Sittenwächter, die angesichts nackter Busen den Untergang des Abendlandes beschwören. Auch die
Macher selbst, so schreibt McGuire, scheuen das Eingeständnis ihrer Machtlosigkeit. Sonst ginge ihnen
am Ende das Milliarden-Budget der Werbung flöten, oder das erhebende Gefühl, die heimlichen Lenker
der Nation zu sein.
Sogar die Wissenschaftler, die» Anwälte der Wahrhaftigkeit«, schließen laut McGuire vor den Fakten
die Augen. Dafür wird umso häufiger die Litanei vom» großen Einfluss «wiederholt.»Zuzugeben, dass
die Untersuchungsergebnisse keine großen Wirkungen bestätigt haben, käme für die Gegner der Medien,
etwa die, die für eine Regulierung des Fernsehprogramms oder der Werbung streiten, dem Bekenntnis
gleich, gegen Windmühlen gekämpft zu haben… Nicht nur die ausgemachten Freunde und Feinde der
Medien, sondern sogar neutrale Kenner der Materie sind geneigt zu behaupten, dass Medien hochgradig
wirkungsvoll sind: Es würde nicht gerade ihrer Selbstachtung als akademischen Experten für
Kommunikation, Marketing oder Psychologie dienen, herauszubekommen, dass die von ihrer Disziplin
studierten Effekte außergewöhnlich winzig sind… Die Selbsttäuschungen, die viele Fachgelehrte dazu
gebracht haben, zu postulieren, dass große Medienwirkungen bewiesen wurden, sind leichter zu verstehen
als zu vergeben«, fasst der Autor seine Beobachtungen zusammen.
In der Anfangsphase der Forschung, in den zwanziger Jahren, waren alle noch von den unmittelbaren,
überaus gewaltigen Medienwirkungen auf das Bewusstsein und das Verhalten der Empfänger überzeugt.
Es herrschte ein primitives Impfnadel-Modell vor: Der» Reiz «Medieninhalt löst beim Organismus
mechanisch die zugehörige» Reaktion «aus, ähnlich wie beim Hund Pawlows, dem beim Läuten der
Essensglocke das Wasser im Mund zusammenläuft. Doch die ersten empirischen Untersuchungen zeigten
bald, dass diese primitive Vorstellung nicht wahr sein konnte: Die meisten Einflussversuche prallen an
den Schutzmechanismen der Menschen ab. Sie picken sich selektiv Inhalte heraus, die ihren
Überzeugungen entsprechen, biegen sich die Informationen nach Gutdünken zurecht oder schalten sogar
um in eine Anti-Haltung, wenn sie wittern, dass man sie manipulieren will.
Noch 1960 konstatierte die wichtigste Übersichtsarbeit in der Geschichte der Wirkungsforschung, dass
die Suche nach substanziellen Medienwirkungen gescheitert sei, blickt der australische
Kommunikationsforscher David Sless im Internet zurück.3»Die Haupteinsicht, dass, wenn es überhaupt
irgendwelche Effekte gab, diese von verschwindend geringer Stärke waren, war damals weit verbreitet.«
Doch die folgenden Generationen von Wissenschaftlern fanden sich laut Winterhoff-Spurk nicht mehr mit
dieser Erkenntnis ab: Sie dachten sich immer wieder potenzielle Medienwirkungen aus und propagierten
mit großer Euphorie furiose neue Wirkungsvarianten.
Dass sich der Glaube an die großen Medienwirkungen trotz widersprechender Fakten so starrsinnig
hält, hat vermutlich etwas mit einem eingebauten» Sehfehler «in unserem sozialen Blick zu tun.
Menschen denken durchgehend, dass Massenmedien auf andere Leute eine sehr viel stärkere Wirkung
haben als auf sie selbst. Dieses Phänomen wird als» Dritte-Person-Effekt «bezeichnet und tritt bei allen
Arten von Medieninhalten zutage: Werbung, Filmen, Nachrichten oder Pornographie.4 Diesen Effekt hat
ein amerikanischer Psychologe vor ein paar Jahren mit einer Batterie von Fragen aufgedeckt, wie Klaus
Moser vom Fachbereich Psychologie der Universität Gießen rekapituliert.
Die Probanden waren zum Beispiel fest davon überzeugt, dass andere Leute in ihrer Kindheit durch die
Massenmedien sehr viel häufiger zum Kauf» unsinniger «Dinge verleitet worden waren als sie selbst. Sie
hatten auch keine Zweifel, dass Pornographie und TV-Gewalt bei andern viel mehr Schaden anrichtete als
bei ihnen selbst. Während also die Effekte der Medien selbst eine äußerst zweifelhafte empirische Basis
besitzen, ist der Dritte-Person-Effekt hervorragend belegt.
Bei Medieninhalten, die wenig glaubhaft sind oder eindeutig darauf zielen, Menschen zu beeinflussen
und» herumzukriegen«, ist dieser Effekt besonders stark.»Anscheinend trauen die Befragten sich selbst,
nicht aber anderen zu, dem Einfluss der Verzerrungen entgegenzuwirken.«Überhaupt halten Menschen
die anderen anfälliger für» Schund «und negative Inhalte; positive Effekte nimmt man dagegen sehr viel
eher bei sich selber wahr. Das bewies Moser in einem Experiment, in dem die Hälfte der
Versuchspersonen angeben sollte, wer besonders leicht auf fragwürdige Inhalte (zum Beispiel Werbung
für Diätprodukte) hereinfällt. Die andere Hälfte sollte entscheiden, welcher Personenkreis sich besonders
stark durch» moralisch hoch stehende «Inhalte (zum Beispiel Werbung gegen Ausländerfeindlichkeit)
beeinflussen lässt. Fazit: Negative Effekte sahen die Probanden fast nur bei den andern. Aber sie waren
auch sicher, dass die» rühmlichen «Botschaften bei ihnen selbst stärker anschlagen würden.
Der Dritte-Person-Effekt nährt den Glauben an die Macht der Medien und leistet sogar dem Ruf nach
Zensur Vorschub. Bei einer amerikanischen Befragung bekundeten 85 Prozent aller Befragten, dass
Gewaltfilme und Pornos bei anderen Leuten viel schädlichere Folgen hätten als bei ihnen selbst; lediglich
3,8 Prozent vermuteten die Wirkungen eher bei der eigenen Person. Aber nur diejenigen, welche die
negativen Effekte bei den anderen sahen, machten sich bereitwillig für die Schere des Zensors stark. Oft
steckten hinter dem Lamento auch nur die Abscheu, die man persönlich vor bestimmten Medieninhalten
empfindet, und der missionarische Eifer, die» breite Masse «vor diesem» Dreck «zu schützen, sagt
McGuire.»Diese Kommentatoren jammern in aller Regel, dass die Medien von anderen Bezugsgruppen
als den ihrigen kontrolliert werden, so dass der Medieneinfluss nur schädlich sein kann.«
«Werbung hat einen großen Einfluss auf das Kaufverhalten der Menschen«
Werbung steuert das Konsumentenverhalten. Diese Binsenweisheit wird für viele allein deshalb
unumstößlich, weil die Industrie jedes Jahr gigantische Summen für die Erzeugung des schönen Scheins
lockermacht. Nach einer verbreiteten Vorstellung arbeiten die» geheimen Verführer «mit raffinierten und
einschleichenden Suggestivmethoden, die dem Publikum einen unwiderstehlichen Kaufimpuls einflößen.
Diese Vorstellung wird in regelmäßigen Abständen durch populäre Veröffentlichungen untermauert, die
mit wahlweise genüsslichem oder empörtem Unterton die Tricks und Kniffe der Manipulations-Industrie
enthüllen.
Trotz der riesigen Gelder, die sie für die einschlägigen Kampagnen berappt, hat die Industrie seit jeher
ein gespaltenes Verhältnis zur Werbung. Entweder wird dick aufgetragen, nach dem Motto» Wirb oder
Stirb!«, oder man lästert über die Reklame, wie in einem Henry Ford zugeschriebenen Bonmot:»Ich
weiß, dass mindestens eine Hälfte des für Werbung ausgegebenen Geldes zum Fenster rausgeworfen ist,
aber ich weiß nicht, welche Hälfte. «Doch nach den zuverlässigsten Daten, über die die Wissenschaft
heute verfügt, sind die» lausigen Verführer «sehr viel ohnmächtiger, als die meisten Menschen glauben.