Hürde zu bleiben, zum Verhängnis werden könne, gibt Dr. Wolfgang Donsbach vom Institut für
Publizistik der Universität Mainz zu bedenken: In dem Glauben, dass eine Stimme für diese Verlierer
«weggeworfen «ist, bleiben die Sympathisanten den Urnen fern.17 Dadurch drohe kleinen Parteien, erst
recht ins Hintertreffen zu geraten, weil deren Wähler besonders intensiv die demoskopischen Prognosen
verfolgen.
«Die Annahmen über die Wirkung von Wahlumfragen werden in politischen und
politikwissenschaftlichen Diskussionen so dargestellt, als handle es sich dabei um empirisch belegte
Tatsachen«, hält Dr. Frank Brettschneider vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Stuttgart
fest.18 Der Blick auf die empirischen Forschungen führt jedoch unweigerlich zu dem Schluss, dass sich
die überwiegende Mehrheit der Wähler in Wirklichkeit keinen Deut um diese Vorhersagen schert.
Als» moderne Orakel«,»Auguren der Neuzeit «oder» Datenhexer«, die die Wähler beeinflussen,
werden Meinungsumfragen allzu oft bezeichnet. Doch wie die Rezipienten in Wirklichkeit mit diesen
Statistiken umgehen, kann man laut Donsbach an einem interessanten psychologischen Phänomen
ablesen: Sehr viele Personen verdrehen anscheinend die Tatsachen in ihrer Erinnerung und machen sich
vor, dass die letzten Umfrageergebnisse zugunsten ihrer Lieblingspartei ausgefallen seien.
Die meisten Wähler haben die Offenbarungen der Meinungsforscher aber auch gar nicht nötig, weil sie
sich längst, aus anderen Quellen, ein Bild von dem vermuteten Wahlausgang zurechtgelegt haben. Es
verwundert daher nicht, dass in einer Untersuchung kurz vor dem Wahltermin die Mehrheit der Befragten
bekundete,»kein Interesse «an einer demoskopischen Vorhersage zu haben. Zu den wichtigsten
Informationsquellen einer solchen persönlichen Wahlvorhersage gehören die Massenmedien Fernsehen
und Zeitung. Donsbach hat aber nun in einer eigenen Studie herausgefunden, dass nur eine
verschwindende Minderheit aller Wahlprognosen, die bei der Bundestagswahl in Fernsehen und Zeitung
veröffentlicht wurden, auf die Zahlen der Demoskopen zurückgeführt werden können. Die überwiegende
Mehrheit der» Prophezeiungen «spiegelte vielmehr die persönliche Meinung von Politikern oder
Journalisten wider.
Ein Beispiel hierfür ist der Bundestagswahlkampf 1998: Der Anteil der auf Umfragen basierenden
Aussagen der Meinungsforscher nahm im Verlauf des Wahlkampfes zunächst von 6 Prozent im Juni auf
11 Prozent im September zu. Die Aussagen von Politikern und Journalisten über den Wahlausgang und
die Wählerstimmen beliefen sich im September auf 49 Prozent.»Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich
die Veröffentlichung von Wahlumfragen auf irgendeine Art und Weise in der Art der Wahlbeteiligung
niederschlägt«, lautet das Fazit des Politikwissenschaftlers Brettschneider.
Natürlich, räumt Donsbach ein, hätten die Wähler in der Regel mehrere Quellen, um sich ein Bild von
den Meinungen ihrer Mitmenschen zu machen. Die Berichterstattung in den Massenmedien sei nur eine
davon. Innerhalb der Aussagen in den Medien jedenfalls spielten demoskopische Ergebnisse nur eine
untergeordnete Rolle.
«Die pauschale These, Wahlumfragen würden die gesamte Wahlbeteiligung beeinflussen, entspricht
nicht der Realität«, betont Brettschneider. Diese Wirkungen existierten nicht. Ebenso wenig lasse sich die
gesamte Wählerschaft durch Umfragen manipulieren. Dies liege unter anderem daran, dass
Umfrageergebnisse vor allem diejenigen Wähler interessierten, die für Manipulationen besonders
unanfällig sind. Diese Menschen sind meist gebildet und politisch interessiert, außerdem sind sie in der
Regel Parteimitglied oder sie identifizieren sich mit einer bestimmten Partei. Diese so genannten
taktischen und rationalen Wähler sehen Umfragen meist als zusätzliche Informationsquelle. Der Einfluss
der Demoskopie auf das Wählerverhalten werde demnach weit überschätzt, so der Wissenschaftler.
1 McGuire, William J.: The myth of massive media impact. In: Public communication and behavior, Bd. 1 (1986), S. 173–257.
2 Winterhoff-Spurk, Peter: Fernsehen — Psychologische Befunde zur Medienwirkung. Bern u.a. 1986.
3 Sless, David: Inside communication research.
http: //www.communication.org.au/articles_to_read/paper_21 /paper_21.html
4 Moser, Klaus/Hertel, G.: Der Dritte-Person-Effekt in der Werbung. In: Zeitschrift für Sozialpsychologie, Bd. 29 (1998), S. 147–155.
5 Mayer, Hans: Werbepsychologie. Schaffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 1993.
6 Gleich, Uli/Groebel, Jo: Werbeforschung: Neue Befunde zu Wirkungsvoraussetzungen. In: Media Perspektiven, 5, (1993) S. 229–233.
7 Barth, Jürgen/Bengel, Jürgen: Warnhinweise bei Alkohol und Zigaretten — Rezeption und Verarbeitung. In: Zeitschrift für Medizinische Psychologie, Bd. 6 (1997), S. 5-14.
8 De Haan, Gerhard: Umweltbewusstsein und Massenmedien. Akademie Verlag, Berlin
1995.
9 «Mit aller Gewalt«. In: Die Woche 36/99,3.9.1999.
10 Kaplan, Robert M./Robert D. Singer: Television violence and viewer aggression. In: Journal of Social Issues, Bd. 32 (1976), S. 35–70.
11 Gormley, Tom: Ruination once again. Cases in the study of media effects. http: //www.theory.org.uk/effec-tg.htm
12 Freedman, Jonathan L.: Television violence and aggression: What psychologists should teil the public. In: Suedfeld, Peter /Philip E. Tetlock (Hg.): Psychology and social policy. Hemisphere Verlag, New York 1992.
13 Kunczik, Michaeclass="underline" Wirkungen von Gewaltdarstellungen. Zum aktuellen Stand der Diskussion. In: Friedrichsen, Mike/Gerhard Vowe (Hg.):
Gewaltdarstellungen in den Medien. Westdeutscher Verlag, Opladen 1995.
14 Lau, Richard R. et al.: The effect of negative political advertisements: A meta-analytic assessment. In: American Political Science Review, Vol. 93
(1999), S. 851–875.
15 Sless, David: The problem with attitude. http://www.communication.org.au/articles_to_read/paper_2/paper_2.html
16 Etzkorn, Klaus Peter/Stiehler, Hans-Jörg: The Valley of the clueless. In: Communications, Vol. 23 (1998), S. 271–298.
17 Donsbach, Wolfgang: Die Rolle der Demoskopie in der Wahlkampf-Kommunikation. Empirische und normative Aspekte der Hypothese über den
Einfluss der Meinungsforschung auf die Wählermeinung. In: Zeitschrift für Politik, Bd. 31 (1984), S. 388–407.
18»Vom Machtmythos der Wahlumfrage«. In: Der Forschungsdienst, Nr. 1/2000.
Der unverbesserliche Verstand
«Es gibt Möglichkeiten, die Intelligenz und das Auffassungsvermögen des
Menschen erheblich zu erweitern«