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Es war der Zombie.

Blaine eilte in sein Hotel zurück, er wollte es nicht wahrhaben, daß es Ärger geben könnte. Wenn eine Katze schließlich das Recht hatte, einen König anzublicken, warum sollte ein Zombie dann nicht einen Mann betrachten dürfen, was war denn schon Schlimmes dabei?

Dieser Gedankengang hinderte ihn allerdings nicht daran, bis zum Morgengrauen Alpträume zu haben.

*

Früh am nächsten Morgen ging Blaine zur Kreuzung Park Avenue/42. Straße, um einen Bus zu dem Briefing zu nehmen. Während er wartete, bemerkte er auf der anderen Seite der 42. Straße Unruhe.

Ein Mann war mitten auf dem geschäftigen Gehsteig stehengeblieben. Er lachte vor sich hin, und die Leute entfernten sich langsam von ihm. Blaine schätzte, daß er in seinen Fünfzigern sein mochte; er trug unauffällige Tweedkleidung, hatte eine Brille auf und schien ein wenig Übergewicht zu haben. Er hatte einen kleinen Aktenkoffer in der Hand und sah aus wie zehn Millionen anderer Geschäftsleute auch.

Plötzlich hörte er abrupt auf zu lachen. Er machte den Reißverschluß seines Aktenkoffers auf und holte zwei lange, leicht gebogene Dolche daraus hervor. Er warf den Aktenkoffer fort und danach auch die Brille.

»Amokläufer!« rief irgend jemand.

Der Mann stürzte sich mit blitzenden Dolchen in die Menschenmenge hinein. Die Leute fingen an zu schreien, und die Menge stob vor ihm auseinander.

»Amokläufer! Amokläufer!«

»Ruft die Bullen!«

»Achtung, Amokläufer!«

Ein Mann lag am Boden. Er hielt sich seine zerrissene Schulter und fluchte. Das Gesicht des Amokläufers war nun feurig gerötet, und Speichel troff aus seinem Mund. Er watete noch tiefer in die dichte Menge hinein, und die Menschen stießen sich beim Versuch, zu entfliehen, gegenseitig zu Boden. Eine Frau schrie auf, als sie das Gleichgewicht verlor, und die Pakete, die sie im Arm getragen hatte, verteilten sich über den Gehsteig. Der Amokläufer stieß mit der Linken nach ihr, verfehlte sie und drängte noch tiefer in die Menge ein. Sechs oder acht blauuniformierte Polizisten erschienen mit gespreizten Armen. »Alles auf den Boden!« riefen sie. »Alles in Deckung! Auf den Boden!«

Der Verkehr war zum Erliegen gekommen. Die Leute, die dem Amokläufer im Weg standen, warfen sich zu Boden. Auf Blaines Straßenseite gingen die Leute ebenfalls in Deckung.

Ein sommersprossiges Mädchen von etwa zwölf Jahren zupfte Blaine am Ärmel. »Kommen Sie, Mister, gehen Sie in Deckung! Wollen Sie etwa weggestrahlt werden?«

Blaine legte sich neben sie. Der Amokläufer hatte sich umgedreht und rannte nun auf die Polizisten zu, wobei er wortlose Schreie ausstieß und seine Dolche schwang.

Drei der Polizisten feuerten zur gleichen Zeit, und ihre Waffen gaben gelbe Strahlen von sich, die rot aufglühten, als sie den Amokläufer trafen. Er schrie, als seine Kleidung Feuer zu fangen begann, drehte sich um und versuchte zu fliehen.

Ein Strahl traf ihn voll in den Rücken. Er schleuderte seine Dolche auf die Polizisten und brach zusammen.

Mit wirbelnden Rotorblättern senkte sich ein Krankentransporter hinab, und der Amokläufer und seine Opfer wurden schnell verladen. Die Polizisten begannen damit, die Menge wieder auseinanderzutreiben, die sich um sie gebildet hatte.

»Ist gut, Leute, alles vorbei! Gehen Sie weiter!«

Die Menge löste sich auf. Blaine stand auf und klopfte sich ab. »Was war denn das?« fragte er.

»Das war doch ein Amokläufer, Sie Dummkopf«, sagte das sommersprossige Mädchen. »Haben Sie denn nichts gesehen?«

»Ich hab’s gesehen. Gibt es hier viele davon?«

Sie nickte voller Stolz. »New York hat mehr Amokläufer als jede andere Stadt auf der Welt, mit Ausnahme von Manila. Wir haben etwa fünfzig im Jahr.«

»Mehr«, meinte ein vorbeikommender Mann. »Vielleicht siebzig, achtzig im Jahr. Aber dieser hier war nicht besonders gut.«

Um Blaine und das Mädchen hatte sich eine kleine Gruppe gebildet. Die Leute diskutierten über den Amokläufer auf ähnliche Weise, wie Blaine es bei Fremden in seinem Zeitalter erlebt hatte, die über einen Autounfall redeten.

»Wie viele hat er denn erwischt?«

»Nur fünf und ich glaube nicht, daß er auch nur einen davon getötet hat.«

»Er war nicht voll bei der Sache«, sagte eine alte Frau. »Als ich noch ein Mädchen war, da konnte man sie nicht so einfach aufhalten. Stark waren die damals.«

»Na ja, er hat sich auch einen schlechten Platz ausgesucht«, meinte das sommersprossige Mädchen. »Die 42. Straße ist voll von Bullen. Ein Amokläufer kann ja kaum in Gang kommen, da wird er schon umgestrahlt.«

Ein großer Polizist kam zu ihnen herüber. »Gut, Leute, jetzt macht mal, daß ihr fort kommt. Der Spaß ist vorbei, weitergehen.«

Die Gruppe löste sich auf. Blaine erwischte seinen Bus und fragte sich, warum wohl über fünfzig Leute in New York jährlich amokliefen. Reine Nervosität? Eine wahnsinnige Abart des Individualismus? Erwachsenenkriminalität?

Es war eine der Sachen, die er über die Welt von 2110 herausfinden mußte.

XV

Die Adresse stellte sich als ein Penthouse hoch über der Park Avenue in den siebziger Straßen heraus. Ein Butler führte ihn in ein geräumiges Zimmer, wo man Stühle in einer langen Reihe aufgestellt hatte. Die zwölf Männer, die auf den Stühlen saßen, waren ein lärmender, zäher, wettergegerbter Haufen, schlampig gekleidet und nervös in solch vornehmer Umgebung. Die meisten kannten einander.

»He, Otto! Wieder beim Jagdspiel dabei?«

»Ja. Kein Geld.«

»Wußte doch, daß du wiederkommen würdest. Hallo Tim!«

»Hallo Bjorn! Das ist meine letzte Jagd.«

»Klar. Bis zum nächsten Mal.«

»Nein, ich meine es ernst. Ich kaufe mir eine Samenpreßfarm im Nordatlantischen Becken. Brauche nur noch ein bißchen Anfangskapital.«

»Du wirst dein Anfangskapital versaufen.«

»Diesmal nicht.«

»Hallo Theseus! Wie geht’s deinem Wurfarm?«

»Ganz gut, Chico. Que tal?«

»Nicht übel, Junge.«

»Da ist ja Sammy Jones, immer der Letzte!«

»Bin doch wohl pünktlich, oder?«

»Zehn Minuten zu spät. Wo ist denn dein Partner?«

»Sligo? Tot. Auf dieser Asturias-Jagd.«

»Harte Sache. Jenseits?«

»Unwahrscheinlich.«

Ein Mann trat ins Zimmer und rief: »Gentlemen, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit!«

Er ging in die Mitte des Raums und stellte sich mit in die Hüften gestemmten Armen vor den Jägern auf. Er war ein schlanker, sehniger Mann von mittlerer Größe, in Reithosen gekleidet; er trug ein Hemd mit offenem Kragen. Er hatte einen kleinen, sorgfältig gepflegten Schnurrbart und strahlend blaue Augen in einem braungebrannten Gesicht. Ein paar Minuten blickte er die Jäger der Reihe nach an, während sie hüstelten und unbehaglich mit den Füßen scharrten.

Schließlich sagte er: »Guten Morgen, Gentlemen. Ich bin Charles Hull, Ihr Arbeitgeber und Opfer.« Er schenkte ihnen ein Lächeln ohne jede Wärme. »Zunächst ein paar Worte zum rechtlichen Aspekt unseres Vorgehens, meine Herren. Es hat in letzter Zeit diesbezüglich ein wenig Verwirrung gegeben. Mein Anwalt hat sich intensiv mit der Sache befaßt und wird ein paar Erklärungen abgeben. Mr. Jensen!«

Ein kleiner, nervös wirkender Mann kam ins Zimmer, drückte seine Brille fester auf die Nase und räusperte sich.

»Jawohl, Mr. Hull. Gentlemen, was die Legalität der Jagd angeht: In Übereinstimmung mit den Gesetzesänderungen zum Selbstmordgesetz von 2102 hat jeder Mensch, der durch Jenseitsversicherung abgesichert ist, das Recht, seinen eigenen Tod auf jede beliebige Weise und an jedem beliebigen Ort zu jedem beliebigen Zeitpunkt selbst zu bestimmen, vorausgesetzt, daß die Todesart keinen grausamen und unnatürlichen Mißbrauch dieses Rechts darstellt. Die Begründung für dieses ›Grundrecht zu sterben‹ liegt auf der Hand: Die Gerichte erkennen den physischen Tod nicht als Tod per se an, sofern besagter Tod nicht die Vernichtung des Geistes beinhaltet. Juristisch betrachtet ist der körperliche Tod nichts anderes als das Abschneiden eines Fingernagels, vorausgesetzt, daß der Geist bestehen bleibt. Durch höchstrichterliches Urteil des Obersten Gerichtshofs ist bestimmt worden, daß der Körper ein Anhängsel des Geistes ist, seine Kreatur, mit der der Geist nach Belieben verfahren kann, um sie zu beseitigen.«