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Widersprüche zwischen diesen Deutungen werden übrigens von den Psychosomatikern nie thematisiert.

Doch die Vorstellungen darüber, wie Gastritis und andere Magenerkrankungen tatsächlich entstehen,

haben sich in den vergangenen 10 Jahren dramatisch gewandelt. Erst Anfang der achtziger Jahre

identifizierten Forscher das Bakterium Helicobacter pylori, das bald darauf als der Hauptverursacher von

unheilbar geltenden Magenleiden entlarvt wurde. Helicobacter pylori ist bei ungefähr 95 Prozent aller

Patienten mit Gastritis und bei der Mehrheit aller Patienten mit Magengeschwüren und Magenkrebs in der

Magenschleimhaut nachweisbar. Die Mikrobe macht sich dieses feindselige Habitat urbar, indem sie sich

in eine Wolke aus schützenden, säurehemmenden Enzymen hüllt.

Um alle Zweifel endgültig auszuräumen, testete Robin Warren, der australische Entdecker des

Bazillus, seine These im Selbstversuch. Er nahm einen kräftigen Schluck Bakterienbrühe und bekam

prompt eine schwere Gastritis, also eine Entzündung der Magenschleimhaut. Dort fanden sich auch

zahlreiche Kolonien des Helicobacter pylori, die vor dem Versuch noch nicht nachzuweisen waren. Dieser

Beweis leitete nach Worten von Experten eine» Revolution in der Magenheilkunde «ein. Beschwerden,

die zuvor nur durch eine radikale Umstellung des Lebenswandels zu lindern waren, lassen sich heute

innerhalb von sieben Tagen für immer heilen, und zwar mit Hilfe von Antibiotika.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte 1994 Helicobacter pylori als Auslöser für Magenkrebs

ein. Wie lebenswichtig es ist, den Erreger mit aller Anstrengung zu bekämpfen, wurde bei einer Studie an

Krebskranken klar. Dort wurden 120 Patienten, die an einem Lymphom, der zweithäufigsten Form von

Magenkrebs erkrankt waren, mit Antibiotika behandelt. Nach dem Auslöschen von Helicobacter bildete

sich auch der Krebs zurück. 70 Prozent der behandelten Krebspatienten wurden von ihrem Tumor geheilt.

Der Enthusiasmus, mit dem Mediziner auf diese Entdeckung reagierten, blieb nicht unwidersprochen.

So meldeten einige Vertreter der Psychosomatik in der Öffentlichkeit laut Zweifel an: Es müssten

sicherlich viel mehr Faktoren zusammenkommen, bis ein Magengeschwür entsteht. Psychosoziale

Aspekte spielten immer noch eine wichtige Rolle. Wie sonst wäre es zu erklären, dass zwar mehr als die

Hälfte aller Menschen mit dem Keim infiziert seien, aber die typischen Symptome nicht bei all diesen

auftreten würden?

Es stimmt zwar, dass nicht alle Helicobacter-Infizierten auch über Beschwerden klagen. Es gibt

nämlich Magengeschwüre, die keine Schmerzen verursachen. Pathologische Untersuchungen haben

dennoch ergeben, dass jeder, der den Helicobacter in sich trägt, gleichzeitig mit einer Gastritis zu

kämpfen hat — auch wenn sie keine Beschwerden macht. Und es lässt sich einfach nicht leugnen, dass die

Eliminierung des Keimes Magengeschwüre in 98 Prozent aller Fälle dauerhaft zum Verschwinden bringt.

Seelischer Stress lahmt das Immunsystem und fördert Infektionskrankheiten«

Durch die» Psychoneuroimmunologie«, eine neue Disziplin, die sich in den letzten Jahren sehr

öffentlichkeitswirksam in Szene setzte, hat der kränkelnde psychosomatische Gedanke einen unverhofften

Schub erfahren. Es gehört bereits seit längerer Zeit zum Allgemeinwissen, dass das Immunsystem, die

körpereigene Schutztruppe gegen Krankheitserreger, Signale aus dem» Elfenbeinturm «der Seele

empfängt. Kein Augenblick vergeht, in dem das Immunsystem sich nicht vehement gegen ein

Billionenheer von gemeingefährlichen Mikroorganismen wehren muss. Jede Form von schwerem und

länger anhaltendem seelischem Stress, so die simplifizierte Quintessenz der Psychoneuroimmunologie,

behindert die Immunzellen bei der Arbeit und ebnet allen Arten von Infektionskrankheiten, von der

banalen Erkältung bis zu virusbedingten Tumoren den Weg. Das ganze Unheil wird meist auf das

Stresshormon» Cortisol «zurückgeführt, das uns in Belastungssituationen durch die Adern schießt.

De facto beruhen die Lehrsätze des modischen Forschungszweiges jedoch auf fragwürdigen

methodischen Ansätzen, einem unzulänglichen Untersuchungsdesign und unhaltbaren

Verallgemeinerungen, wie aus einer umfassenden Analyse der Forschungsliteratur zu schließen ist,

welche die beiden Immunologen L. Hodel und Prof. P. J. Grob vom Universitätsspital Zürich

vorgenommen haben.7 Bei ihren mehrjährigen Recherchen gingen den Autoren 67 empirische Studien ins

Netz, die den Einfluss seelischer Faktoren auf das Immunsystem und den medizinischen Status Gesunder

verfolgten. 40 der 67 Studien waren schon allein deshalb mangelhaft, weil sie keine Kontrollgruppe –

eine unabdingbare Vorbedingung für jede solide Forschung — enthielten. 19 fielen wegen ihrer winzig

kleinen Stichprobengröße bei der Qualitätskontrolle durch.

Die Stressbedingungen, deren Auswirkungen in den betreffenden Studien erkundet wurden, reichten

von der Prüfungsangst bei Studenten über die Trauer beim Verlust einer geliebten Person bis hin zu der

Belastung bei der Pflege von Alzheimer-Patienten und der Nervenbelastung, die Astronauten bei der

Rückkehr aus dem Weltall durchmachen. In den meisten Fällen wurde gemessen, ob durch die jeweiligen

Strapazen irgendein Indikator für die Schlagkraft des Immunsystems in den Keller ging. Aber auch in

diesem Punkt wiesen sämtliche Studien einen schweren Makel auf, wie die beiden Forscher rügen: Sie

benutzten überholte Messgrößen, von denen die Immunologie längst abgerückt ist, und zwar wegen ihrer

fehlenden Aussagekraft.

Trotz dieser gravierenden methodischen Mängel bleibt die Psychoneuroimmunologie bis heute den

Beweis für den Zusammenhang zwischen Stress und einer Schwächung des Immunsystems schuldig,

ziehen die Forscher Bilanz. Entweder blieben die (fragwürdigen) Messwerte für die Immunantwort im

Normalbereich, oder es war ein vernachlässigbar schwacher Rückgang zu verzeichnen. Niemals erreichte

der Abfall das Niveau, das für Patienten mit einer organischen Störung charakteristisch ist.»In keiner

dieser Arbeiten ergaben sich jeweils klare Beziehungen zwischen einer erhöhten Zahl von

Krankheitstagen und den gemessenen immunologischen Veränderungen. «Mit den Befunden, die der

Psychoneuroimmunologie bisher ins Netz gegangen sind, könnte man laut Hodel und Grob genauso gut

die umgekehrte These stützen:»Stress stärkt das Immunsystem und hilft, die Entstehung von Krankheiten

zu verhindern.«

Diese Sicht teilt der Biologe Victor Apanius von der Universität Miami:»Es ist ein Klischee, zu

sagen, dass Stress die Immunabwehr schwächt. Obwohl viele Menschen an diese Phrase glauben, sind die

biologischen Tatsachen sehr viel komplexer.«8 Und auch der Franzose Robert Dantzer stimmt in die

Skepsis ein:»Der Gedanke, dass Stress über das Immunsystem Infektionskrankheiten oder andere

organische Störungen auslöst, beruht allein auf Phantasie.«

«Stress ist ein Risikofaktor in Bezug auf körperliche Krankheiten«

Stress, darin waren sich bisher Fachleute und Laien einig, bringt dem Organismus nur Schaden ein.

Zumindest eine länger anhaltende seelische Belastung lähmt nach dieser Sichtweise nicht nur das