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Das Kardinalbeispiel für das psychosomatische Denken und seine Unfähigkeit, aus Fehlern zu lernen

und wissenschaftliche Fakten zu akzeptieren, ist der Mythos von der» Infarktpersönlichkeit«. Anfang der

siebziger Jahre machten amerikanische Kardiologen die Beobachtung, dass die koronare Herzerkrankung

und der Herzinfarkt scheinbar überdurchschnittlich häufig einen besonderen Schlag Mensch ereilen.

Dieser so genannte Typ A beschreibt das Lebensbild eines unablässig gehetzten, überaus ehrgeizigen und

konkurrenten Perfektionisten. Damit war auch der Begriff der» Managerkrankheit «geboren. Der

charakterliche Gegenpol des Typ A, der gelassene und entspannte Typ B, ist jedoch gegen den Infarkt

gefeit. Nach der Theorie» dreht «nun bei dem aufbrausenden» Workaholic «vom Typ A der Sympathikus,

der aufputschende Pol des vegetativen Nervensystems, durch und leistet so der koronaren Herzkrankheit

und dem» Betriebsunfall «Herzinfarkt Vorschub.

Die ersten empirischen Studien schienen der Vorstellung Recht zu geben: Die Wahrscheinlichkeit,

einen Infarkt zu erleiden, war nach diesen Daten beim Typ A um das Zweifache erhöht. Doch dann

nahmen sich einige ungläubige Forscher einmal kritisch die ausgewerteten Daten vor. Überraschende

Quintessenz: Ausgerechnet die gelassenen B-Typen erlitten in der Zeit nach dem ersten Infarkt mit der

doppelten Wahrscheinlichkeit einen zweiten Gefäßverschluss bzw. verstarben daran, rekapituliert der

Neurobiologe Robert Dantzer aus Marseille in einer beißenden Abrechnung mit der Psychosomatik.3

«Alle neueren Studien konnten dann keinen oder nur einen äußerst geringen Zusammenhang zwischen

Typ A und der koronaren Herzkrankheit nachweisen«, gibt Michael Myrtek zu bedenken.

Doch die Befürworter der Psychosomatik verleugnen diesen Tatbestand und halten ingrimmig an

ihrem Wahnsystem fest. Die Tatsache, dass ausgerechnet die mutmaßlichen» Infarktcharaktere«

besonders selten einen zweiten Infarkt erleiden, hat sogar schon zu einem verblüffenden Umkehrschluss

geführt: Das Typ-A-Verhalten sei ein Schutzmechanismus, der bei Menschen mit bestehender koronarer

Herzkrankheit einsetze, um einen drohenden Infarkt abzuwenden, berichtet Myrtek. In diesem Fall wäre

jeder Versuch, die einschlägigen Persönlichkeitsmuster durch eine Intervention aufzuweichen, ein Schuss

in den Ofen.

Eine Kernaussage der Typ-A-Theorie besteht darin, dass Infarktpersönlichkeiten ein übererregbares

vegetatives Nervensystem besitzen, das beim geringsten Anlass» ausrastet «und Herz und Kreislauf

durchdrehen lässt. In einer sorgfältigen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten

Analyse der vorliegenden Studien kommt Myrtek zu dem Schluss, dass diese Behauptung keine

Rückendeckung in den wissenschaftlichen Daten findet. Die von ihm überprüften Daten rechtfertigen

keineswegs den Schluss, dass beim A-Typ Blutdruck, Puls, Hautleitfähigkeit, Stresshormone oder andere

physiologische Werte in die Höhe geschraubt sind. Die spärlichen Befunde, die eine solche Vermutung

unterstützen könnten, seien in der Vergangenheit kräftig überstrapaziert worden. Hinzu komme, dass

zahlreiche der Theorie widersprechende Untersuchungen gar nicht erst zur Veröffentlichung vorgelegt

oder vom Herausgeber abgelehnt worden seien.

«Der Infarkt wird durch Ärger, Feindseligkeit und Stress begünstigt«

Die Vertreter der psychosomatischen Sicht ließen sich vom Schiffbruch ihres Lieblingskonzeptes nicht

den Wind aus den Segeln nehmen. Es sei gar nicht das gesamte Paket an Typ-A-Verhaltensweisen,

welches das Herz schädige, hieß es plötzlich in einem eleganten Schlenker. Nur ein einziger Unterpunkt

dieses Komplexes, nämlich die ärgerliche und feindselige Reaktionstendenz der Infarktcharaktere, leiste

dem tückischen Gefäßverschluss Vorschub. Dies ist übrigens eine beliebte Hinhaltetaktik, mit der sich

von den Tatsachen bedrängte Theoretiker aus der Psychotherapie und Psychosomatik aus der Affäre

ziehen: Um die Unwissenheit der Opponenten zu beweisen, baut man die Theorie wie eine Theaterkulisse

immer wieder um. Irgendwie kommt dadurch das Bühnenbild schon so hin, dass die Kritik, die es gerade

zu widerlegen gilt, nicht trifft.

Doch Psychologie-Professor Michael Myrtek hat auch diese Finte in einer Übersicht über die

Forschungsliteratur widerlegt: Es besteht nicht der geringste Zusammenhang zwischen dem Wesenszug

Feindseligkeit und den Risikofaktoren Blutdruck und Herzfrequenz. Nach dem Ergebnis einer

amerikanischen Gesamtschau über Laborexperimente bleiben sehr Feindselige mit ihrem Vegetativum in

Stresssituationen genauso» cool «wie ihre friedfertigen Antipoden.

Die typischen Stressreize im Labor seien eben nicht lebensecht, konterten die Vertreter der

Psychotheorie. Es sei bekannt, dass die» Sicherungen «bei feindseligen Charakteren erst richtig

durchbrennen, wenn man ihre Selbstachtung bzw. ihren Sinn für Gerechtigkeit bedroht. Um diesen

Einwand zu testen, haben amerikanische Forscher ihre Probanden beim Lösen kniffliger Aufgaben ganz

unsachlich für ihre angebliche Langsamkeit und Ungenauigkeit kritisiert. Wieder einmal kam die

psychosomatische Theorie zu Falclass="underline" Bei den sehr feindseligen Probanden ließen sich trotz dieser

realistischen Provokation keinerlei Hinweise auf ein übererregbares vegetatives Nervensystem entdecken.

Nach einer weiteren, in den Medien beliebten Variante der psychosomatischen Theorie kommt es

beim Herzinfarkt gar nicht auf eine bestimmte, feststehende Charakterstruktur an: Es sei vielmehr die

seelische Belastung durch Stress, nervlichen Druck am Arbeitsplatz oder schmerzhafte

Lebenserfahrungen, die früher oder später bei jeder Persönlichkeit das Fass zum Überlaufen bringe. Diese

These wurde in mehreren Studien getestet, bei denen man eine große Zahl von Probanden über einen

längeren Zeitraum psychologisch und medizinisch verfolgte.»Stress am Arbeitsplatz «erwies sich in einer

Untersuchung an über 9.000 Männern als völlig folgenlos. Auch die belastenden Lebensereignisse riefen

keine gesundheitlichen Schäden hervor.»Die prospektiven Untersuchungen zur Stresshypothese zeigen,

dass bei kritischer Würdigung der mit Fragebogen erfasste psychosoziale Stress keinen Risikofaktor für

die koronare Herzkrankheit darstellt«, resümiert Myrtek.4

Ein Sonderfall der» psychosomatischen «Herzkrankheit ist der so genannte» Kummertod«:

Verwitwete sterben in den ersten sechs Monaten nach dem Verlust ihres Lebensgefährten um 40 Prozent

häufiger an Herzkrankheiten als ihre Altersgenossen. Über diesen Tod an» gebrochenem Herzen «kann

man immer wieder in Zeitungsartikeln und Lehrbüchern lesen. Doch über eine unbequeme Tatsache

schweigen sich die Berichte geflissentlich aus, moniert Myrtek: Nach den ersten sechs Monaten sinkt die

Sterberate der Verwitweten und fällt irgendwann sogar unter die der Verheirateten ab.»Insgesamt liegt die

Sterberate der Witwer für das 9-Jahre-Intervall nach dem Verlust keineswegs höher als das der

Vergleichsgruppe; tatsächlich ist diese sogar etwas geringer.«

Wenn die Seele der» Pumpe «nicht schadet, schlägt auch die Psychotherapie nicht an. In einer sehr

großen Studie an 2328 Patienten, die bereits einen Infarkt erlitten hatten, wurde geprüft, ob die

Unterweisung in Entspannungstechniken und Stressmanagement einen gesundheitlichen Nutzen bringt.