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Aber Pearson war noch nic ht zu Ende.

»Man stößt auf Fälle, bei denen aus religiösen Gründen verlangt wird, daß die Organe mit der Leiche bestattet werden. Selbstverständlich fügen wir uns diesem Verlangen.«

»Wie ist es bei Katholiken?« Diese Frage stellte ein anderes Mädchen. »Bestehen sie darauf?«

»Die meisten nicht. Aber es gibt katholische Krankenhäuser, in denen es geschieht. Das erschwert uns Pathologen die Arbeit. Im allgemeinen wenigstens.«

Bei seinen letzten Worten warf Pearson einen hämischen Blick zu McNeil hinüber. Beide wußten, woran Pearson dachte. In einem der großen katholischen Krankenhäuser auf der anderen Seite der Stadt bestand die strenge Bestimmung, daß nach einer Obduktion alle Organe zur Bestattung in die Leiche zurückgelegt wurden. Aber manchmal half man sich dort mit einem kleinen Trick. Die vielbeschäftigte pathologische Abteilung des Krankenhauses bewahrte sich häufig Organe zur Reserve auf. Wenn also eine neue Obduktion vorgenommen wurde, ersetzte man die entfernten Organe aus der Reserve, so daß die Leiche vorschriftsmäßig zur Bestattung übergeben wurde und die entnommenen Organe trotzdem in aller Ruhe untersucht werden konnten. Diese Organe wurden dann ihrerseits in die nächste Leiche gelegt. Dadurch hatten die Pathologen immer einen Vorsprung.

McNeil wußte, daß Pearson diese Praxis mißbilligte, obwohl er kein Katholik war. Und was man auch sonst über den alten Mann sagen konnte, er bestand immer darauf, daß die Genehmigung zu einer Obduktion dem Buchstaben und dem Geist nach streng befolgt wurde. Das offizielle Formular für die Genehmigung enthielt einen Satz, der lautete: »Obduktion auf die Öffnung der Bauchhöhle beschränkt.« Manche Pathologen, die er kannte, führten eine vollständige Obduktion mit einem einzigen Bauchschnitt durch. Er hatte gehört, wie einer das einmal formulierte: »Wenn man will, kann man mit einem Bauchschnitt nach oben alles, einschließlich der Zunge, erreichen und herausnehmen.« Zu Pearsons Gunsten muß gesagt werden, dachte McNeil, daß er das nie zuläßt. Im Three Counties Hospital bedeutete die Genehmigung zur Öffnung der Bauchhöhle ausschließlich die Untersuchung der dort gelegenen Organe.

Pearson hatte seine Aufmerksamkeit wieder der Leiche zugewandt.

»Wir wollen jetzt mit der Untersuchung fortfahren...« Er brach ab und blickte scharf hinunter, griff nach einem Skalpell und sondierte behutsam. Dann stieß er ein überraschtes Knurren aus.

»McNeil, Seddons, sehen Sie sich das an.«

Pearson trat zur Seite, und sein Assistenzarzt beugte sich über das Gebiet, das Pearson untersucht hatte. Er nickte. Das Rippenfell, im allgemeinen eine durchsichtige, schimmernde Membrane, die die Lungen bedeckt, zeigte einen dicken, narbigen Überzug aus dichtem, weißem, faserigem Gewebe. Es war ein Anzeichen für Tuberkulose. Ob alt oder aus jüngerer Zeit, würden sie gleich wissen. Er machte Seddons Platz.

»Tasten Sie die Lungen ab, Seddons«, sagte Pearson. »Ich vermute, Sie werden weitere Anzeichen finden.«

Der chirurgische Assistent nahm die Lungen, drückte sie mit den Fingern ab. Er fand sofort die Kavernen unter ihrer Oberfläche. Er sah zu Pearson auf und nickte. McNeil hatte sich der Krankengeschichte zugewandt. Um die Blätter nicht zu beschmutzen, blätterte er sie mit einem sauberen Skalpell um.

»Wurde bei der Aufnahme die Brust durchleuchtet?« fragte Pearson.

Der Assistenzarzt schüttelte den Kopf. »Der Patient befand sich im Schock. Hier steht vermerkt, daß er nicht geröntgt wurde.«

»Wir wollen einen senkrechten Schnitt machen, um festzustellen, was zu sehen ist.« Pearson sprach wieder zu den Schwestern, als er an den Tisch trat. Er nahm die Lunge heraus und durchtrennte mit einem glatten Schnitt einen Flügel in der Mitte. Da war es unverkennbar - tuberkeldurchsetztes Gewebe im fortgeschrittenen Stadium. Die Lunge wies bis zur Mitte des Flügels eine wabenartige Struktur auf, fast wie zusammengeklebte Pingpongbälle; ein schwärender, fortschreitender Verfall, dem der Herzanfall nur zuvorgekommen war, um den Tod herbeizuführen.

»Können Sie es sehen?«

Seddons antwortete auf Pearsons Frage: »Es sieht aus, als sei der Tuberkulose durch Zufall der Herzinfarkt gerade noch zuvorgekommen,«

»Es ist immer ein Glücksspiel, woran wir sterben.« Pearson sah zu den Schwestern hinüber. »Dieser Mann litt an einer weit fortgeschrittenen Tuberkulose. Wie Dr. Seddons bemerkte, wäre er sehr bald daran gestorben. Vermutlich war weder ihm selbst noch seinem Arzt seine Erkrankung bekannt.«

Jetzt streifte Pearson seine Handschuhe ab und begann, seinen Kittel auszuziehen. Die Vorstellung ist vorüber, dachte Seddons. Die Statisten und die Bühnenarbeiter werden anschließend aufräumen. McNeil und er würden die wichtigen Organe in einen Eimer legen und ihn mit der Krankennummer des Verstorbenen versehen. Das andere würde in den Körper zurückgelegt werden, die leere Höhlung, wo erforderlich, mit Watte ausgestopft und dann mit großen, weitgesetzten Stichen -hinein, hinaus - geschlossen, da der Teil des Körpers, den sie aufgeschnitten hatten, im Sarg durch die Bekleidung der Leiche verhüllt wurde. Und wenn sie damit fertig waren, kam die Leiche in den Kühlraum, bis sie von dem Leichenbestatter abgeholt wurde.

Pearson hatte den weißen Ärztekittel wieder angezogen, in dem er den Obduktionsraum betreten hatte, und entzündete eine frische Zigarre. Es war typisch für ihn, daß er auf seinen Wegen durch das Krankenhaus eine Fährte von halbgerauchten Zigarren hinter sich zurückließ, und anderen blieb es überlassen, diese Reste in einen Aschenbecher zu legen. Er wandte sich an die Schwestern:

»Im Verlauf Ihrer Tätigkeit«, sagte er, »werden Sie auch Patienten pflegen, die sterben werden. Dann ist es notwendig, von den nächsten Verwandten die Genehmigung zur Obduktion zu erhalten. Diese Aufgabe fällt manchmal dem Arzt zu, manchmal aber auch Ihnen. Dabei werden Sie gelegentlich auf Widerstand stoßen. Es fällt jedem schwer - selbst nach dem Tode -, der Verstümmelung eines Menschen zuzustimmen, den man geliebt hat. Das ist nur verständlich.«

Pearson schwieg. Seddons entdeckte, daß er den alten Mann in diesem Augenblick plötzlich mit anderen Augen sah. Sollte er trotz allem etwas Wärme, etwas Menschlichkeit besitzen?

»Wenn Sie Argumente benötigen«, fuhr Pearson fort, »um jemand von der Notwendigkeit einer Obduktion zu überzeugen, dann werden Sie sich hoffentlich daran erinnern, was Sie heute hier gesehen haben, und es als Beispiel anführen.«

Während er sprach, hatte er seine Zigarre angezündet und deutete mit ihr auf den Tisch. »Dieser Mann litt seit vielen Monaten an Tuberkulose. Es besteht die Möglichkeit, daß er andere in seiner Umgebung angesteckt hat - seine Familie, die Menschen, mit denen er arbeitete, selbst jemanden in diesem Krankenhaus. Ohne diese Obduktion bliebe vielleicht unbekannt, ob nicht auch einige dieser Menschen an Tuberkulose erkrankt sind, und ihr Leiden würde nicht entdeckt, wie bei dem Toten hier, bis es zu spät ist.«

Zwei der Lernschwestern zogen sich instinktiv vom Tisch zurück.

Pearson schüttelte den Kopf. »Innerhalb vernünftiger Grenzen besteht hier keine Infektionsgefahr. Tuberkulose ist eine Erkrankung der Atmungsorgane. Aber auf Grund dessen, was wir heute gefunden haben, werden die Leute, die mit diesem Mann in enger Berührung standen, genau untersucht und mehrere Jahre lang in regelmäßigen Abständen streng kontrolliert werden.«

Zu seiner eigenen Überraschung entdeckte Seddons, daß Pearsons Worte ihn bewegten. Das hat er gut gesagt, dachte er. Und was mehr ist, er glaubt selbst an seine Worte. In diesem Augenblick fand er, daß er den alten Mann leiden konnte.

Als ob Pearson Seddons Gedanken erraten hätte, sah er zu dem Chirurgen hinüber. Mit einem spöttischen Lächeln fügte er hinzu: »Auch die Pathologie kennt ihre Siege, Dr. Seddons.«

Er nickte den Schwestern zu. Dann war er verschwunden und ließ eine Wolke Zigarrenrauch hinter sich zurück.