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Das Hospital war ein enges, niedriges Gebäude, einstöckig, mit einem kleinen Gärtchen.

Drei Tage nach seiner Ankunft besichtigte der Bischof das Hospital. Dann ließ er den Direktor zu sich bitten.

»Herr Direktor«, sagte er, »mit wieviel Kranken ist Ihr Spital augenblicklich belegt?«

»Wir haben sechsundzwanzig Patienten, Monsignore.«

»Soviel habe ich auch gezählt.«

»Wir haben die Betten recht eng aneinanderrücken müssen«, meinte der Direktor.

»Ich habe es bemerkt.«

»Die Krankensäle sind nur kleine Zimmer und schwer zu lüften.«

»Das scheint mir auch so.«

»Selten fällt ein Sonnenstrahl in den Garten, und dann ist zu wenig Platz da, die Kranken darin unterzubringen.«

»Das habe ich mir auch gesagt.«

»Wenn Epidemien ausbrechen – wir hatten heuer den Typhus und vor zwei Jahren das Fieber –, zählen wir manchmal bis zu hundert Kranke und wissen nicht, wo wir sie unterbringen sollen.«

»Dieser Gedanke ist mir auch gekommen.«

»Was wollen Sie, Monsignore? Man muß sich darein schicken.«

Dieses Gespräch fand in dem Speisesaal im Erdgeschoß statt.

Der Bischof schwieg einen Augenblick, dann wandte er sich unvermittelt an den Direktor.

»Wieviel Betten könnte man wohl in diesem Saal unterbringen?«

»Im Speisesaal des bischöflichen Palais?« fragte der Direktor verblüfft.

Der Bischof überschaute den Saal und schien die Maße zu überschlagen.

»Man könnte hier ganz gut zwanzig Betten unterstellen«, sagte er leise, als ob er mit sich selbst spräche; dann wieder laut:

»Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Direktor. Hier liegt offenbar ein Irrtum vor. Sie sind sechsundzwanzig Leute in fünf oder sechs kleinen Zimmern, wir sind unser drei und haben Platz für sechzig; das kann nur ein Irrtum sein, finde ich. Also: Sie haben mein Haus und ich das Ihre, so wird es sein. Geben Sie mir mein Haus zurück, dieses hier gehört Ihnen.«

Am nächsten Tag wurden die sechsundzwanzig armen Kranken im bischöflichen Palais untergebracht, und der Bischof bezog das Hospital.

Da die Revolution seine Familie ruiniert hatte, besaß Myriel kein Vermögen. Seine Schwester bezog eine Rente von fünfhundert Franken, die, solange sie bei ihrem Bruder wohnte, für ihre persönlichen Ausgaben ausreichten. Myriel empfing vom Staat als Bischof ein Gehalt von fünfzehntausend Franken. An dem Tage, als er das Hospital bezog, setzte er fest, wie diese Summe ein für allemal aufgeteilt werden sollte. Wir geben hier eine von ihm eigenhändig geschriebene Aufstellung wieder.

Ausgaben meines Haushaltes:

für das kleine Seminar 1 500 Livres

für die Missionskongregation 100 ”

für die Lazaristen von Montdidier 100 ”

für das Seminar der auswärtigen Missionen in Paris 200 ”

für die Kongregation des Heiligen Geistes 150 ”

für die Kirchen im Heiligen Lande 100 ”

für die Gesellschaft zur Pflege der Wöchnerinnen 300 ”

für die gleiche Gesellschaft in Arles 50 ”

Hilfswerk für die Verbesserung der Gefängnisse 400 ”

Hilfswerk für entlassene Sträflinge 500 ”

für die Befreiung von Familienvätern aus dem Schuldgefängnis 1 000 ”

Unterstützungsfonds für schlechtbezahlte Schullehrer der Diözese 2 000 ”

für die Getreidespeicher des Departements Hautes Alpes 100 ”

Kongregation zu Digne, Manosque und Sisteron zur Erteilung unentgeltlichen Unterrichts an mittellose Mädchen 1 500 ”

für die Armen 6 000 ”

persönliche Aufwendungen 1 000 ”

Summa 15 000 Livres

Solange Myriel Bischof von Digne war, änderte er nichts an dieser Bestimmung. Das nannte er seinen Haushalt führen.

Fräulein Baptistine unterwarf sich dieser Anordnung vorbehaltlos. Für diese fromme Frau war Myriel zugleich Bruder und Bischof, ein Freund, den die Natur ihr bestimmt hatte, und ein Vorgesetzter, dem die Kirche sie unterstellte. Sie liebte und verehrte ihn. Wenn er sprach, unterwarf sie sich; was er tat, war wohlgetan. Nur die Haushälterin, Frau Magloire, murrte ein wenig. Hatte doch der Bischof, wie der Leser wohl bemerkt hat, nur tausend Livres sich selbst vorbehalten, was – mit Fräulein Baptistines Rente – fünfzehnhundert Franken jährlich ausmachte. Damit sollten die beiden alten Frauen und der Greis ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Und wenn ein Landpfarrer nach Digne kam, fand der Bischof noch Mittel und Wege, ihn zu bewirten, dank der Haushaltungskunst Frau Magloires und der geschickten Wirtschaftsführung Fräulein Baptistines.

Eines Tages, er war damals schon fast drei Monate in Digne, sagte der Bischof:

»Mit dieser Summe bin ich denn doch ein wenig beengt.«

»Das denke ich wohl auch!« rief Frau Magloire. »Monsignore haben ja nicht einmal die Rente in Anspruch genommen, die Ihnen das Departement für die Kosten einer Equipage und Reisespesen schuldet. Früher pflegten die Bischöfe dieses Geld zu beheben.«

»Allerdings«, sagte der Bischof, »Sie haben recht, Frau Magloire.«

Und er forderte seine Rente an.

Der Generalrat prüfte einige Zeit später seine Ansprüche und bewilligte ihm eine jährliche Zuwendung von dreitausend Franken unter dem Titeclass="underline" Gebühren des Herrn Bischofs für Kosten einer Equipage, Postfahrten und Aufwendungen bei Reisen in der Diözese.

Bei der Bürgerschaft gab es großes Geschrei, und ein Senator des Kaiserreichs, der ehemals Mitglied des Rats der Fünfhundert gewesen war, am 18. Brumaire für Napoléon gestimmt und dafür in der Nähe von Digne ein prächtiges Gut geschenkt bekommen hatte, schrieb dem Kultusminister, Bigot de Préameneu, einen sehr entrüsteten, vertraulichen Brief, dem wir folgendes wörtlich entnehmen:

»Kosten einer Equipage? Wozu eine Equipage in einer Stadt mit viertausend Einwohnern? Reisen in der Diözese? Wozu sollen die dienen? Und seit wann reist man in diesem Gebirgsland mit der Postkutsche? Es gibt ja gar keine befahrbaren Straßen hier! Hier reist man zu Pferd. Sogar die Durancebrücke bei Château-Arnoux trägt kaum ein Ochsenfuhrwerk! Aber so sind diese Geistlichen – habsüchtig und geizig. Der hier hat sich zuerst als Apostel aufgespielt. Jetzt macht er es wie die anderen, braucht eine Equipage und eine Postkutsche! Will Luxus haben wie die Bischöfe von Anno dazumal. Ach, dieses ganze Pfaffenpack! Herr Graf, es wird uns nicht besser gehen, solange der Kaiser uns diese Kerle nicht vom Halse schafft. Nieder mit dem Papst!« (Man stand damals schlecht mit Rom.) »Ich für meinen Teil brauche nur den Kaiser und sonst nichts« usw. usw.

Dagegen war Frau Magloire sehr erfreut.

»Gut«, sagte sie zu Fräulein Baptistine, »zuerst hat Monsignore für die andern gesorgt, jetzt denkt er auch an sich. Für Wohltätigkeit ist genug geschehen. Diese dreitausend Livres bleiben für uns. Endlich!«

Am selben Abend stellte der Bischof einen neuen Haushaltungskalkül auf und übergab ihn seiner Schwester.

Kosten der Equipage und Reisespesen:

für Bouillon dem Spital 1 500 Livres

für die Gesellschaft zur Pflege der Wöchnerinnen in Aix 250 ”

für die Gesellschaft zur Pflege der Wöchnerinnen in Draguignan 250 ”

für Findelkinder 500 ”

für Waisenkinder 500 ”

Summa 3 000 Livres

Das war Myriels Budget.

Was die Nebeneinkünfte des Episkopats betraf, Aufgebote, Dispensen, Taufgelder, Predigtgebühren, Einweihungen von Kirchen und Kapellen, Hochzeiten usw., so trieb der Bischof sie von den Reichen um so strenger ein, als er sie insgesamt den Armen zuwandte.

Nach einiger Zeit flossen ihm auch reichliche Hilfsgelder zu. Besitzende und Bedürftige klopften an seine Tür, um milde Gaben zu spenden oder zu empfangen. Binnen Jahresfrist war der Bischof der Schatzmeister der öffentlichen Wohltätigkeit, der Bankier des Elends. Beträchtliche Summen flossen durch seine Hände, aber nichts konnte ihn veranlassen, auch nur im geringsten seine Lebenshaltung zu verändern und dem Notwendigsten Überflüssiges hinzuzufügen.