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»Guten Morgen.« Der Assistenzarzt winkte. »Kommen Sie alle herein.«

Nacheinander traten die Lernschwestern durch die Tür. Es waren sechs, und während sie eintraten, blickte jede beklommen nach der Leiche auf dem Tisch. Mike Seddons grinste. »Beeilt euch, Kinder. Noch findet ihr die besten Plätze.«

Seddons betrachtete die Gruppe Mädchen abschätzend. Es waren ein paar Neue dabei, die er vorher noch nicht gesehen hatte. Eine davon war brünett. Er betrachtete sie noch einmal. Tatsächlich. Selbst unter der Hülle der spartanischen Lernschwesternuniform war unverkennbar: die hier war etwas Besonderes. Mit scheinbarer Beiläufigkeit durchquerte er den Obduktionsraum, und als er zurückkam, gelang es ihm, sich zwischen das Mädchen, das ihm aufgefallen war, und die übrige Gruppe zu drängen. Er lächelte breit zu ihr hinunter und sagte leise: »Ich kann mich nicht entsinnen, Sie schon einmal gesehen zu haben.«

»Ich bin genauso lange hier wie die anderen.« Sie musterte ihn ungeniert und neugierig und fügte dann spöttisch hinzu: »Übrigens hat man mich belehrt, daß die Herren Ärzte Lernschwestern im ersten Jahr überhaupt nicht bemerken.«

Er schien darüber nachzudenken. »Nun, das ist die allgemeine Regel. Aber manchmal machen wir Ausnahmen. Es hängt natürlich von der Lernschwester ab.« Mit offen bewundernden Blicken fügte er hinzu: »Im übrigen, ich heiße Mike Seddons.«

Sie antwortete: »Und ich heiße Vivian Loburton.« Dann bemerkte sie den mißbilligenden Blick der Schulschwester und brach plötzlich ab. Vivian gefiel dieser rothaarige junge Arzt, irgendwie schien es aber unangebracht, hier zu plaudern und zu scherzen. Schließlich war der Mann auf dem Tisch tot. Er sei gerade gestorben, war ihnen oben gesagt worden. Das war der Grund, weshalb sie und die anderen Lernschwestern von ihrer Arbeit abgerufen worden waren, um bei der Obduktion zuzusehen. Der Gedanke an das Wort Obduktion brachte sie zu dem zurück, was hier geschehen sollte. Vivian fragte sich, wie sie darauf reagieren würde; sie fühlte sich jetzt schon unbehaglich. Sie nahm an, daß sie sich als Krankenschwester an den Anblick von Toten gewöhnen müsse, aber im Augenblick war er noch fremd und ziemlich furchterregend.

Durch den Gang näherten sich Schritte. Seddons berührte sie am Arm und flüsterte: »Wir werden uns wiedersehen, bald.« Dann wurde die Tür aufgestoßen, und die Lernschwestern zogen sich respektvoll zurück, als Dr. Joseph Pearson eintrat. Er grüßte sie mit einem knappen »Guten Morgen«, ging, ohne auf die gemurmelte Antwort zu warten, auf den Schrank zu, streifte seinen weißen Mantel ab und stieß seine Arme in einen Kittel, den er aus dem Schrank genommen hatte. Pearson winkte Seddons, der zu ihm trat, und die Bänder im Rücken des Kittels zuband. Darauf traten die beiden wie eine gut gedrillte Mannschaft an ein Waschbecken, wo Seddons aus einer Dose Talkum über Pearsons Hände streute, dann ein paar Gummihandschuhe bereithielt, in die der alte Mann seine Hände hineinstieß. Alles das vollzog sich schweigend. Jetzt verschob Pearson seine Zigarre etwas und knurrte ein »Danke«.

Er trat an den Tisch, nahm die Notiztafel, die McNeil ihm entgegenhielt und begann zu lesen, anscheinend, ohne etwas anderes zu bemerken. Bisher hatte Pearson noch nicht einen Blick auf die Leiche geworfen. Während auch Seddons an den Tisch trat, beobachtete er verstohlen diese Szene, und unwillkürlich verglich er sie mit dem Auftreten eines Dirigenten vor einem Symphonieorchester. Es fehlte nur der Applaus.

Nachdem auch Pearson die Krankengeschichte durchgelesen hatte, untersuchte er die Leiche, verglich seine Befunde mit Seddons Aufzeichnungen. Dann legte er die Notiztafel nieder, nahm die Zigarre aus dem Mund und sah die Schwestern auf der anderen Seite des Tisches an. »Es ist das erste Mal, daß Sie einer Obduktion beiwohnen, vermute ich?«

Die Mädchen murmelten: »Ja, Sir« oder »Ja, Doktor«.

Pearson nickte. »Dann will ich Ihnen mitteilen, daß ich Dr.

Pearson, der Pathologe an diesem Krankenhaus, bin. Diese Herren sind Dr. McNeil, der Assistenzarzt in der Pathologie, und Dr. Seddons, Assistenzarzt in der Chirurgie im dritten Jahr.« Er wendete sich zu Seddons. »Das stimmt doch?« Seddons lächelte. »Genau, Dr. Pearson.« Pearson fuhr fort: » Im dritten Jahr Assistenzarzt der Chirurgie, der uns gegenwärtig eine Zeitlang die Ehre gibt, in der Pathologie tätig zu sein.« Er sah Seddons an. »Dr. Seddons wird sich bald qualifiziert haben, sich als Chirurg niederzulassen, und wird dann auf eine gutgläubige Menschheit losgelassen werden.«

Zwei der Mädchen kicherten, die anderen lächelten. Seddons grinste. Das machte ihm Spaß. Pearson ließ sich nie eine Gelegenheit entgehen, einen Hieb gegen die Chirurgen und die Chirurgie zu führen. Wahrscheinlich mit gutem Grund. In seinen vierzig Jahren in der Pathologie mußte der alte Mann einer Menge chirurgischer Scharlatane begegnet sein. Er sah zu McNeil hinüber. Der Assistenzarzt runzelte die Stirn. Er billigt das nicht, dachte Seddons, Mac zieht die Pathologie ohne Randbemerkungen vor. Jetzt sprach Pearson wieder:

»Der Pathologe ist häufig als der Arzt bekannt, den der Patient selten sieht. Dennoch haben wenige Abteilungen eines Krankenhauses eine größere Bedeutung für die Gesundheit der Patienten.« Jetzt kommt das Verkaufsgespräch, dachte Seddons, und Pearsons nächste Worte gaben ihm recht.

»In der Pathologie wird das Blut eines Patienten untersucht, und seine Exkremente. Es wird seiner Krankheit nachgespürt, entschieden, ob sein Tumor gutartig oder bösartig ist. Es ist die Pathologie, die den Arzt des Patienten über die Krankheit berät, und manchmal, wenn alles andere in der Medizin versagt« -Pearson machte eine Pause; er sah bedeutungsvoll auf die Leiche von George Andrew Dunton hinunter, und die Augen der Lernschwestern folgten seinem Blick -, »ist es der Pathologe, der die abschließende, die letzte Diagnose stellt.«

Wieder machte Pearson eine Pause. Was für ein großartiger Schauspieler ist der alte Mann, dachte Seddons. Was für ein ungehemmter, geborener Komödiant.

Jetzt hob Pearson achtunggebietend seine Zigarre. »Ich empfehle«, sagte er zu den Schwestern, »ein paar Worte, die Sie an den Wänden vieler Obduktionsräume finden werden, Ihrer Aufmerksamkeit.« Ihre Blicke folgten seiner Hand zu einem gerahmten Spruch, der von einem geschäftstüchtigen Lieferanten für Laboratoriumsmaterial als Werbegabe geliefert worden war: Mortui vivos docent. Pearson las den lateinischen Text laut vor und übersetzte dann: »Die Toten lehren die Lebenden.« Er blickte wieder auf die Leiche hinunter. »Das wird jetzt geschehen. Dieser Mann starb dem Anschein nach« -er betonte die Worte »dem Anschein nach« - »an Herzthrombose. Die Obduktion wird feststellen, ob das stimmt.«

Damit zog Pearson tief an seiner Zigarre, und Seddons, der wußte, was kam, trat näher. Er selbst war vielleicht nicht mehr als ein Statist bei dieser Szene, aber er hatte nicht die Absicht, einen Auftritt zu verpassen. Als Pearson geräuschvoll eine blaue Rauchwolke von sich stieß, reichte er Seddons die Zigarre, der sie nahm und von dem Obduktionstisch entfernt niederlegte. Jetzt überprüfte Pearson die vor ihm ausgelegten Instrumente und wählte ein Messer. Mit den Augen schätzte er ab, wo er schneiden würde, setzte dann die scharfe Stahlklinge an und schnitt schnell, sauber und tief.

McNeil beobachtete verstohlen die Lernschwestern. Weiche und empfindsame Naturen sollten niemals gezwungen werden, an einer Obduktion teilzunehmen, dachte er. Aber selbst für Erfahrene ist der erste Einschnitt manchmal schwer zu ertragen. Bis zu diesem Punkt hatte die Leiche auf dem Tisch zumindest äußerlich Ähnlichkeit mit einem Lebenden gezeigt. Aber wenn das Messer erst einmal angesetzt wurde, dachte er, ist keine Illusion mehr möglich. Dies ist dann kein Mann, keine Frau, kein Kind mehr, nur noch Fleisch und Knochen, etwas, das einem lebenden Wesen ähnelte, aber kein Leben mehr war. Dies war die letzte Wahrheit, das Ende, das allen bevorstand. Dies war die Erfüllung des Alten Testaments: Aus Staub bist du geschaffen und zu Staub sollst du wieder werden.