertel, schritt an glitzernden Markisen vorbei, an Plakaten, die die Gladiatorenkämpfe im Madison Square Garden anpriesen, an Ankündigungen für Solido-Visionsprogramme und Senso-Shows, an leuchtenden Videowänden, die Übertonkonzerte und venusische Pantomimen ankündigten. Traurig dachte Blaine daran, daß er ein Teil dieses überwältigenden Märchenlands hätte sein können, wenn Reilly sich nicht eines anderen besonnen hätte. Er hätte in einem von diesen Theatern auftreten können, angekündigt als ›Der Mann aus der Vergangenheit‹ …

Natürlich! Plötzlich wurde Blaine klar, daß ein Mann aus der Vergangenheit einen einzigartigen und unzweifelbaren Neuheitswert hatte, ein latentes Talent. Die Rex Corporation hatte sein Leben im Jahre 1958 nur gerettet, um dieses Talent auszuschlachten. Aber sie hatten ihre Meinung geändert. Was sollte ihn denn nun daran hindern, seinen Neuheitswert selbst auszubeuten? Und was sollte er denn auch sonst schon tun? Es sah so aus, als sei das Showgeschäft das einzige Geschäft, das ihm offenstand.

Er eilte in ein riesiges Bürogebäude und sah, daß auf der Liste sechs Theateragenturen standen. Er wählte Barnex, Scofield & Styles aus und nahm den Aufzug zu ihrem Büro im neunzehnten Stock.

Er kam in einen luxuriösen Warteraum, an dessen Wänden gigantische Solidografien von lächelnden Schauspielerinnen hingen. Am anderen Ende des Raums sah ihn eine hübsche Empfangsdame mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Blaine schritt an ihren Schreibtisch. »Ich möchte jemanden wegen meiner Nummer sprechen«, sagte er.