schlechte Propheten. In einer US-Studie wurden zum Beispiel 200 Personen nachuntersucht, die vor 35
Jahren psychologisch sondiert worden waren. Drei Viertel derer, für deren Schicksal die Kenner schwarz
gesehen hatten, erfreuten sich bester seelischer Gesundheit.»Was das bedeutet, ist, dass niemand eine
Methode entwickelt hat, um vorherzusagen, wer sich verändert, oder wie oder wann.«
«Wenn Psychotherapie ohnmächtig ist, sind seelisch Leidende zu einer
desolaten Ausweglosigkeit verdammt«
Der Gedanke, dass die psychotherapeutischen Anstrengungen im Großen und Ganzen vergeblich sein
könnten, wirkt auf viele Menschen allein deshalb so unerträglich und ungeheuerlich, weil damit seelisch
Kranken scheinbar jegliche Hoffnung auf Heilung geraubt wird. Dahinter steckt die tief sitzende
Gewissheit, dass eine psychische Störung eine Art Rohrbruch darstellt, der unbedingt durch einen
erfahrenen und verantwortungsbewussten (Seelen-)Klempner gerichtet werden muss, damit er nicht zu
einer zerstörerischen Überschwemmung ausartet.
Im Unterschied zu Rohrbrüchen besteht indes der erste Weg zur Besserung bei seelischen Krankheiten
in der Erkenntnis, dass es gar keinen überlegenen,»fachkundigen «Experten gibt, ja, dass man selbst der
beste Experte für die eigene Genesung ist. In diesem Sinne haben die vernichtenden Ergebnisse der
Psychotherapie-Forschung einen äußerst demokratischen und egalitären Charakter: Psychotherapeuten
können Neurosen nicht besser heilen als jeder wohlmeinende Laie, und sie leiden selbst in erhöhtem
Maße an den» Verrücktheiten«, die sie bei anderen therapieren wollen. Das kann nur heißen, dass
niemand für die» richtige «Bewältigung des Lebens ein Patentrezept besitzt. Es gibt keine besonderen
Tricks, Verhaltensmaßregeln oder Techniken, die einem» Fachmann «einen überlegenen Umgang mit
seelischer Not vermitteln würden. Wir brauchen also keine Angst zu haben, dass wir im Leben straucheln
müssen, nur weil uns die klugen Einsichten jener fehlen, die die psychologische Weisheit» mit Löffeln
gefressen «haben.»Es gibt keinen Grund, unsere eigenen Vorstellungen darüber, was im Leben wichtig
ist, über Bord zu werfen und durch jene eines Therapeuten zu ersetzen«, fasst der Psychologe Robyn M.
Dawes diese emanzipatorische Erkenntnis in Worte.
Wir können unser Leben im Zweifelsfalle selber ändern. Dazu ist es überhaupt nicht nötig, auf die
Polsterung durch eine wohl behütete Kindheit oder ein strahlendes Selbstwertgefühl zurückzugreifen.
Diesen Floh haben überhaupt erst die Psychotherapeuten den Menschen ins Ohr gesetzt. Die menschliche
Seele besitzt enorme Selbstheilungskräfte, die das psychische Leid in einer großen Zahl aller Fälle ohne
jedes äußere Zutun zum Verschwinden bringen. Allein die fixe Idee, dass man ohne die Hilfe eines
Psychotherapeuten nicht mehr weiterkommt, kann schon einen negativen Teufelskreis erzeugen. Es ist
viel wichtiger, sich mental von seinen Problemen abzuwenden und sich aktiv, wenn nicht aggressiv in die
Welt da draußen zu begeben.»Unterziehen Sie sich einfach einmal neuen und radikal veränderten
Lebenserfahrungen«, empfiehlt zum Beispiel der Psychologe Terence W Campbell.»Unternehmen Sie
Dinge, die Sie noch nie getan haben, mit Menschen, die Ihnen völlig fremd sind. Gehen Sie auf die
Empfindungen und Probleme anderer Menschen ein. «Aber auch Musik, Kunst, sportliche Betätigung,
das intensive» Aufgehen «in Leidenschaften und Hobbys, soziales Engagement für Schwächere und
Benachteiligte, die Einnahme von Vitaminen, Mineralien und Biostoffen und viele andere gutartige
«Kicks «können ein probates Antidot gegen die Dämonen unserer Seele sein.
Wenn die seelischen Nöte unerträglich werden, ist ein Gespräch mit einem einfühlsamen Freund oder
eventuell der Besuch einer Selbsthilfegruppe die erste Wahl, rät Campbell.»Vergessen Sie nie, dass Sie in
sich die psychologischen und spirituellen Ressourcen besitzen, nicht nur um zu überleben, sondern um
glücklich zu werden und Ihre Ziele zu erreichen. «Jeder Therapeut, der einem Hilfe Suchenden nicht
zuallererst diese fundamentalen Wahrheiten übermittelt und an dessen eigene Stärken und
Selbstverantwortung appelliert, ist völlig inkompetent und hat seinen Daseinszweck verfehlt.
1 »Wucherndes Dickicht«. In: Der Spiegel, Nr. 25 /98.
2 Eysenck, Hans Jürgen: Learning theory and behavior therapy. In: Hans Jürgen Eysenck (Hg.): Behavior therapy and the neuroses. Pergamon Press, London 1960.
3 Dineen, Tana: Psychotherapy — The snake oil of the 90's? In: Skeptic, Vol. 6 (1998), S. 54–63.
4 Dineen, Tana: Manufacturing victims. Constable Press, London 1999.
5 Stevens, Lawrence: The case against psychotherapy. http://www.antipsychiatry.org/psychoth.htm
6 Wampold, Bruce E.: A meta-analysis of outcome studies comparing bona fide psychotherapies: Empirically,»All must have prices«. In: Psychological bulletin, Vol. 122 (1997), S. 203–215.
7 Campbell, Terence W.: Beware the talking cure. Upton Books, Boca Raton 1994.
8 Zimmer, Dieter E.: Tiefenschwindel. Rowohlt Verlag, Reinbek 1986.
9 Warters, Ethan/Ofshe, Richard: Therapy's delusions. Verlag Scribner, New York 1999.
10 Dawes, Robyn M.: House of cards. Psychology and psychotherapy built on myth. Free Press, New York et al. 1994.
11 Angermeyer, Mathias C. et al.: Pro und contra: Psychotherapie und Psychopharmakologie im Urteil der Bevölkerung. In: Psychotherapie,
Psychosomatik, Medizinische Psychologie. Bd. 43 (1993), S. 286–292.
12 Degen, Rolf: Von Tiefenpsychologie und Hochstapelei. In: Zeit Magazin, Nr. 29/1995.
13 Auckenthaler, Anne: Das Risiko der klientenzentrierten Psychotherapie oder: Die unsichere Welt der Nacheffekte. In: Eckhard Giese/Dieter
Kleiber: Risiko Therapie. Beltz Verlag, Weinheim 1991.
14 Eysenck, Hans Jürgen: The effects of psychotherapy — An evaluation. In: Journal of Consulting psychology, Vol. 16 (1952), S. 319–324.
15 Carey, Michael P. et al.: Self initiated smoking cessation: A review of the empirical literature from a stress and coping perspective. In: Cognitive therapy and research, Bd. 13 (1989),
S. 323–341.
16 Klingemann, Harald: Der Freitag, wo alles kaputt war, oder die Macht des Positiven? In: Zeitschrift für Soziologie, Bd. 19 (1990), S. 444–457.
17 Klein, Donald F.: Control groups in pharmacotherapy and psychotherapy evaluations. In: Control groups in pharmacotherapy and psychotherapy evaluations treatment. Vol. 1, Nr. 1 1997 http: //www.journals.apa.org/treatment/vol1/97_a1.html.
18 Prioleau, Leslie: An analysis of psychotherapy versus placebo studies. In: The behavioral and brain sciences, Vol. 6 (1983), S. 275–310.