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Mr. Kean lehnte sich gegen die Wand des Ganges, um wieder Luft zu bekommen. »Sicher, das Äußere eines Zombies ist unschön. Er torkelt umher, seine Wunden heilen nicht, sein Körper verfällt sehr schnell. Er stottert wie ein Idiot, taumelt wie ein Betrunkener, starrt einen an wie ein Perverser. Aber ist das ein Grund, ihn zur Verkörperung aller Schuld und Schande auf Erden abzustempeln, zum Aussätzigen des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts? Man behauptet, daß Zombies Menschen angreifen; dabei ist der Körper des Durchschnittszombies extrem zerbrechlich, und er könnte in der Regel nicht einmal dem Angriff eines Kindes widerstehen. Man glaubt, daß die Krankheit ansteckend sei, dabei ist das ganz eindeutig nicht der Fall. Man sagt, daß Zombies sexuell pervers sein sollen, aber in Wahrheit hat ein Zombie überhaupt keine sexuellen Empfindungen. Aber die Leute weigern sich, etwas dazuzulernen, und Zombies sind Ausgestoßene, die nur für die Schlaufe der Henker oder für den Scheiterhaufen der Lyncher taugen.«

»Was ist mit den Behörden?« fragte Blaine.

Mr. Kean lächelte verbittert. »Früher haben sie uns barmherzigerweise in Irrenanstalten gesperrt. Sehen Sie, sie wollten ja nicht, daß uns etwas zustoßen sollte, aber Zombies sind nun einmal in der Regel nicht verrückt, und das wußten die Behörden auch! Und so bewohnen wir mit ihrem stillschweigenden Einverständnis diese verlassenen U-Bahntunnel und Abwasserkanäle.«

»Konnten Sie keinen besseren Ort finden?« fragte Blaine.

»Ehrlich gesagt ist uns der Untergrund ganz lieb. Sonnenlicht ist schlecht für unsere Haut, die sich ja nicht mehr erneuern kann.«

Sie schritten weiter. Blaine fragte: »Was kann ich tun?«

»Sie können jemandem erzählen, was Sie hier erfahren haben. Vielleicht darüber schreiben. Sich ausbreitende Wellen …«

»Ich werde tun, was ich kann.«

»Danke«, sagte Mr. Kean feierlich. »Aufklärung ist unsere einzige Hoffnung. Aufklärung und die Zukunft. Bestimmt werden die Menschen der Zukunft etwas aufgeklärter sein.«

Die Zukunft? Plötzlich fühlte Blaine sich schwindelig. Denn das hier war, doch die Zukunft, in die er aus dem idealistischen und hoffnungsvollen zwanzigsten Jahrhundert gereist war. Jetzt war die Zukunft! Aber die versprochene Aufgeklärtheit war nicht gekommen, und die Menschen waren immer noch genauso wie früher. Eine Sekunde lang drückten Blaines Jahrhunderte ihn wie eine schwere Bürde. Er fühlte sich orientierungslos und alt, älter als Kean, älter als die menschliche Rasse – ein Wesen in einem geliehenen Körper, das an einem Ort stand, den es nicht kannte.

»Und jetzt«, sagte Mr. Kean, »sind wir an Ihrem Ziel angelangt.«

Blaine blinkte schnell mit den Augenlidern, und das Leben rückte wieder in die richtige Perspektive. Der matt erleuchtete Gang war zu Ende. Vor ihm stand eine rostige Eisenleiter, die an der Tunnelwand befestigt war und hinauf in die Dunkelheit führte.

»Viel Glück«, sagte Mr. Kean. Er ging fort, auf den Arm des Negers gestützt. Blaine sah zu, wie der alte Mann verschwand, und wandte sich an Smith.

»Wo gehen wir jetzt hin?«

»Die Leiter hoch.«

»Aber wo führt die denn hin?«

Smith hatte bereits mit dem Klettern begonnen. Er blieb stehen, blickte hinunter, und seine bleiernen Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Wir werden einen Freund von Ihnen besuchen, Blaine. Wir werden in sein Grabmal gehen, zu seinem Sarg, und ihn bitten, aufzuhören, Sie heimzusuchen. Vielleicht werden wir ihn auch dazu zwingen.«

»Wer ist es?« fragte Blaine.

Smith grinste nur und stieg weiter. Blaine kletterte hinter ihm her.

XX

Über dem Gang befand sich ein Luftschacht, der in einen weiteren Gang führte. Sie kamen schließlich an eine Tür und gingen hindurch.

Sie befänden sich in einem großen, grell erleuchteten Raum. An der gewölbten Decke befand sich ein Wandgemälde, das einen gut aussehenden Mann mit klaren Augen zeigte, der in Begleitung von Engeln in einen blauen, gazeartigen Himmel eintrat. Blaine wußte sofort, wer das Modell für das Gemälde gewesen war.

»Reilly!«

Smith nickte. »Wir befinden uns in seinem Todespalast.«

»Woher wußten Sie, daß es Reilly ist, der mich heimsucht?«

»Sie hätten selbst drauf kommen können. Nur zwei Menschen, die mit Ihnen zu tun hatten, sind in letzter Zeit gestorben. Das Gespenst war gewiß nicht Ray Melhill. Es konnte nur Reilly sein.«

»Aber warum?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Smith. »Vielleicht wird Reilly es Ihnen selbst sagen.«

Blaine betrachtete die Wände. Man hatte darin Kreuze, Halbmonde, Sterne und Hakenkreuze eingelassen, sowie indische, arabische, chinesische und polynesische Glückszeichen. Auf Podesten rings um den Raum standen Statuen alter Gottheiten. Unter den Dutzenden erkannte Blaine Zeus, Apollo, Dagon, Odin und Astarte. Vor jedem Podest stand ein Altar, und auf jedem Altar ruhte ein geschliffener und polierter Edelstein.

»Wofür ist das?« fragte Blaine.

»Sühneopfer.«

»Aber das Leben nach dem Tode ist doch eine wissenschaftliche Tatsache.«

»Mr. Kean hat mir gesagt, daß die Wissenschaft den Aberglauben nur wenig berührt«, sagte Smith. »Reilly war sich ziemlich sicher, daß er nach dem Tode überleben würde, aber er sah keinen Grund dafür, ein Risiko einzugehen. Außerdem, sagt Mr. Kean, würden die sehr Reichen, genau wie die sehr Frommen, kein Jenseits für jedermann genießen können. Sie glauben, daß sie durch entsprechende Riten und Symbole in einen exklusiveren Teil des Jenseits kommen können.«

»Gibt es denn einen exklusiveren Teil?« fragte Blaine.

»Das weiß niemand. Es ist nur so ein Glaube.«

Smith führte ihn durch den Raum zu einer verzierten Tür, die mit ägyptischen Hieroglyphen und chinesischen Ideogrammen bedeckt war.

»Reillys Leiche ist hier drin«, sagte Smith.

»Gehen wir denn rein?«

»Ja, das müssen wir.«

Smith stieß die Tür auf. Blaine erblickte einen gewaltigen Raum mit Marmorsäulen. Mittendrin stand ein Sarg aus Bronze und Gold, der mit Juwelen besetzt war. Um den Sarg herum standen große Mengen verwirrender Gegenstände: Gemälde und Skulpturen, Musikinstrumente, Schnitzereien, Geräte wie Waschmaschinen, Herde, Kühlschränke und sogar ein kompletter Helikopter. Es gab Kleidungsstücke und Bücher und eine vollständige, üppige Eßtafel.

»Wofür ist denn das ganze Zeug?« fragte Blaine.

»Die Essenz dieser Dinge soll ihren Besitzer ins Jenseits begleiten. Ein alter Glaube.«

Blaines erste Reaktion war Mitleid. Das wissenschaftliche Jenseits hatte den Menschen nicht von der Furcht vor dem Tod befreit, wie es der Fall hätte sein sollen. Im Gegenteil, es hatte seine Ungewißheit noch verstärkt und seinen Wettbewerbsgeist gefördert. Da er sich des Lebens nach dem Tode sicher war, wollte der Mensch es auch verbessert wissen, einen besseren Himmel genießen als die anderen. Die Gleichheit war eine feine Sache, aber zunächst einmal kam die Eigeninitiative. Eine vollkommene, leidenschaftslose Nivellierung war im Jenseits eine genauso unangenehme Vorstellung wie auf Erden. Der Wunsch, besser zu sein, bewegte einen Mann wie Reilly dazu, sich ein Grabmal bauen zu lassen wie die Pharaonen Ägyptens, sein ganzes Leben lang über den Tod nachzugrübeln und die ganze Zeit nach Möglichkeiten zu suchen, seinen Besitz und seine Stellung in der grauen Ungewißheit zu erhalten.

Eine Schande. Und doch, dachte Blaine, gründete sich sein Mitleid nicht vielleicht auf einen Mangel an Glauben daran, daß Reillys Handlungen wirkungsvoll waren? Angenommen, man konnte seine Stellung im Jenseits tatsächlich verbessern: Was sollte man auf der Erde denn dann Besseres tun, als für eine bessere Ewigkeit zu arbeiten?