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Der Gedankengang schien einleuchtend, doch Blaine weigerte sich, daran zu glauben. Das konnte doch wohl nicht der einzige Sinn des Lebens auf Erden sein! Ob gut oder böse, angenehm oder übel, man mußte die Sache um ihrer selbst willen leben.

Smith schritt langsam in den Sargraum, und Blaine unterbrach seine Spekulationen. Der Zombie blieb stehen und betrachtete einen kleinen Tisch, der mit Ornamenten übersät war. Leidenschaftslos trat er den Tisch um. Dann stampfte er langsam eines der Ornamente nach dem anderen in den polierten Marmorboden.

»Was machen Sie da?« fragte Blaine.

»Wollen Sie, daß der Poltergeist Sie in Ruhe läßt?«

»Natürlich.«

»Dann muß er auch einen Grund dafür haben, Sie in Ruhe zu lassen«, sagte Smith und trat gegen eine reichverzierte Ebenholzskulptur.

Das leuchtete Blaine ein. Selbst ein Gespenst mußte wissen, daß es eines Tages die Schwelle verlassen und ins Jenseits eintreten mußte. Wenn es das tat, dann wollte es seine Besitztümer intakt haben, damit sie ihn dort empfangen konnten. Folglich mußte Feuer mit Feuer bekämpft werden, Verfolgung mit Verfolgung.

Trotzdem kam er sich wie ein Vandale vor, als er ein Ölgemälde ergriff und Anstalten machte, seine Faust hindurchzustecken.

»Nicht!« sagte eine Stimme über seinem Kopf.

Blaine und Smith blickten hoch. Über ihnen schien ein blasser, silbriger Nebel zu sein. Aus dem Nebel sagte eine dünne Stimme: »Legen Sie bitte das Gemälde wieder hin.«

Blaine behielt es in der Hand, die Faust zum Schlag bereit. »Sind Sie Reilly?«

»Ja.«

»Warum bespuken Sie mich?«

»Weil Sie Schuld haben! Alles ist Ihre Schuld! Sie haben mich mit Ihrem bösen mörderischen Geist getötet! Ja, Sie, Sie widerliches Ding aus der Vergangenheit, Sie verdammtes Ungeheuer!«

»Das habe ich nicht!« rief Blaine.

»Wohl! Sie sind nicht menschlich! Sie sind unnatürlich! Alle meiden Sie, außer Ihr Freund, der tote Mann! Warum sind Sie denn nicht tot, Sie Mörder!«

Blaines Faust bewegte sich auf das Gemälde zu. Die dünne Stimme kreischte: »Nicht!«

»Werden Sie mich in Ruhe lassen?« fragte Blaine.

»Legen Sie das Gemälde hin«, bettelte die Stimme.

Blaine legte es behutsam hin.

»Ich lasse Sie in Ruhe«, sagte Reilly. »Warum auch nicht? Es gibt Dinge, die Sie nicht sehen können, Blaine, aber ich kann sie sehen. Ihre Zeit auf Erden wird kurz sein, sehr kurz, schmerzlich kurz. Sie werden von denen verraten werden, denen Sie vertraut haben, und diejenigen, die Sie hassen, werden Sie überwältigen. Sie werden sterben, Blaine, nicht in ein paar Jahren, sondern bald, viel schneller, als Sie glauben können. Sie werden betrogen werden und Sie werden von eigener Hand sterben.«

»Sie sind verrückt!« schrie Blaine.

»Bin ich das?« kicherte Reilly. »Bin ich das?«

Der silbrige Nebel verschwand. Reilly war fort.

*

Smith führte ihn durch enge, gewundene Gänge auf die Straße hinaus. Draußen war die Luft eisig, und die Dämmerung hatte alle Gebäude rötlich und grau gefärbt.

Blaine wollte ihm danken, doch Smith schüttelte den Kopf. »Keine Ursache! Schließlich brauche ich Sie, Blaine: Wo wäre ich denn, wenn der Poltergeist Sie umgebracht hätte? Passen Sie auf sich auf, seien Sie vorsichtig. Ohne Sie ist nichts für mich möglich.«

Der Zombie blickte ihn einen Augenblick lang besorgt an, dann eilte er davon. Blaine sah ihm nach und fragte sich, ob es nicht vielleicht besser wäre, ein Dutzend Feinde zu haben als Smith als Freund.

XXI

Eine halbe Stunde später war er an Marie Thornes Apartment. Marie, in einen Morgenmantel gekleidet und ohne Make-Up, blickte ihn verschlafen an und führte ihn in die Küche, wo sie Kaffee, Toast und Rührei per Knopfdruck bestellte.

»Ich wünschte«, sagte sie, »daß du deine theatralischen Auftritte zu einer vernünftigen Zeit machen würdest. Es ist halb sieben am Morgen.«

»Ich werd mich bessern«, sagte Blaine fröhlich.

»Du hast gesagt, du würdest anrufen. Was ist passiert?«

»Hast du dir Sorgen gemacht?«

»Nicht im geringsten. Was ist passiert?«

Während er seinen Toast aß, erzählte Blaine ihr von der Jagd, von dem Spuk und dem Exorzismus. Sie hörte sich alles an, dann sagte sie: »Du bist also jetzt ganz offensichtlich sehr stolz auf dich, und dafür hast du wahrscheinlich auch guten Grund. Aber du weißt immer noch nicht, was Smith von dir will oder wer er überhaupt ist.«

»Hab nicht die geringste Ahnung«, sagte Blaine. »Smith auch nicht. Ehrlich gesagt interessiert es mich auch überhaupt nicht.«

»Was passiert, wenn er es rausbekommt?«

»Darüber mache ich mir erst Sorgen, wenn es soweit ist.«

Marie hob die Augenbrauen, gab jedoch keinen Kommentar ab. »Tom, was hast du jetzt vor?«

»Ich werde mir einen Job suchen.«

»Als Jäger?«

»Nein. Ob es nun logisch sein mag oder nicht, ich werde es bei den Yacht-Konstruktionsbüros versuchen. Dann werde ich herkommen und dich zu vernünftigen Zeiten belästigen. Wie hört sich das an?«

»Unpraktisch. Willst du einen guten Rat haben?«

»Nein.«

»Ich gebe ihn dir trotzdem. Tom, verlasse New York. Geh so weit fort, wie es nur geht. Du kannst nach Fiji oder Samoa.«

»Warum sollte ich?«

Marie begann, rastlos in der Küche auf und ab zu gehen. »Du verstehst diese Welt einfach nicht.«

»Ich denke doch.«

»Nein! Tom, du hast ein paar typische Erlebnisse gehabt, das ist aber auch schon alles. Das bedeutet doch nicht, daß du unsere Kultur verinnerlicht hättest. Du bist geraubt worden, heimgesucht, und du warst auf einer Jagd. Aber das ist doch alles zusammen nicht viel mehr als eine Stadtführung. Reilly hat recht, du bist so verloren und hilflos wie ein Steinzeitmensch in deinem 1958.«

»Das ist albern, und ich wehre mich gegen diesen Vergleich.«

»Na gut, dann sagen wir ein Chinese aus dem vierzehnten Jahrhundert. Angenommen, daß dieser hypothetische Chinese einem Gangster begegnet ist, eine Busfahrt gemacht hat und auf Coney Island war. Würdest du dann sagen, daß er das Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts verstanden hätte?«

»Natürlich nicht. Aber worauf willst du hinaus?«

»Ich will darauf hinaus«, sagte sie, »daß du hier nicht sicher bist und daß du noch nicht einmal ahnst, wo die Gefahren stecken und wie groß sie sind. Zum einen ist dieser verdammte Smith hinter dir her. Dann werden Reillys Erben wohl auch nicht sonderlich erbaut davon sein, daß du sein Grabmal geschändet hast; kann sein, daß sie es für nötig halten werden, deswegen etwas zu unternehmen. Und die Direktoren bei Rex debattieren immer noch darüber, was sie mit dir machen sollen. Du hast die Dinge verändert, durcheinandergebracht. Spürst du das denn nicht?«

»Mit Smith werde ich schon fertig«, sagte Blaine. »Zum Teufel mit Reillys Erben. Und was die Direktoren angeht, was können die mir schon antun?«

Sie ging auf ihn zu und legte die Arme um seinen Hals. »Tom«, sagte sie ernst, »jeder Mann, der hier geboren worden wäre und sich in deiner Lage befände, würde so viel Fersengeld geben wie möglich!«

Blaine hielt sie einen Augenblick fest und streichelte ihr glattes dunkles Haar. Sie machte sich Sorgen um ihn, sie wollte, daß er in Sicherheit war. Aber er war nicht in der Stimmung für Warnungen. Er hatte die Gefahren der Jagd überstanden, er war durch die Eisentür in die Unterwelt eingedrungen und war wieder ans Licht zurückgekehrt. Nun saß er in Maries sonniger Küche und fühlte sich froh, im Einklang mit der Welt. Die Gefahr schien im Augenblick ein akademisches Problem zu sein, das nicht der Rede wert war, und der Gedanke, aus New York zu fliehen, schien absurd.