»Raus!« sagte Blaine.
»Was ist denn, Freundchen?«
Blaines große Hand schoß hervor und packte Joe vorne am Regenmantel. Er hob den kleinen Anmacher hoch, bis er mit ihm auf Augenhöhe war und sah ihn wütend an.
»Nehmen Sie ihre widerlichen Perversionen, und machen sie die Fliege!« knurrte Blaine. »Typen wie Sie haben solche abartigen Schweinereien schon seit der Zeit von Babylon verkauft, und Leute wie ich haben nicht angebissen. Und jetzt machen Sie, daß Sie fortkommen, bevor ich Ihnen in einem kleinen Anfall von sadistischem Spaß das Genick breche!«
Er ließ ihn los. Joe strich seinen Regenmantel glatt und lächelte nervös. »Schon gut, Freund, wollte ja niemanden beleidigen. Ich geh ja schon. Schön, heute abend ist Ihnen eben nicht so danach, macht ja nichts. Gibt ja noch viele Nächte. Die Transplantation ist die Masche der Zukunft, Farmerjunge! Warum dagegen sein?«
Blaine wollte vorstürmen, doch Orc hielt ihn zurück. Der kleine Pusher huschte aus der Tür hinaus.
»Er ist es nicht wert«, sagte Orc. »Die Bullen würden Sie nur einlochen. Ist eine traurige, kranke, schmutzige Welt, Freund. Prost!«
Blaine kippte, immer noch innerlich kochend, den Whisky hinunter. Transplantation! Wenn das eine typische Vergnügung des Jahres 2110 sein sollte, dann wollte er nichts damit zu tun haben. Orc hatte recht, es war eine traurige, kranke, schmutzige Welt. Selbst der Whisky fing schon an, komisch zu schmecken.
Er hielt sich an der Theke fest. Der Whisky schmeckte ja äußerst komisch. Was war los mit ihm? Das Zeug schien ihm in den Kopf zu steigen.
Orc hatte den Arm um seine Schulter gelegt. »Na, da hat mein alter Freund wohl einen zuviel gehoben«, sagte er soeben. »Bring ihn wohl mal besser in sein Hotel zurück.«
Doch Orc wußte nicht, wo sein Hotel war. Er hatte nicht einmal ein Hotel, in das er ihn hätte bringen können. Orc, dieser verdammte, schnellredende, gerade blickende Orc mußte etwas in seinen Drink getan haben, während er mit Joe gesprochen hatte.
Um ihn auszunehmen? Aber Orc wußte doch, daß er kein Geld hatte. Warum dann?
Er versuchte, den Arm abzuschütteln. Er ruhte wie ein Eisenträger auf seiner Schulter. »Keine Angst«, sagte Orc. »Ich werde mich schon um dich kümmern, Freund.«
Träge drehte sich die Bar um Blaines Kopf. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er mit der zweifelhaften Methode der direkten Erfahrung eine ganze Menge über 2110 herausfinden würde. Wahrscheinlich sogar erheblich zuviel. Vielleicht wäre eine verstaubte Bibliothek doch besser gewesen.
Die Bar drehte sich immer schneller um ihn. Blaine verlor das Bewußtsein.
VI
In einem dürftig beleuchteten kleinen Raum ohne Möbel, Türen und Fenster kam er wieder zu sich. Die einzige Öffnung war ein abgeschirmtes Ventilationsloch an der Decke. Die Wände und der Fußboden waren dick gepolstert, doch die Polsterung war lange nicht mehr geschrubbt worden. Sie stank ganz erbärmlich.
Blaine setzte sich auf, und zwei rotglühende Nadeln stachen ihm in die Augen. Er legte sich wieder hin.
»Ganz ruhig«, sagte eine Stimme. »Diese Knockouttropfen brauchen eine Weile, bis sie nicht mehr wirken.«
Er war nicht allein in dem gepolsterten Zimmer. In der Ecke saß ein Mann und beobachtete ihn. Der Mann trug lediglich kurze Hosen. Als er an sich selbst hinunterblickte, sah Blaine, daß er genauso gekleidet war.
Vorsichtig setzte er sich auf und lehnte sich gegen eine Wand. Einen Augenblick lang fürchtete er, daß sein Kopf explodieren würde. Dann, als die Nadeln unbarmherzig auf ihn einstachen, fürchtete er, daß er das eben nicht tun würde.
»Was ist das hier?« fragte er.
»Endstation«, sagte der Mann fröhlich. »Eingetütet haben sie dich. Eingetütet und hierher gebracht, wie ein Fabrikerzeugnis. Jetzt brauchen sie dich nur noch in eine Kiste zu packen und einen Aufkleber draufzupappen.«
Blaine verstand nicht, was der Mann sagte. Der Sinn stand ihm nicht sonderlich nach dem Slang des Jahres 2110. Er hielt sich den Kopf und fragte: »Ich habe kein Geld. Warum haben sie mich dann eingetütet?«
»Red keinen Quatsch!« sagt der Mann. »Warum sollten sie dich wohl eintüten, eh? Sie wollen deinen Körper, Mann!«
»Meinen Körper?«
»Klar. Als Wirt.«
Ein Wirtskörper, dachte Blaine, so einer, wie er ihn gerade hatte. Aber klar! Natürlich! Es war ja ganz logisch, wenn man nur mal drüber nachdachte. Dieses Zeitalter brauchte eine riesige Menge Wirtskörper für die unterschiedlichsten Zwecke. Aber wie kommt man wohl an Wirtskörper ran? Die wachsen schließlich nicht auf Bäumen, und ausgraben kann man sie auch nicht. Man holt sie von Leuten. Die meisten Leute haben es gar nicht gern, ihren Körper zu verkaufen; ohne Körper ist das Leben schließlich ziemlich sinnlos. Wie deckt man also dann den Bedarf?
Ganz einfach. Man sucht sich irgendeinen Blödmann, pumpt ihn mit Drogen voll, versteckt ihn, entfernt seinen Geist und nimmt sich dann den Körper.
Es war ein interessanter Gedankengang, aber Blaine konnte ihn nicht länger verfolgen. Es sah so aus, als habe sich sein Kopf nun doch dazu entschlossen, zu explodieren.
*
Später ließ dann der Kater nach. Blaine setzte sich auf und erblickte ein Sandwich, das neben ihm auf einem Pappteller lag, daneben stand ein Becher mit irgendeiner dunklen Flüssigkeit.
»Man kann es ruhig essen«, sagte der Mann. »Man sorgt ganz gut für uns. Ich hab mal gehört, daß der Schwarzmarktpreis für einen Körper an die viertausend Dollar betragen soll.«
»Schwarzmarkt?«
»Mann, was ist denn los mit dir? Aufwachen! Du weißt doch, daß es einen Schwarzmarkt für Körper gibt, genau wie es auch einen offenen Markt für Körper gibt.«
Blaine nippte an der dunklen Flüssigkeit, die sich als Kaffee herausstellte. Der Mann stellte sich als Ray Melhill vor, ein Flußmechaniker vom Raumschiff Bremen. Er war ungefähr so alt wie Blaine, ein gedrungener, rotköpfiger Mann mit Stupsnase und leicht hervorstehenden Zähnen. Selbst in dieser mißlichen Lage war er noch gut aufgelegt und selbstsicher – das unzerstörbare Selbstvertrauen eines Mannes, der immer noch irgendwie gerettet wird. Seine gefleckte Haut war sehr blaß bis auf einen kleinen roten Fleck am Hals, eine alte Strahlungsverbrennung.
»Ich hätte es eigentlich besser wissen sollen«, sagte Melhill. »Aber wir waren schon drei Monate auf der Asteroidenstrecke im Transit, und ich wollte einfach mal wieder auf den Putz hauen. Wenn ich bei den Jungs geblieben wäre, dann wäre nichts passiert, aber wir haben uns aus den Augen verloren. Also landete ich in einer besseren Hundehütte bei einer schmierigen Miranda. Sie hat meinen Drink gezwiebelt, und da bin ich hier aufgewacht.«
Melhill lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurück. »Ausgerechnet mir mußte das passieren! Wo ich den Jungs immer gesagt habe, sie sollten bloß aufpassen! Jungs, habe ich zu ihnen gesagt, immer bei der Gruppe bleiben. Weißt du, es macht mir eigentlich nicht viel aus, sterben zu müssen. Aber wenn ich daran denke, daß diese Bastarde meinen Körper irgend so einem dreckigen, versoffenen alten Fettsack geben, nur damit er noch fünfzig Jahre hier rumgurken kann, dann kriege ich die Wut. So ein fetter alter Schmierbold in meinem Körper. Mein Gott!«