Er war unterdurchschnittlich klein, stark muskulös, hatte einen faßgroßen Brustkasten und breite Schultern. Er fühlte sich oberlastig an, denn die Beine schienen für den herkulischen Torso ein wenig zu kurz geraten zu sein. Seine Hände waren groß und schwielig. Blaine machte eine Faust und blickte sie respektvoll an. Wahrscheinlich konnte er mit einem Hieb einen Ochsen niederstrecken, sofern sich ein Ochse auftreiben ließ.
Sein Gesicht war eckig und grobschlächtig, seine Backenknochen standen hervor, seine Kiefer waren kantig, und er hatte eine römische Nase. Sein Haar war blond und gelockt. Seine Augen waren stahlblau. Es war ein gut aussehendes, etwas brutal wirkendes Gesicht.
»Es gefällt mir nicht«, versicherte Blaine von Herzen. »Und ich hasse blonde Locken!«
Sein neuer Körper besaß beachtenswerte Kraft, aber er hatte körperliche Kraft nie gemocht. Der Körper wirkte unbeholfen, ungrazil, schwer zu handhaben. Es war die Sorte Körper, die immer gegen Stühle stieß und auf anderer Leute Zehen trampelte, die Hände immer zu fest drückte, zu laut redete und enorm schwitzte. Kleidung würde diesen Körper immer einengen und schlecht an ihm sitzen. Ein Körper, der andauernd Bewegung brauchen würde. Vielleicht würde er sogar Diät leben müssen; seine neue Physis machte den Eindruck, als würde sie leicht verfetten.
»Körperkraft ist ja ganz in Ordnung«, meinte Blaine zu sich selbst, »sofern man dafür Verwendung hat. Sonst ist sie nur lästig und lenkt einen ab, wie Flügel an einem Dodo.«
Der Körper war schon übel, aber das Gesicht war noch schlimmer. Blaine hatte noch nie kräftige, harte, grobschlächtige Gesichter gemocht. Für Erdarbeiter, Unteroffiziere, Dschungelforscher und so weiter mochten sie ja nützlich sein. Aber nicht für einen Mann, der kultivierte Gesellschaft schätzte. Solch ein Gesicht war ganz offensichtlich unfähig zu subtilerem Ausdruck. Alle Feinheiten, das ganze Zusammenspiel von Linien und Flächen wären vergebliche Liebesmüh. Mit diesem Gesicht konnte man grinsen oder wütend dreinblicken, feinere Gefühle konnte man damit nicht ausdrücken.
Er versuchte, den Spiegel jungenhaft anzulächeln. Das Ergebnis war ein Satyrgrinsen.
»Reingelegt hat man mich!« sagte Blaine voller Bitterkeit.
Es war eindeutig, daß die Qualitäten seines Geistes und die seines Körpers im Widerspruch zueinander standen. Eine Zusammenarbeit zwischen den beiden schien unmöglich. Natürlich könnte seine Persönlichkeit seinen Körper umformen; aber auf der anderen Seite konnte sein Körper auch gewisse Forderungen an seine Persönlichkeit stellen.
»Wir werden ja sehen«, sagte Blaine zu seinem mächtigen Körper, »wir werden ja sehen, wer der Boß ist!«
An seiner linken Schulter befand sich eine lange, gezackte Narbe. Er fragte sich, woher der Körper wohl eine solch ernste Wunde bekommen haben mochte. Dann überlegte er, wer denn eigentlich der wirkliche Besitzer des Körpers gewesen sein könnte. Konnte es sein, daß er immer noch im Gehirn lauerte und darauf wartete, irgendwann einmal die Kontrolle an sich reißen zu können?
Es war sinnlos zu spekulieren. Vielleicht würde er später einmal herausbekommen. Er blickte sich ein letztes Mal im Spiegel an. Was er sah, mochte er gar nicht. Er befürchtete, daß dies so bleiben könne. »Ja ja«, sagte er schließlich, »man frißt eben, was auf den Tisch kommt. Tote können nicht wählerisch sein.«
Das war alles, was er zur Zeit sagen konnte. Blaine wandte sich von dem Spiegel ab und begann, sich anzuziehen.
*
Spät am Nachmittag kam Marie Thorne ins Zimmer. Ohne Voransprache sagte sie nur: »Alles abgeblasen.«
»Abgeblasen?«
»Vorbei, fertig, erledigt!« Sie blickte ihn wütend an und begann, im weißen Zimmer auf und ab zu schreiten. »Die ganze Werbekampagne ist abgeblasen worden.«
Blaine starrte sie an. Die Nachricht war schon interessant, aber noch interessanter war, daß es tatsächlich Anzeichen von Gefühlsregung in Miss Thornes Gesicht gab. Sie war so verdammt selbstbeherrscht gewesen, so vollkommen und grotesk geschäftlich in ihrem Auftreten. Nun war ihr Gesicht gerötet, und ihre schmalen Lippen verzogen sich voller Bitterkeit.
»Volle zwei Jahre lang habe ich an dieser Idee gearbeitet«, schimpfte sie. »Die Firma hat, ich weiß nicht wie viele, Millionen ausgegeben, um Sie hierher zu bringen. Alles ist bereit, alles kann losgehen und dieser verdammte alte Mann sagt: ›Blasen wir die ganze Sache ab!‹«
Sie ist schön, dachte Blaine, aber ihre Schönheit macht ihr keine Freude. Es ist ein geschäftliches Zubehör, wie Haarfrisuren oder Trinkfestigkeit, es wird je nach Bedarf gebraucht und auch mißbraucht. Er stellte sich vor, daß viel zu viele Hände nach Marie Thorne ausgestreckt worden waren. Sie hatte nie eine davon angenommen. Und als die gierigen Hände weiterhin nach ihr gegriffen hatten, da hatte sie Verachtung gelernt, dann Kälte und schließlich Selbsthaß.
Ist ja ein bißchen weit her geholt, dachte Blaine, aber ich bleibe mal dabei, bis sich eine bessere Diagnose ergibt.
»Dieser verdammte, dämliche alte Mann!« flüsterte Marie Thorne gerade.
»Was für ein alter Mann?«
»Reilly, unser glorreicher Präsident.«
»Er hat sich gegen die Werbeaktion entschlossen?«
»Er will, daß die ganze Sache völlig kaschiert wird. Herrje, das ist einfach zu viel! Zwei Jahre lang!«
»Aber warum denn?« fragte Blaine.
Marie Thorne schüttelte erschöpft den Kopf. »Aus zwei Gründen, die beide genauso dämlich sind. Erstens wegen rechtlicher Probleme. Ich habe ihm gesagt, daß Sie die Verzichtserklärung unterschrieben haben und daß die Rechtsanwälte die ganze Sache unter Kontrolle haben, aber er hat Muffen. Er steht kurz vor der Reinkarnation, und er will keinen eventuellen Ärger mit den Behörden. Können Sie sich sowas vorstellen? Ein alter Mann, der sich vor Angst in die Hose macht, soll Rex leiten? Zweitens hat er mit seinem blöden verkalkten alten Großvater geredet, und dem gefällt die Sache nicht. Und das hat den Ausschlag gegeben. Nach zwei Jahren Arbeit!«
»Einen Augenblick mal«, sagte Blaine. »Haben Sie gesagt vor seiner Reinkarnation?«
»Ja. Reilly will es versuchen. Ich persönlich bin der Ansicht, daß er besser damit beraten wäre, zu sterben und die ganze Sache hinter sich zu bringen.«
Es war eine bittere Erklärung, aber Marie Thorne klang nicht bitter, während sie sprach. Sie hörte sich so an, als würde sie eine ganz normale Tatsache von sich geben.
Blaine fragte: »Sie meinen, daß er besser sterben sollte, als zu versuchen zu reinkarnieren?«
»Ich an seiner Stelle würde das vorziehen. Aber ich hatte ja ganz vergessen, daß Sie noch nicht aufgeklärt worden sind. Ich wünschte nur, daß er sich früher dazu entschlossen hätte. Daß dieser senile alte Großvater sich jetzt auch noch einmischen muß -«
»Warum hat Reilly denn seinen Großvater nicht früher gefragt?« fragte Blaine.
»Hat er ja. Aber sein Großvater wollte nicht früher reden.«
»Ich verstehe. Wie alt ist er denn?«
»Reillys Großvater? Als er gestorben ist, war er einundachtzig.«
»Was?«
»Ja, er ist vor ungefähr sechzig Jahren gestorben. Reillys Vater ist auch tot, aber der will überhaupt nicht reden. Das ist eigentlich ein Jammer, denn der hatte wenigstens Sinn fürs Geschäftliche. Warum starren Sie mich denn so an, Blaine? Ach herrje, ich habe ja vergessen, daß Sie gar nicht wissen können, worum es geht. Eigentlich ist alles ganz einfach.«
Einen Augenblick lang stand sie brütend da. Dann nickte sie entschlossen, drehte sich auf dem Absatz um und schritt zur Tür.
»Wo gehen Sie hin?« fragte Blaine.
»Zu Reilly, um ihm zu sagen, was ich von ihm halte! Das kann er mir nicht antun! Er hat’s mir versprochen.«