unzählige Fachleute und Laien in ihrem täglichen Handeln attackiert, ruft sie kaum einen Protest hervor.
Ein Angriff gegen die Psychotherapie — sofern er überhaupt erfolgt — löst dagegen unweigerlich einen
Wirbelsturm von wütenden und gehässigen Reaktionen aus, wie die Psychologin Tana Dineen und der
Wissenschaftspublizist Dieter E. Zimmer aus leidvollen Erfahrungen zu berichten wissen.
Beim Publikum haben sich offenbar erhebliche Ressentiments gegen die organische Medizin
festgesetzt, während die Psychotherapie eine — unverdient — strahlende Reputation genießt, wie eine
Forschergruppe um Prof. Matthias C. Angermeyer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in
Mannheim bei einer repräsentativen Befragung in der erwachsenen Bevölkerung eruierte.11 Die Befragten
sollten angeben, welche Form der Behandlung bei einer schizophrenen Psychose, bei einer depressiven
Erkrankung oder bei einer Angstneurose die richtige sei.
Das Urteil lässt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig, rekapitulieren die Autoren. Weit mehr als
die Hälfte der Befragten ergriffen Partei für die Psychotherapie, und zwar auch bei der schweren
Geisteskrankheit Schizophrenie. Lediglich 20 Prozent gaben den Psychopharmaka in dieser
diagnostischen Gruppe den Vorzug. Dagegen lehnten rund 40 Prozent die chemische Behandlung
kategorisch ab, während gerade einmal 10 Prozent der Psychotherapie eine Abfuhr erteilten. Diese
Tendenz war weitgehend unabhängig von der Art der seelischen Erkrankung.
Das eindeutige Votum für die Psychotherapie wurde meistens damit gerechtfertigt, dass die
Behandlung dann in den Händen eines kompetenten Therapeuten liege und der Kranke Gelegenheit zur
persönlichen Aussprache erhalte. Außerdem war der Glaube vorherrschend, dass (nur) die Psychotherapie
zu den» Wurzeln «seelischer Störungen vordringt und einen kausalen Heileffekt erzielt. Zwei Drittel der
Befragten waren sogar der Meinung, dass Psychotherapie gute Chancen bei Störungen vom» Kaliber«
einer Schizophrenie besitzt. Das ist ein Anspruch, der selbst von eingefleischten Psychotherapeuten nur
in Ausnahmefällen erhoben wird.
Wegen solcher schiefen Vorstellungen, die mit Sicherheit auch bei (zukünftigen) Patienten kursieren,
sind Enttäuschungen und frustrierte Erwartungen vorprogrammiert, heißt es in dem Artikel abschließend.
So wird die medikamentöse Behandlung in der Psychiatrie auf wenig Gegenliebe stoßen, wenn die
Patienten denken, dass sie lediglich mit Chemie» abgespeist «werden, und dass ihnen die» allein selig
machende «Therapie vorenthalten wird. Aber auch auf der anderen Seite drohen bittere Überraschungen,
wenn schwer gestörte Patienten Hoffnungen in eine Psychotherapie stecken, welche die Seelenheiler
unmöglich erfüllen können. Die Tatsache, dass viele Geisteskranke erst durch die Entdeckung der
Psychopharmaka aus den Fesseln einer inhumanen Anstaltspsychiatrie befreit wurden, ist offenbar nicht
bis in die Köpfe der Menschen vorgedrungen.
Das Unternehmen Psychotherapie hat im Gegensatz zur organmedizinischen Heilkunst den
unschätzbaren Vorteil, dass es einen offensichtlichen Fehlschlag der Behandlung auf das Versagen des
Klienten abwälzen kann. Während ein Chirurg heute bei jedem Schnitzer mit einem ruinösen
Kunstfehlerprozess rechnen muss, kann ein Seelendoktor einen Misserfolg mit dem» Widerstand «oder
der» fehlenden Krankheitseinsicht «seines Anvertrauten bemänteln oder im Fachkauderwelsch
entschärfen. Zwar fordern Verbraucherschutzverbände immer wieder strenge Qualitätskontrollen durch
unabhängige Gutachter. Doch diese Gruppe hat gegen die fest gefügte Lobby des hermetisch
abgeschirmten Berufsstandes der Psychotherapeuten wenig Erfolgschancen.
Insbesondere die Psychoanalyse schottet sich schon lange durch eine rhetorische» Immunisierung«
gegen alle erdenklichen Anfechtungen ab. Die Theorie wird nach jeder Attacke wie eine Theaterkulisse
umgebaut, so dass die Kritik immer ins Leere geht. Wenn alle schönen Worte nicht fruchten, bekommt so
ein Miesmacher die Finessen der Deutungskunst zu spüren.»Hat die Aversion gegen die Psychoanalyse
speziell mit den Deutschen und mit ihrer Vergangenheit zu tun? Mit den Schwierigkeiten der
Erinnerungsarbeit?«attackiert der Münchener Psychoanalytiker Wolfgang Mertens die Kritik ungebetener
«Nestbeschmutzer«.12»Effizienz in der Psychotherapie — da sind wir schnell wieder bei 1933. Auch die
KZs waren effizient«, entblödet sich einer seiner Berufskollegen nicht, in der Zeitschrift» Focus «zu
eifern.12
In einem derart schonenden Klima und mit großzügiger Subvention durch die Solidargemeinschaft
wird das Feld Psychotherapie zum Wachstumsmarkt. Gut 14.000 akademisch geschulte
Psychotherapeuten bieten derzeit in Deutschland ihre Dienste an, rund 30.000 Psychologiestudenten
bereiten sich gegenwärtig auf diesen Service vor.1 Seit Sigmund Freud mit seiner Psychoanalyse den
«Königsweg zum Unbewussten «fand, sind über 600 konkurrierende Seelenkuren aus der Taufe gehoben
worden, die mit teilweise hanebüchenen Verheißungen um die Gunst der angeknacksten Psyche ringen.
Keine Enzyklopädie hält mit dem Tempo stand, in dem abgespaltene Grüppchen und sektiererische
Vereinigungen von Ketzern den Irrgarten erweitern. Wer mit seinen seelischen Problemen um Hilfe sucht,
findet sich bald in einem Dschungel wieder, gegen den ein orientalischer Bazar geradezu übersichtlich
wirkt.
Bei so vielen Möglichkeiten, die Neurosen und Komplexe im eigenen Seelenkostüm» ausbügeln «zu
lassen,»reicht die Faustregel, je mystischer der Name, desto schlichter die Methode, nicht mehr aus, um
die Scharlatane zu erkennen«, räumt Ruth Kuntz-Brunner von der Redaktion des Pro-Familia-Magazins
mit der Maxime vieler Oberschlauen auf.12 Auch ungekünsteltes Gebaren und Anklänge an die exakte
Naturwissenschaft (»neurolinguistisches Programmieren«) bedeuten kein TÜV-Siegel und keine
Geldrückgabegarantie. Das mussten zum Beispiel die Klienten erkennen, die vor ein paar Jahren der
«provokativen Therapie «des Amerikaners Frank Farelly auf den Leim gingen. Seine Mischung aus
gesundem Menschenverstand und Patientenbeschimpfung bestand etwa darin, einer Frau in den mittleren
Jahren folgende» Erklärung «für ihre Beziehungsstörungen an den Kopf zu werfen:»Das ist ja auch kein
Wunder, bei so einer schlampigen, alternden Matrone wie Sie es sind. «Als er seine Rosskur nach einer
Weile mangels zahlender Masochisten einstellen musste, standen die Patienten ziemlich belämmert da.
Es ist schon erschreckend, wie widerspruchslos sich Patienten therapeutischen Interventionen
unterwerfen, die einen destruktiven und menschenverachtenden Charakter haben.»Besonders in der
grauen Psychoszene herrscht ein vordemokratischer, charismatischer Herrschaftstyp, bei dem Menschen
freiwillig Zumutungen akzeptieren, gegen die sie sich außerhalb der Therapie erbittert zur Wehr setzen
würden«, konstatieren die beiden Berliner Psychotherapieforscher Eckhard Giese und Dieter Kleiber
selbstkritisch.
Erschreckend ist aber teilweise auch die fast kindliche Leichtgläubigkeit, mit der das Publikum
manchmal noch den verschrobensten Habitus in der Psychoszene quittiert. Im Anzeigenteil eines
populären Psychologiemagazins prangte vor ein paar Jahren eine Annonce, in der für ein stolzes Entgelt