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rasch auf, als man ihnen eine anregende Umwelt bot.»Das Gehirn ist im Alter von 3 oder 10 Jahren

keineswegs fertig gekocht«, hält der Neurobiologe Bruer fest.»Es bleibt auch danach erstaunlich

plastisch und behält für den Rest des Lebens die Fähigkeit zum Lernen bei.«

Das kindliche Gehirn braucht nach seiner Meinung keine künstlich aufgesetzten Reize, wie etwa eine

Berieselung mit klassischer Musik, um sich optimal zu entfalten.»Kinder bekommen all die Anregungen,

die sie benötigen, von den Dingen, die ihnen im Alltag begegnen — wenn sie im Gras kriechen, mit

Töpfen spielen oder den Erwachsenen zuhören. «Wenn die Evolution Gehirne schon so konstruiert, dass

ihre Leistungsfähigkeit erst durch die Begegnung mit bestimmten Stimuli ausgereizt wird, dann sorgt sie

auch dafür, dass diese Reize allgegenwärtig sind und in der typischen zu erwartenden Umwelt der

betreffenden Lebewesen vorkommen. Gehirnforscher nennen diese Passung zwischen Struktur und

Umweltreizen eine» Erfahrungen erwartende Plastizität«.»Solche Reize kommen in der Umwelt jedes

Kindes vor, wenn es nicht gerade unter abartig reizarmen Bedingungen aufgezogen wird.«

Anstatt Kinder in kleine Albert Einsteins zu verwandeln, kann eine übermäßige Stimulation sogar

Schaden anrichten, meint der Psychologe Arnold Sameroff von der Universität von Michigan.»Wenn

man versucht, Kleinkindern mit zu viel Anregung etwas beizubringen, brauchen sie besonders lange.«

Überstimulierte Kinder wenden sich ab, schließen ihre Augen, beginnen zu zappeln oder geben ihr

Missfallen durch Tränen kund.

1 «Eltern sind austauschbar«. Der Spiegel, 47/1998.

2 Nuber, Ursula: Der Mythos vom frühen Trauma. Beltz Verlag, Weinheim 1990.

3 Hemminger, Hansjörg: Kindheit als Schicksal? Rowohlt Verlag, Reinbek 1982.

4 «Die Eltern sind unschuldig«. Facts, 8.4.1998.

5 Rowe, David C: Genetik und Sozialisation. Beltz Verlag, Weinheim 1998.

6 Kagan, Jerome: Es gibt ein Leben nach der Kindheit. In: Psychologie heute, März 2000, S. 46–51.

7 Zimmer, Dieter E.: Tiefenschwindel. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1990.

8 Asendorpf, Jens: Keiner wie der andere. Piper Verlag, München 1988.

9 Harris, Judith Rich: The nurture assumption. Bloomsbury Verlag, London 1998.

10 Zimmer, Dieter E.: Ein Kind ist schwer zu verderben. In: Die Zeit, Nr. 29/1999.

11 Saum-Aldehoff, Thomas: Der Mythos von der Macht der Eltern. In: Psychologie heute, August 1998.

12 Degen, Rolf: Die wahre Macht der Gene. In: Bild der Wissenschaft, Nr. 9/1996, S. 62–69.

13»Im Alter siegen die Gene«. In: Berliner Zeitung, 2. 7.1997.

14 Weinert, Emanuel F.: Begabung und Lernen: Zur Entwicklung geistiger Leistungsunterschiede. http://www.mpg.de/pri99/50weinert.htm

15 Svennevig, Brigitte: Vom Verlierer zum Gewinner. In: Illustrierte Wissenschaft, Nr. 12/ 1999, S. 50–51.

16 Schrader, Christopher: Mehr Respekt für die Kleinen. In: Geo Wissen »Kindheit und Jugend«, Nr. 23 (1995).

17 Belsky, Jay: The etiology of child maltreatment: A developmental-ecological analysis. In: Psychological Bulletin, 114 (1993), S. 413–434.

18 Lugt-Tappeser, H./Wiese, Bettina: Prospektive Untersuchung zum mütterlichen Verhalten in der Neugeborenenzeit: Eine Erkundungsstudie. In:

Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, Bd. 9 (1994), S. 322–330.

19 Fuller Torrey, E.: Freudian fraud. Verlag Harper, New York 1992.

20 Hofmann-Hausner, Norbert / Bastine, Reiner: Die Einflüsse von elterlicher Scheidung, interparentalem Konflikt und Nach-Scheidungssituation.

In: Zeitschrift für Klinische Psychologie, Bd. 24 (1995), S. 285–299.

21 Patterson, Charlotte: Children of lesbian and gay parents. In: Advances in clinical child psychology, Vol. 19 (1997), S. 235–282.

22 Asendorpf, Jens: Psychologie der Persönlichkeit. Springer Verlag, Berlin et al. 1996.

23»Babies are quick studies«. U.S. News & World Report, 13.9.1999.

Die lausigen Verführer

«Die Massenmedien üben gewaltige Wirkungen auf das Bewusstsein

und das Verhalten der Menschen aus«

Wenn man einem Gemeinplatz Glauben schenken darf, so sind die Menschen wehrlos dem Würgegriff

der Massenmedien ausgesetzt. Werbung, Fernsehen, Propaganda und die anderen Zweigstellen der

«Bewusstseinindustrie «hämmern ihre Botschaften mit der Schlagkraft einer Gehirnwäsche in die Köpfe

der Rezipienten ein. In der Öffentlichkeit werden kaum je Zweifel daran geäußert, dass man Menschen

tatsächlich per Werbung auch zum Kauf der albernsten Produkte manipulieren könne. Die politische

Propaganda gilt vielen als übermächtig, und der» verrohende «Einfluss massenmedialer

Gewaltdarstellungen lässt immer wieder den Aufruf nach Zensur und einer» sauberen Leinwand«

erfolgen.

Doch wenn man das Feld der Wirkungsforschung Studie für Studie abklopft, werden diese Ansichten

unhaltbar, zieht der Yale-Professor William J. McGuire, seit Jahrzehnten die graue Eminenz der

psychologischen Medienforschung, Bilanz:»Es stellt sich klar heraus, dass die beobachteten Effekte

überraschend schwach sind, nur ausnahmsweise statistisch signifikant und mit Effekt-Größen, die

bohrende Zweifel am Kosten-Nutzen-Verhältnis aufwerfen.«1 Jahrzehnte empirischer Forschung und viele

tausend Einzelstudien hätten nicht den geringsten Beweis für die Richtigkeit dieser so populären

Einflussmythen erbracht. Es grenze schon an Massenwahn, mit welcher Verbohrtheit dennoch an diesen

Trugvorstellungen festgehalten werde.

Das vermeintlich einflussreichste Massenmedium, das Fernsehen, resümiert der Saarbrücker

Psychologie-Professor Peter Winterhoff-Spurk den Wissensstand, hat viel mit dem Scheinriesen bei

Michael Ende gemein:»Er wird umso kleiner, je näher man ihm kommt.«2 Man könne sich auch nicht

damit herausreden, argumentiert McGuire, die durch die Forschungsarbeiten bloßgestellte» Impotenz «der

Medien sei ein» methodisches Artefakt«, ein durch Wunschdenken hervorgezaubertes Ergebnis,»da die

meisten Forscher und Auftraggeber sich große Wirkungen wünschen und herbeisehnen, wenn auch aus

Gründen, die von Fall zu Fall verschieden sind…«

Die meisten Experten, die sich in der Öffentlichkeit über den Einfluss der Massenmedien äußern

dürfen, sind aus dem einen oder anderen Grund fast zwanghaft auf das Hervorzaubern großer Wirkungen

fixiert. Egal, ob es sich um linke Kulturkritiker handele, die in der Tradition der Frankfurter Schule gegen

die Manipulation der Massen durch die Unterhaltungsindustrie räsonieren, oder um konservative