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Singer zu bedenken.10 So gingen die entsprechend eingestimmten Kinder kein bisschen» destruktiver«,

zum Beispiel unter Verwendung von Wurfpfeilen, mit Bobo um als ihre Altersgefährten ohne übles

Vorbild. Die Beobachtung, dass ihr aggressives Vorbild für seine Grobheit gezüchtigt wurde, hielt die

Kinder von den Ausschreitungen gegen Bobo ab.»Weder Bandura noch seine Epigonen verlieren ein

Wort darüber, dass ausgerechnet dies die einzigen Kinder waren, die tatsächlich» Gewalt «gegen eine

Person mit ansehen mussten«, schreibt der britische Medienpsychologe Tom Gormley im Internet.11»Die

übrigen sahen nur eine neue Art, mit Bobo zu spielen.«

Laut Kaplan und Singer genügte die schlichte Bemerkung» wie schrecklich!«aus dem Mund eines

erwachsenen Zeugen der Schau, um der Malträtierung Bobos durch die Kinder einen Riegel

vorzuschieben. Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Kinder unter einem

erheblichen Erwartungsdruck standen, hebt der kanadische Psychologie-Professor Jonathan Freedman

hervor.12»Da die Situation durch den Versuchsleiter arrangiert worden war, hatten sie Grund anzunehmen,

dass die Aggression regelrecht von ihnen erwartet wurde. «Das ist eine Kritik, die mittlerweile viele

Psychologen äußern: Die Versuchssituation bei Bandura enthält starke Anreize, mit dem Experimentator

zu kooperieren, so dass die Probanden alles daransetzten, seinen Erwartungen gerecht zu werden.

Kaplan und Singer bemäkeln, dass die Ergebnisse aus dieser Art von Laborversuchen grundsätzlich

nicht auf das reale Leben zu übertragen sind:»Da werden Menschen eingespannt, die sich solche Szenen

von sich aus vielleicht nie ansehen würden, [werden] absichtlich Verärgerungen geschaffen, die im

wirklichen Leben vielleicht ausbleiben, Testsituationen herbeigeführt, die, anders als das wirkliche Leben,

zur» Gewalt «ausdrücklich einladen, und schließlich [werden] Verhaltensweisen als» Aggression«

definiert, die keine wahren Aggressionen sind.«

Die größtmögliche Annäherung an das wirkliche Leben bieten» Feldstudien«, bei denen geprüft wird,

ob ein Zusammenhang zwischen dem realen Konsum gewalttätiger Fernsehinhalte und dem späteren

Auftreten von Aggressionen existiert. Der Yale-Professor William J. McGuire fasst die Befunde dieser

Forschungsrichtung so zusammen:»Die gefundenen Beziehungen sind jedoch verschwindend klein, sehr

oft statistisch nicht signifikant, und wenn doch, dann ist die Effektgröße so gering, dass die Unterschiede

im Konsum gewalttätiger Filme für tatsächliches aggressives Verhalten praktisch vernachlässigbar sind.«

Es ist zutreffend, dass zwischen Gewaltfilmkonsum und aggressivem Verhalten eine Korrelation von

0,1 bis 0,2 besteht, konzediert auch der Mainzer Publizistik-Professor Michael Kunczik.13 Die Korrelation

ist das Maß für die Beziehung zwischen zwei verschiedenen Phänomenen, deren Höhe zwischen 0,0 (kein

Zusammenhang) und 1,0 (perfekter Zusammenhang) betragen kann.»Allerdings ist darauf hinzuweisen,

dass sich die Konvention durchgesetzt hat, Korrelationen, deren Stärke geringer als 0,2 ist, als

unbedeutend und uninterpretierbar nicht weiter zu beachten.«

McGuire fühlt sich durch die Forschungsdaten zu einem leidenschaftlichen Plädoyer gegen die

Beschneidung der künstlerischen Ausdrucksfreiheit inspiriert:»Man könnte einwenden, jeder isolierte

aggressive Akt sei an sich bedauerlich, und Gewalt müsse aus dem Fernsehen verbannt werden, wenn sie

nachweislich auch nur einen einzigen Gewaltakt gegen eine Person verursacht habe, aber so eine

simplifizierte Anwendung des Schaden-Kriteriums zieht die möglichen schädlichen Folgen einer Zensur

nicht in Betracht. Jeder Eingriff in die öffentliche Information, die künstlerische Ausdrucksfreiheit und

die Unterhaltung ist empörend, da die Verbannung von einer Sorte Material dem Verbot von anderen Tür

und Tor öffnet.«

Schließlich, so McGuire, müsse man auch das Verhältnis zu den anderen Gefahren des Lebens

berücksichtigen.»Wenn man die Darstellung von Gewalt unterbindet, weil sie etwas Schaden anrichtet,

sind andere Aktivitäten, deren schädliche Folgen viel greifbarer sind, also etwa Autofahren, Trinken,

Geschlechtsverkehr und der Kirchengang, das logische nächste Angriffsziel… Selbst wenn Künstler und

Produzenten fortführen, gewalttätige Programme zu machen, und das Publikum sie weiterhin

konsumierte, reichte ihr geringfügiger Effekt nicht aus, meine Abneigung gegen die Einschränkung der

Pressefreiheit und andere Formen des >künstlerischen< Ausdruckes zu übertönen… Der Forschung auf

diesem Gebiet ist es nicht gelungen, Signale für die politischen Entscheidungsträger zu setzen, vielleicht

weil, wie Gertrude Stein von ihrem Heimatort sagte, es kein >es< gibt.«

Der Beweis, pflichtet McGuires Kollege Freedman bei,»dass Filmgewalt irgendwelche Wirkungen auf

die Aggressivität des Zuschauers hätte, ist nicht erbracht worden. «Dies schreibt der Psychologie-

Professor in einem Buch, in dem der offizielle amerikanische Psychologenverband» APA «seinen

Mitgliedern Ratschläge gibt, wie sie die Ergebnisse der Forschung in der Öffentlichkeit präsentieren

sollen.

Vermutlich haben die Lerntheoretiker den Zusammenhang zwischen Modell und Nachahmung falsch

eingeschätzt. Nach dem Wissensstand der vergleichenden Verhaltensforschung ist der Mensch das einzige

Lebewesen, das echte Imitation praktiziert. Bei Affen in freier Wildbahn wurde noch nie ein Fall von

wahrer Nachahmung gesehen. Lediglich Schimpansen, die bei Menschen aufwuchsen und ein intensives

Training durchmachten,»äffen «das Verhalten eines Vorbildes nach. Der Mensch hat die spezielle geistige

Errungenschaft des Imitationslernens hervorgebracht, um sich auf einen Schlag, ohne langes

Herumprobieren, komplexe Problemlösungen anzueignen, die andere vor ihm ersonnen haben, nicht um

mechanisch die Reaktionen eines Gegenübers abzukupfern. Leute, die ein Fußballspiel anschauen, trinken

lieber Bier, anstatt selbst den Ball zu kicken.

Der Junge, der seine Eltern mit zermahlenem Glas umbrachte, wurde wohl kaum durch die TV-Röhre

zum Morden angestachelt. Möglicherweise hat er dem Fernsehen jedoch die spezifische» Lösung «für ein

Problem abgeschaut. Aber jeder kann sich ausrechnen, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine

derartige Verkettung von Faktoren zusammenkommt.

Auch den» Erotika «oder der Pornografie wird manchmal die Fähigkeit zum» Verrohen «des

Publikums nachgesagt. Darstellungen, wie sie bereits die Höhlenwände unserer Steinzeitahnen

dekorierten, sind wiederholt zum Gegenstand von Kampagnen geworden. Allerdings sagen mittlerweile

nur noch orthodoxe Feministinnen und hart gesottene Fundamentalisten im mittleren Westen der

Vereinigten Staaten der Pornografie ein ernsthaftes Gefahrenpotenzial nach. Eine eigens einberufene

Forscher-Kommission der US-Regierung jedenfalls räumte bereits 1970 ein, dass die gesamte Bandbreite

der behaupteten Obszönitäts-Effekte von» höchstens trivialer Tragweite «sind, hält McGuire fest.

Dem Glauben, dass die exzessive Beschäftigung mit Pornos zynische und diffamierende Einstellungen

gegenüber Frauen schürt, steht ein anderer Befund entgegen: Der Konsum von Pornos kann die

Häufigkeit von Sittlichkeitsdelikten vermindern.»Man könnte diese Widersprüche versöhnen, indem man