auch wenn sie damit ein jämmerliches Bild von sich selbst perpetuiert.»Wir sehnen uns nach Stabilität,
auch wenn sie Schmerz bedeutet«, meint Swann.»Der Wunsch nach Vorhersagbarkeit, Kontrolle und
Kohärenz ist so machtvoll, dass er sich sogar über das Bedürfnis nach Positivität hinwegsetzt.«
Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass die Methoden zur Selbstwertsteigerung, die in der Psychoszene
herumgereicht werden, irgendwelche Früchte tragen, erklärt der Psychologe. Das ständige Loben
(entweder sich selbst oder eine andere Person) prallt an einem machtvollen Schutzschild ab, der in dem
Bedürfnis besteht, das vorhandene Selbstbild zu zementieren. Menschen können sich sogar derart an
ständige abschätzige Bemerkungen über sich selbst gewöhnen, dass sie Lebenspartner suchen, die sie in
ihrer negativen Selbstsicht bestärken. In diesem Geisteszustand hören die Betreffenden einfach über
gelegentliche Anerkennungen und positive Bemerkungen hinweg, vergessen diese sofort oder deuten sie
sogar so um, dass sie einen negativen Touch bekommen.
Dass Menschen gezielt Informationen selektieren und aufbauschen, welche das vorhandene positive
oder negative Bild ihrer selbst unterstreichen, hat Swann in einem viel beachteten Experiment
aufgezeigt.10 Versuchspersonen mit hohem oder niedrigem Selbstwertgefühl hatten die Wahl, sich eines
von zwei psychologischen Gutachten über sich selbst auszusuchen, das entweder einen positiven oder
negativen Tenor besaß. Die überwältigende Mehrheit der Selbstbewussten wählte die schmeichelhafte
Option. Dagegen entschieden sich zwei Drittel aller Teilnehmer mit niedrigem Selbstwertgefühl für den
unschmeichelhaften Bericht. Patienten mit Depressionen wählten sogar zu 82 Prozent den Negativreport.
Die meisten Selbstbewussten wollten unbedingt zuerst etwas über ihre persönlichen Stärken lesen,
während die Selbstunsicheren als Erstes etwas über ihre persönlichen Schwächen erfahren wollten.
1 Branden, Nathan: The psychology of self-esteem. Bantam Books, Toronto et al. 1969.
2 Leary, Mark R.: The social and psychological importance of self-esteem. In: Robin M. Kowalski/Mark R. Leary (Hg.): The social psychology of
emotional and behavioral problems. Interfaces of social and clinical psychology. American Psychological Association, Washington 1999.
3 Baumeister, Roy E.: Should schools try to boost self-esteem? Beware the dark side. http: //www.rstennison.com/obe/self_esteem.html
4 Dawes, Robyn M: House of Cards. Psychology and psychotherapy built an myths. Free Press, New York 1994.
5 Baumeister, Roy E. /Joseph M. Boden: Aggression and the self: High self-esteem, low self-esteem, low self-control, and ego-threat. In: Russel G.
Green /Edward Donnerstein (Hg.): Human Aggression. Academic Press, San Diego et al. 1998.
6 Schütz, Astrid: Interpersonelle Aspekte des Selbstwertgefühles. Die Beschreibung der eigenen Person im sozialen Kontext. In: Zeitschrift für
Sozialpsychologie, Themenheft: Das Selbst im Lebenslauf- Sozialpsychologische und entwicklungspsychologische Perspektiven, Bd. 28 (1997), S.
92-108.
7 Bandura, Albert: Self efficacy: The exercise of control. Freeman Press, New York 1997.
8 Crocker, Jennifer/Brenda Major: Social Stigma and self-esteem. In: Psychological Review, Bd. 96 (1989), S. 608–630.
9 «What the self-esteem movement left out«. In: Behavioral health treatment, Vol. 1 (1996), S. 1, 5, 9.
10 «People with depression tend to seek negative feedback«. http: //www.apa.org/releases/depress.html
Die Seele ist schuld
«Viele organische Krankheiten haben psychosomatische Ursachen«
Es liegt ein verführerischer Reiz in der Vorstellung, dass unsere körperliche Gesundheit auf Gedeih
und Verderb dem Einfluss der mentalen Kräfte unterworfen sei. Der Zeitgeist hat sich demzufolge darauf
verständigt, dass Menschen heutzutage weniger körperlich als seelisch leiden. Selbst das Elend einer
körperlichen Krankheit läuft in gewissen Kreisen fast schon Gefahr, weniger ernst genommen zu werden,
wenn es nicht mit dem dramatischen Attribut» psychosomatisch «gekoppelt ist. Der Glaube an die
Herrschaft des Geistes über den Körper ist so suggestiv, dass er uns manchmal dazu verleitet, Menschen,
die krank werden, Vorwürfe zu machen, während uns die Überwindung eines lebensbedrohlichen Leidens
wie Krebs Hochachtung und Bewunderung abverlangt.
Unzählige populäre Sachbücher versprechen, das Geheimnis zu lüften, wie der Mensch zu innerer
Harmonie gelangt und seine Gesundheit durch die Mobilisierung psychischer Energien stählen kann.
Andere zeigen auf, mit welchen Mitteln er seine seelischen Selbstheilungskräfte stimulieren kann, falls er
doch einmal den finsteren Mächten der Krankheit erliegt. Für diejenigen, die sich mit intuitiven
Einsichten nicht zufrieden geben, hält die» psychosomatische Medizin «ein ganzes Arsenal an seriös
klingenden Modellvorstellungen über die Entstehung von Krankheiten und» Somatisierungen «parat.
Dieser Zweig der Medizin, der eng mit der Psychoanalyse verbunden ist, führt Krankheiten auf ungelöste
und unbewusst wirkende Konflikte, auf bestimmte Persönlichkeitsdefekte oder schlicht und einfach auf
«Stress «zurück.
Psychosomatiker annektieren in erster Linie Erkrankungen wie Asthma, Bluthochdruck, chronische
Magen-Darm-Erkrankungen oder rheumatische Arthritis, für welche die Organmediziner lange Zeit keine
überzeugenden biologischen Ursachen finden konnten. Allerdings beharren sie auch dann störrisch auf
ihrer Irrlehre, wenn die in der Öffentlichkeit verrufene» Apparatemedizin «an die molekularen Wurzeln
der betreffenden Störungen vorstößt.»Dabei ist in den vergangenen Jahren völlig klar geworden, dass
psychologische Faktoren bei diesen Krankheiten keine Rolle spielen«, streicht der Harvard-Mediziner
Steven E. Hyman heraus. l
Auch Professor Michael Myrtek, Leiter der Forschungsgruppe Psychophysiologie am
Psychologischen Institut der Universität Freiburg, pflichtet dem bei.2 Obwohl in seinen eigenen
empirischen Untersuchungen und einer Literaturanalyse keine bedeutsamen psychosomatischen
Zusammenhänge nachweisbar waren, klagt Myrtek, seien dennoch die meisten Laien —»aber sicher auch
die meisten Psychologen«— davon überzeugt, dass psychosoziale Faktoren organische Krankheiten
verursachen können. Ähnlich kompromisslos kritisiert er die gängige Lehrmeinung, Stress wirke
gesundheitsgefährdend, als ungesichert und überschätzt. Tatsächlich geht der Rückschluss auf psychische
Ursachen nach neuesten Ergebnissen sehr häufig» nach hinten «los: Die Patienten hadern intensiver mit
ihrem Schicksal und kommen schlechter mit der Bewältigung ihrer Beschwerden zurecht.
«Der Herzinfarkt wird durch eine gehetzte und aufbrausende >Infarktpersönlichkeit<
hervorgerufen«