»Ist das sicher?« fragte Blaine.
»Natürlich nicht. Es ist eine Vermutung. Aber sie klingt sehr vernünftig.«
»Könnten wir mit Rex nicht zuvor eine Abmachung treffen?«
Orc schüttelte den Kopf. »Um ein Geschäft machen zu können, müssen Sie etwas anzubieten haben, Tom. Solange Sie sich in New York aufhalten, ist es für sie einfacher und sicherer, Sie zu töten.«
»Ich glaube, Sie haben recht«, sagte Blaine. »Wie werden Sie mich rausschaffen?«
Orc und Joe blickten einander unglücklich an. Orc sagte: »Tja, das war unser großes Problem. Es schien überhaupt keine Möglichkeit zu geben, Sie lebendig rauszubekommen.«
»Mit Heli oder Jet?«
»Die müssen an den Luftzollstationen landen, und da warten die Jäger überall. Bodenfahrzeuge scheiden ebenfalls aus.«
»Verkleidung?«
»Hätte vielleicht während der ersten Jagdstunde noch klappen können. Jetzt ist das unmöglich, selbst wenn wir eine volle Gesichtschirurgie an Ihnen machen lassen würden. Inzwischen sind die Jäger mit Identitätsscannern ausgerüstet. Sie würden Sie sofort durchschauen.«
»Also gibt es keinen Ausweg?« fragte Blaine.
Orc und Joe wechselten wieder unbehaglich Blicke miteinander. »Es gibt«, sagte Orc, »nur einen Weg. Aber den werden Sie vermutlich nicht besonders mögen.«
»Ich will am Leben bleiben. Was ist das für ein Weg?«
Orc machte eine Pause und zündete sich eine frische Zigarre an. »Wir haben vor, Sie schockzufrosten, fast bis zum absoluten Nullpunkt, wie für eine Raumreise. Dann werden wir Ihren Kadaver in einem Container mit gefrorenem Rindfleisch verschiffen. Ihr Körper wird sich in der Mitte der Ladung befinden, also wird er höchstwahrscheinlich nicht entdeckt werden.«
»Klingt riskant«, sagte Blaine.
»Nicht allzu riskant«, meinte Orc.
Blaine runzelte die Stirn, weil er spürte, daß irgendetwas nicht stimmte. »Ich werde dann wohl bewußtlos sein, oder?«
»So funktioniert das nicht«, erklärte Orc. »Tatsache ist, daß Sie und Ihr Körper sich voneinander trennen müssen. Das ist der Teil, von dem ich befürchtet hatte, daß er Ihnen nicht gefallen würde.«
»Was zum Teufel sagen Sie da?« fragte Blaine und stand auf.
»Immer mit der Ruhe«, sagte Orc. »Setzen Sie sich, rauchen Sie eine Zigarette, trinken Sie einen Schluck Wein. Es ist so, Tom: Wir können keinen schockgefrosteten Körper mit einem Geist drin verschiffen. Auf so etwas warten die Jäger ja gerade. Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn sie schnell die Schiffsladung kontrollieren und mit ihren Scannern feststellen, daß sich in dem Rindfleisch ein Geist befindet? Dann ist der Teufel los. Adieu la musique! Ich versuche nicht, Sie reinzulegen, Tom. Aber so geht das einfach nicht.«
»Was wird denn dann mit meinem Geist?« fragte Blaine und setzte sich wieder.
»Da kommt Joe ins Spiel«, sagte Orc. »Sag es ihm, Joe.«
Joe nickte schnell. »Mein Freund, die Antwort lautet Transplantation.«
»Transplantation?«
»Ich habe Ihnen davon erzählt«, sagte Joe. »An jenem auspizienreichen Abend, als wir uns kennengelernt haben. Erinnern Sie sich noch? Transplantation, der große Freizeitspaß, das Spiel, das von jeder beliebigen Anzahl von Personen gespielt werden kann, der Kitzel abgeschlaffter Geister, das Tonikum für müde Körper. Mr. Blaine, wir haben ein weltweites Netz von Transplantationsteilnehmern. Leute, die gerne tauschen, Männer und Frauen, die es leid sind, immer den gleichen ollen Körper tragen zu müssen. Wir werden Sie in die Organisation einschleusen.«
»Sie wollen meinen Geist über Land verschiffen?« fragte Blaine.
»Genau das ist es! Von Körper zu Körper«, sagte Joe. »Glauben Sie mir, es ist sowohl lehrreich als auch spaßig.«
Blaine sprang derart schnell auf die Beine, daß er seinen Stuhl umkippte. »Von wegen!« sagte er. »Ich habe Ihnen damals schon gesagt, und ich sage es jetzt wieder, daß ich Ihr lausiges kleines Spielchen nicht mitmachen werde! Ich werde mein Glück auf der Straße versuchen.«
Er ging auf die Tür zu.
Joe sagte: »Ich weiß ja, daß es ein bißchen beängstigend klingen mag, aber -«
»Nein!«
Orc schrie ihn an: »Verdammt, Blaine, wollen Sie den Mann nicht wenigstens ausreden lassen?«
»Also gut«, sagte Blaine. »Reden Sie.«
Joe schenkte sich ein halbes Weinglas ein und kippte den Inhalt hinunter. Er sagte: »Mr. Blaine, es ist schwierig, das einem Mann aus der Vergangenheit, wie Sie einer sind, zu erklären. Aber versuchen Sie zu verstehen, was ich Ihnen sage.«
Blaine nickte erschöpft.
»Also dann. Heutzutage wird die Transplantation als Sexspiel verwendet, und so preise ich sie auch an. Warum? Weil die Leute nichts über ihre besseren Möglichkeiten wissen und weil eine reaktionäre Regierung darauf besteht, sie zu verbieten. Aber die Transplantation ist noch viel mehr als nur ein Spiel. Und ob Sie oder die Regierung es wollen oder nicht, die Transplantation stellt die Welt der Zukunft dar!«
Die Augen des kleinen Koberers glitzerten. Blaine setzte sich wieder.
»Zwei Dinge sind für den Menschen von grundlegender Bedeutung«, sagte Joe in schulmeisterlichem Ton. »Eins davon ist das immerwährende Streben des Menschen nach Freiheit: Religionsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Wahlfreiheit – Freiheit eben! Und das zweite Ding, das das menschliche Zusammenleben bestimmt, ist der Versuch der Regierungen, dem Volk diese Freiheit vorzuenthalten.«
Blaine dachte kurz über diese etwas vereinfachte Sicht menschlicher Probleme nach. Aber er hörte weiterhin zu.
»Eine Regierung«, sagte Joe, »enthält dem Volk aus verschiedenen Gründen Freiheiten vor. Aus Gründen der Sicherheit, des persönlichen Gewinns, der Macht oder weil sie der Meinung ist, daß das Volk für diese Freiheit noch nicht reif ist. Aber was immer auch der Grund sein mag: Der Mensch strebt nach Freiheit, und die Regierung strebt danach, ihm diese Freiheit vorzuenthalten. Die Transplantation ist nur ein weiteres Mitglied einer langen Reihe von Freiheiten, nach denen der Mensch gestrebt hat und bei der die Regierung der Meinung war, daß sie nicht gut für ihn sei.«
»Sexuelle Freiheit?« fragte Blaine spöttisch.
»Aber nein!« rief Joe. »Nicht, daß etwas gegen sexuelle Freiheit einzuwenden wäre. Aber die Transplantation ist eigentlich etwas anderes. Klar, so verkaufen wir sie – aus Werbungsgründen. Weil die Leute nichts für abstrakte Vorstellungen übrig haben und keine grauen Theorien schätzen. Sie wollen wissen, was ihnen eine neue Freiheit bringt. Wir zeigen ihnen einen kleinen Teil davon, und sie merken noch viel mehr von alleine.«
»Was wird die Transplantation denn erreichen?« fragte Blaine.
»Die Transplantation«, sagte Joe mit fieberhaftem Eifer, »gibt dem Menschen die Fähigkeit, seine Grenzen, die ihm durch Geburt und Umwelt gesetzt wurden, zu überschreiten.«
»Ach ja?«
»Jawohl! Die Transplantation erlaubt es Ihnen, Wissen, Körper, Talente und Fähigkeiten mit jedem zu tauschen, der dazu bereit ist. Und das wollen viele. Die meisten Menschen möchten nicht ihr ganzes Leben lang immer nur ein paar bestimmte Fähigkeiten haben und damit handeln, so befriedigend diese auch sein können. Der Mensch ist ein viel zu ruheloses Wesen. Musiker möchten Ingenieure sein, Werbeleute möchten Jäger sein, Seeleute möchten Schriftsteller werden. Aber normalerweise gibt es meistens nicht genug Zeit, mehr als eine Reihe von Fähigkeiten in einem Leben zu erwerben und einzusetzen. Und selbst wenn es Zeit genug gäbe, ist der blinde Faktor ›Talent‹ immer noch ein kaum zu überwindendes Hindernis. Denken Sie mal darüber nach, Mr. Blaine. Warum sollte ein Mensch dazu gezwungen werden, sein Leben in einem Körper zu verleben, auf dessen Wahl er keinerlei Einfluß gehabt hat? Das ist, wie wenn man ihm sagen würde, daß er mit den Krankheiten leben soll, die er geerbt hat und nicht versuchen sollte, sie zu heilen. Der Mensch muß die Freiheit haben, sich den Körper und die Talente auszusuchen, die seiner Persönlichkeit gemäß sind.«