Zunft.40 Denn der wurde im Alter immer pessimistischer und fand es schließlich (Originalzitat Freud)
«unbestreitbar, dass die Analytiker in ihrer eigenen Persönlichkeit nicht durchwegs das Maß an
Normalität erreicht haben, zu dem sie ihre Patienten erziehen wollen«.
Auch bei den heurigen Psychotherapeuten ist es unbestritten,»dass es so viele schlechte Therapeuten
gibt«, wie der Bonner Psychologe Michael Märtens bei einem Therapeutenkongress betonte.41 Märtens
meint damit insbesondere, dass Menschen den Beruf ergreifen, die gar nicht fähig sind, sensibel und
zugleich distanziert genug mit seelisch Kranken umzugehen.»Wer Psychologe wird, braucht selber
einen«, mit diesem Satz zitierte Heiko Ernst, Chefredakteur der Zeitschrift» Psychologie heute«, den
Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der damit» aber nur mal wieder eine starke Fraktion
von vox populi wiedergibt«.
Da ein großer Teil der Heiler ursprünglich aus der Medizin kommt, kann man ihre geistige Gesundheit
bis zu einem gewissen Grad an jener der Ärzte ablesen, erläutert Reimer. Die Lebenserwartung der Ärzte
stimmt nach neuesten Daten etwa mit dem Bevölkerungsdurchschnitt überein, auch wenn Ärzte hinter
anderen Akademikern herhinken. Dafür lässt jedoch ihre geistige Stabilität stark zu wünschen übrig. Das
betrifft besonders die Zahl der Selbstmorde im Alter zwischen 45 und 65 Jahren, die nach älteren Studien
zwei bis drei Mal über dem Durchschnitt liegt. Ärztinnen haben von allen weiblichen Gruppen die
höchste Suizidrate. Nach einer neuen Erhebung sterben sie 5,6 Mal häufiger von eigener Hand als andere
Akademiker und als die Gesamtbevölkerung. Psychiater und Psychotherapeuten, so der einhellige Tenor
aller Experten, haben jedoch das höchste Suizidrisiko von allen medizinischen Gruppen.
Die helfenden Berufe fallen auch statistisch gehäuft einer Sucht zum Opfer, die vorwiegend die
Gestalt des Alkoholismus annimmt. Die Zahl der Trinker unter den Ärzten liegt über dem
Bevölkerungsmittel und wird auf bis zu 5 Prozent geschätzt. Die verschiedenen Stadien der Sucht
verlaufen bei Heilern meistens versteckt, und auch von der Rehabilitation bekommt die Außenwelt in der
Regel nichts mit. Es ist zurzeit nicht bekannt, ob einzelne Disziplinen und insbesondere die
Psychotherapeuten ein überdurchschnittliches Risiko tragen.
Schließlich hängt auch der Ehesegen bei Ärzten und Therapeuten in einem besonders hohen Maße
schief. Ihre Trennungs- und Scheidungsraten liegen weit über dem Durchschnitt, die Ehepartner haben
überaus häufig mit Störungen der Körperfunktionen und anderen Beeinträchtigungen, wie etwa
Einsamkeit, zu kämpfen.
«Menschen, die einen Psychotherapeuten aufsuchen, leiden unter schweren
und gravierenden Beeinträchtigungen«
Eines der wichtigsten Argumente, mit denen Psychotherapeuten die Existenz ihrer Institution und
deren Anspruch auf öffentliche Subventionierung rechtfertigen, ist, dass ihre Patienten unter
einschneidenden seelischen Krankheiten leiden, deren Nichtbehandlung größte Gefahren für Leib und
Seele heraufbeschören würde. Wer wollte einer selbstmordgefährdeten, depressiven Witwe den seelischen
Beistand vorenthalten, wer schlüge einem Angstpatienten, der von ständig wiederkehrenden
Panikattacken gebeutelt wird, den Wunsch nach Unterstützung aus?
Doch die Grenzen zwischen jenen, welche die Heilung einer klar definierten Störung brauchen, und
jenen, die Lebenssinn und eine Steigerung des persönlichen Wohlbefindens suchen, sind in der
therapeutischen Praxis fließend. Es gibt Menschen, die regelmäßig unter depressiven Schüben leiden, sie
aber ohne fremde Hilfe überstehen. Und es gibt Menschen, die schon beim kleinsten Karriereknick oder
Beziehungsknatsch professionelle Hilfe suchen. Die Institution Psychotherapie, behauptet der
amerikanische Psychologe Robert A. Baker, übt eine große Anziehungskraft besonders auf Menschen aus,
die einfach» unangemessen hohe Erwartungen an das Leben «haben.42 Auch die kanadische Psychologin
Tana Dineen schließt aus ihrer intimen Kenntnis der Therapieszene, dass der Prototyp des
zeitgenössischen Klienten den Heiler nicht aus dem Wunsch nach Beseitigung eines umschriebenen
Leidens besucht.3
Nach ihren Beobachtungen sieht eine repräsentative moderne Therapiegeschichte eher
folgendermaßen aus:»Eine Hausfrau, die mit ihrem Leben unglücklich ist, sucht einen Therapeuten auf,
um mit ihrer Einsamkeit und Frustration fertig zu werden. Der Heiler arrangiert wöchentliche Sitzungen,
bei denen verschiedene Themen, darunter ihre Kindheitserinnerungen und ihre Eltern, ihr
zurückgezogenes erwachsenes Leben und ihre leidenschaftslose Ehe, zur Sprache kommen. Ein Jahr
später ist sie immer noch unglücklich mit ihrem Leben, aber sie ist >glücklich mit der Therapie<, froh
darüber, dass sie endlich mit einer verständnisvollen Person über ihr Unglück reden kann.«
Das Beispiel sei nur eines von Millionen Klienten, die jedes Jahr mit milden und diffusen Formen der
Unzufriedenheit bei einem Therapeuten landen. Manchmal würden diese Fälle auch durch plötzlich
«wieder entdeckte «Erinnerungen an sexuellen Missbrauch in der Kindheit oder durch hochgestochene
und dramatisch klingende Fachbegriffe wie» Posttraumatische Stresskrankheit«,»chronisches
Müdigkeitssyndrom «oder» Internetsucht «aufgepeppt. Was den genauen Umfang der Psychomisere in
der Bevölkerung angeht, ist man weitgehend auf Schätzungen angewiesen. Aus Kreisen der
Psychotherapeuten werden immer wieder Angaben laut, wonach jeder zweite Bundesbürger einmal in
seinem Leben an einer psychischen Störung erkrankt; jeder Vierte soll zurzeit an einer
«behandlungsbedürftigen «seelischen Störung leiden. Dazu kämen Hunderttausende, die sich in einer
Grauzone aus Unausgefülltsein, Sinnleere und Glücklosigkeit wälzen.
Doch ein amerikanischer Psychologe, der vor einiger Zeit eintausend Akten von tatsächlich
psychotherapierten Klienten studierte, zeichnete nach Bakers Beschreibung ein völlig anderes Bild der
Therapiemotive:»Die überwiegende Mehrheit der Probleme, die bei Psychotherapeuten vorgebracht
wurden, hatten keinen bedrohlichen Charakter. «Die meisten Klienten waren solche, die man als
«besorgte Gesunde«(»worried well«) bezeichnet.»In über der Hälfte der Fälle ging die Ursache für die
Therapie auf übertriebene Egozentrik zurück. 849 Fälle waren durch Einsamkeit, Egozentrik und
Selbstbesessenheit gekennzeichnet. Sehr häufig standen auch schlicht Langeweile und eine zynische
Haltung zum Leben im Vordergrund. «Viele der Patienten hatten gleichzeitig mehrere der genannten
Beeinträchtigungen.
«Mit jeder neuen Methode, mit jeder frisch diagnostizierten Neurose wächst für den so bombardierten
Otto Normalmenschen das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit«, diagnostiziert das Nachrichtenmagazin
«Der Spiegel«.38»Was jahrtausendelang wie selbstverständlich zum Dasein gehörte, wird nun auf der
Couch und anderswo problematisiert, analysiert und schließlich seziert. «Immer mehr Menschen schieben
die Verantwortung für Problembewältigung und Sinnfindung jedem anderen, nur nicht sich selber zu. Die