Blaine hatte noch nie Pflanzen gesehen, die sich derart verhielten. Sie wuchsen mit phantastischer Geschwindigkeit, aus winzigen Samen und Wurzelsprossen wurden große Sträucher und rauhrindige Bäume, klobige Farne, monströse Blumen, triefende grüne Pilzgewächse und gefleckte Lianen. Sie wuchsen schnell, vollendeten ihren Lebenszyklus und verfaulten, wobei sie wieder Samen abgaben, um damit wieder aufs neue anzufangen. Doch keine der Spezies schien dazu in der Lage zu sein, sich fortzupflanzen. Aus den Samen entsprangen Spielarten und Mutationen sowie geschwollene Früchte, verwandelten sich und paßten sich der wilden Umwelt an, kämpften um Lebensraum am Boden und in der Luft und rankten sich zu den künstlichen Sonnen empor, die über ihnen leuchteten. Erfolglose Gewächse verwandelten sich sofort in Parasiten, umklammerten erstickte Bäume und verwandelten sich bei ihrer Umklammerung aufs neue. Manchmal schien es einer ehrgeizigen Pflanze zu gelingen, alles um sich herum zu überwuchern und ihre Gegner zu erwürgen, alles zu besiegen; doch an ihren Stengeln sprossen bereits neue Arten, zogen sie hinab und kämpften um ihren Kadaver. Ab und zu befiel eine Seuche, die selbst pflanzlichen Ursprungs war, den Dschungel und brachte alles in einem Crescendo des Faulens zum Einstürzen. Doch dann faßte eine tapfere Mutation Wurzeln in der Fäulnis, dann eine weitere, und schon ging der Kampf wieder los. Die Pflanzen wandelten sich, wurden größer oder kleiner und übertrumpften sich selbst in ihrem Kampf ums Überleben. Aber keine Entschlossenheit, keine Gerissenheit, keine Selbstübertrumpfung nützte etwas. Nicht eine Spezies brachte es fertig, zu überleben, und schließlich führte jede Anstrengung in den Tod.
Blaine fand die Show beunruhigend. War dieses fatalistische Spektakel etwa charakteristisch für die Welt des Jahres 2110? Er blickte Orc an.
»Wirklich großartig«, sagte Orc, »was diese New Yorker Laboratorien mit schnell wachsenden Mutanten alles anfangen können! Aber es ist natürlich eine Mißgeburtenshow. Man beschleunigt das Wachstum, erzwingt eine Anti-Überlebenssituation, setzt ein bißchen Strahlung ein und versucht, die beste Pflanze gewinnen zu lassen. Ich hab mal gehört, daß diese Pflanzen ihr Wachstumspotential nach zwanzig Stunden erschöpft haben und ersetzt werden müssen.«
»Da endet das also«, sagte Blaine und betrachtete den gequälten, aber immer optimistischen Dschungel. »Im Ersetztwerden.«
»Klar«, sagte Orc, der allen philosophischen Komplikationen einfach auswich. »Sie können es sich ja auch leisten bei den Preisen. Aber das ist Mißgeburtenzeugs. Ich will Ihnen von den Sandpflanzen erzählen, die wir in Arizona züchten.«
Blaine nippte an seinem Whisky und sah zu, wie der Dschungel wuchs, starb und sich wieder erneuerte. Orc sagte: »Mitten in der kochendheißen Wüste. Tatsache. Wir haben es schließlich geschafft, Obst und Gemüse an echte Wüstenbedingungen anzupassen ohne ihren Wasserbedarf zu erhöhen, und zwar zu einem Preis, bei dem wir mit den fruchtbaren Gegenden durchaus konkurrieren können. Ich sag’s Ihnen, Mann, noch fünfzig Jahre und das gesamte Konzept von Fruchtbarkeit hat sich grundlegend gewandelt. Nehmen wir doch mal den Mars als Beispiel -«
Sie verließen den Greens Club und zogen von Bar zu Bar in Richtung Times Square. Orc schien ein paar Schwierigkeiten mit der Sehschärfe zu haben, aber seine Stimme war vollkommen klar, als er über das verlorengegangene marsianische Geheimnis des Anbaus auf Sandböden sprach. Eines Tages, versprach er Blaine, würde es uns gelingen herauszubekommen, wie man Sandpflanzen anbauen konnte, ohne Nährstoffe und Feuchtigkeitsfixierer beimengen zu müssen.
Blaine hatte genug getrunken, um seinen früheren Körper gleich zweimal in ein Koma zu versetzen. Doch sein massiger neuer Körper schien eine schier unerschöpfliche Aufnahmekapazität für Whisky zu haben. Das war mal eine angenehme Abwechslung, einen Körper zu besitzen, der viel Alkohol vertragen konnte. Nicht, daß eine solche primitive Fähigkeit die Nachteile dieses Körpers hätte wettmachen können, fügte er hastig seiner Überlegung hinzu.
Sie überquerten das grelle Chaos des Times Square und gingen in eine Bar an der 44. Straße. Als man ihnen ihre Drinks brachte, kam ein verschlagen dreinblickender kleiner Mann in einem Regenmantel auf sie zu.
»Hallo, Jungs«, sagte er zögernd.
»Willst du’n, Freundchen?« fragte Orc.
»Wollt ihr Jungs ein bißchen Spaß haben?«
»Könnte man so ausdrücken«, sagte Orc gedehnt. »Und den verschaffen wir uns schon selbst, herzlichen Dank auch.«
Der kleine Mann lächelte nervös. »Was ich anbiete, das könnt ihr euch nicht selbst verschaffen.«
»Klartext, Freundchen!« sagte Orc. »Was bieten Sie denn Feines?«
»Ja ja, Jungs, es ist – pst! Blaumänner!«
Zwei blauuniformierte Polizisten kamen in die Bar, blickten sich um und gingen wieder.
»O.K.«, sagte Blaine, »was denn nun?«
»Nennt mich Joe«, sagte der kleine Mann mit einem gewinnenden Lächeln. »Ich bin Anschaffer für ein Transplantationsspielchen, Freunde. Das beste Spiel und der größte Anmacher in der ganzen Stadt!«
»Was zum Teufel ist denn Transplantation?« fragte Blaine.
Orc und Joe blickten ihn beide an. Joe sagte: »Junge, Junge, Freundchen, will ja niemanden beleidigen, aber Sie müssen ja wirklich ein Landei sein! Noch nie von Transplantationen gehört? Mann, nicht zu schnallen!«
»Na gut, bin ich eben ein Bauernjunge«, grollte Blaine und bewegte sein grimmiges, eckiges, hartes Gesicht näher an Joes heran. »Was ist Transplantation?«
»Nicht so laut!« flüsterte Joe und zuckte zurück. »Immer mit der Ruhe, Farmer, ich erklär’s ja schon! Transplantation ist ein neues Tauschspiel, Kamerad. Haben Sie das Leben satt? Glauben Sie, Sie hätten schon alles ausprobiert, alles abgecheckt? Dann warten Sie mal, bis Sie Transplantation probiert haben! Sehen Sie, Farmer, Leute, die’s wissen, sagen, daß normaler Sex ungefähr so reizvoll ist wie schimmlige Kartoffeln. Verstehen Sie mich nicht falsch, für Vögel und Bienen und Tiere ist das ja völlig in Ordnung. Ihre kleinen Tierherzchen bringt das noch in Aufregung, und wer sind wir denn, daß wir behaupten könnten, daß sei falsch? Als Mittel der Arterhaltung ist der kleine alte Sextrick der Natur immer noch logo und cool. Aber wer sich wirklich antörnen will, anspruchsvoll ist, Mann, der macht Transplantation.
Transplantation ist demokratisch, Freund. Gibt einem die Gelegenheit, mit jemand anderem zu tauschen und zu fühlen, wie die anderen neunundneunzig Prozent fühlen. Man könnte sagen, daß es bildenden Wert hat, und es fängt dort an, wo gewöhnlicher Sex aufhört. Schon mal das Verlangen gehabt, sich wie ein überkandidelter Lateinamerikaner zu fühlen, Freund? Das können Sie, mit Transplantation. Haben Sie sich schon immer mal gefragt, was wohl in einem echten Sadisten so vorgeht? Dann klinken Sie sich mit Transplantation ein! Und es gibt noch mehr, noch viel viel mehr! Zum Beispiel, warum sein ganzes Leben ein Mann bleiben? Sie haben’s doch jetzt zu Genüge bewiesen, warum dran kleben? Warum nicht auch mal zur Abwechslung eine Weile lang eine Frau sein? Mit der Transplantation können Sie in den schönsten Augenblicken des Lebens an Bord eines unserer extra ausgesuchten Mädchen sein.«
»Voyeurismus«, sagte Blaine.
»Ich kenne diese großen Worte«, sagte Joe, »und sie treffen nicht zu. Das hier ist kein Spannerspiel. Mit der Transplantation sind Sie wirklich dabei, direkt im alten Korpus drin, bewegen diese exotischen Muskeln und spüren dieses irre Kitzeln. Schon mal gedacht, daß es ganz nett wäre, mal ein Tiger zu sein und in der Paarungszeit hinter einer Tigerin herzujagen, Farmer? Freund, wir haben einen Tiger und auch eine Tigerin! Schon mal überlegt, was ein Mann wohl für ein Vergnügen bei der Flagellation empfindet, beim Schuhfetischismus, bei der Nekrophilie und so? Transplantation macht’s möglich! Unser Körperkatalog liest sich wie ein Lexikon. Bei Transplantation liegen Sie nie falsch, Freunde, und unsere Preise sind geradezu lächerlich niedrig ge -«