Würze von Sex und Crime besitzt, werden mit Vorliebe schockierende Erinnerungen an
Vergewaltigungen, Quälereien oder rituelle Folter, etwa bei satanischen Messen, aufgefahren.
Glaubt man den Erfahrungsberichten, die von der Kasseler Psychologin und Buchautorin Michaela
Huber3 gesammelt wurden, so gehen die Kinderschänder mit bestialischer Brutalität auf ihre Opfer los.
Verbreitet, behauptet die MPS-Expertin, sei die Kindesfolterung bei schwarzen Messen und in
«germanofaschistischen «Sekten: Dort werden, laut Huber, Kinder zum Kannibalismus gezwungen,
nachdem sie zuvor bei der rituellen Schlachtung von Neugeborenen haben zusehen müssen.
Angesichts solch ungeheuerlicher Erlebnisse zieht sich das Selbst des Kindes aus der Welt zurück,
beschreibt der Psychologe Robert A. Baker die einschlägige Theorie:»Das Kind beschließt, dass seine
Hauptpersönlichkeit bösartig und nicht liebenswert ist. In seiner Verzweiflung produziert es eine weitere
Persönlichkeit, mit der Hoffnung, dass diese die vermisste Zuwendung erhält. «Eine Teilpersönlichkeit
unterliegt also dem Trauma, während sich der verbleibende Teil hinter einer mentalen Barriere versteckt.
In vielen Fällen, so die MPS-Doktrin, wachsen dann die Bewusstseinsfragmente zu eigenständigen
Persönlichkeiten heran, die durch Amnesie-Barrieren voneinander getrennt bleiben: Ihnen ist nichts von
der Existenz der anderen bekannt.
So einladend plausibel diese Denkvorstellung auch klingen mag, es gibt in der gesamten
wissenschaftlichen Literatur keinen einzigen Beleg dafür, dass Menschen, die als Kind schwerwiegend
traumatisiert oder sexuell missbraucht werden, im späteren Leben multiple Persönlichkeiten
hervorbringen, ziehen die beiden holländischen Psychologie-Professoren Hans F. M. Crombag und
Harald L.G. Merckelbach in einer umfangreichen Übersicht Bilanz.5 Kanadische Forscher haben danach
zum Beispiel kürzlich eine vollständige Literaturrecherche über die kürzend langfristigen Folgen von
sexuellem Kindesmissbrauch durchgerührt. Das Trauma kann auch langfristig verschiedene
einschneidende Störungen nach sich ziehen: Ängste, Depressionen, Probleme mit der Sexualität und
mehr.»Aber einen Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und MPS konnten die Autoren
überhaupt nicht finden.«
Auch eine neue US-amerikanische Gesamtdarstellung kommt nach Aussage der holländischen
Professoren zum gleichen Schluss: Unter all den möglichen seelischen Problemen, die als Folge von
frühem sexuellem Missbrauch auftreten, kommt die Diagnose MPS nicht vor. Ein Team von Harvard-
Psychiatern hat mit» kriminalistischen «Methoden die frühe Lebensgeschichte von Patienten unter die
Lupe genommen, die in einer Therapie nicht nur multiple Persönlichkeiten, sondern auch traumatische
Kindheitserinnerungen» ausgepackt «hatten. Vorsichtiges Fazit: Die Erzählungen waren vermutlich
falsch.
Seriöse Wissenschaftler ziehen heute ohnehin den Glauben der MPS-Therapeuten in Zweifel, die
traumatischen Erfahrungen ihrer Klienten schlummerten verdrängt oder blockiert im Gedächtnis der
Alternativ-Persönlichkeiten. Nach Jahrzehnten empirischer Studien fehlt jeglicher Beweis für die These,
dass Erinnerungen überhaupt durch Verdrängung aus dem Bewusstsein verbannt werden können. In der
psychiatrischen Praxis ist eher das Gegenteil zu beobachten, nämlich wie schwer es Menschen fällt, sich
traumatische Erlebnisse aus dem Kopf zu schlagen. Ehemalige KZ-Häftlinge, Kriegsveteranen und
Folteropfer haben die furchtbarsten Gräuel durchlebt. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass die Erinnerungen
daran je verdrängt oder zum Nährboden multipler Persönlichkeiten geworden wären.
«Multiple Persönlichkeiten sind reale Ausgeburten der Seele«
Es ist schwer, sich dem faszinierenden Eindruck zu entziehen, wenn eine abgespaltene Persönlichkeit
ihr Gastspiel gibt. Der Auftritt kann eine derart imposante Präsenz besitzen, dass die Traumfabrik
Hollywood ihn bereits mehrfach für nervenaufreibende Kinoknüller nutzte. Ein Ego nötigt das andere zu
unangenehmen Dingen, zu einem Verbrechen oder gar zum Selbstmord. Ein anderes versteckt sich oder
nimmt die Rolle eines wiederum anderen an. Manche Egos sind begnadete Lügner, welche die Existenz
der Personenvielfalt vertuschen und den Therapeuten in die Irre führen. Manche saugen gnadenlos all die
anderen Teilpersonen neben ihnen auf.
Doch so überzeugend die Manifestation auch auf Außenstehende wirken mag: Nach Darstellung der
beiden Psychologie-Professoren Crombag und Merckelbach und vieler anderer Experten erlaubt die
kritische Würdigung der Daten nur einen Schluss: Der Auftritt solcher» Abspaltungen «ist lediglich ein
Rollenspiel, das der Patient nur» abzieht«, weil er dem Erwartungsdruck und den aufgeputschten
Manipulationen seines Therapeuten folgen will.
Ein ganzes Bündel von Fakten weist unmissverständlich in diese Richtung. Den ersten Hinweis
liefern die Therapeuten selbst: Wenn die Spaltpersönlichkeiten ein real existierendes Phänomen wären,
müssten alle Seelenheiler sie orten können. Tatsache ist jedoch, dass überall da, wo MPS überhaupt
vorkommt, nur eine Hand voll Therapeuten für den Löwenanteil der Ortungen verantwortlich ist. In der
Schweiz haben zum Beispiel 90 Prozent aller Psychiater noch nie einen Fall von MPS gesehen. 70
Prozent aller dort aufgetretenen Fälle gingen gerade einmal sechs Psychiatern ins Netz. Das gleiche
Missverhältnis ist in den Niederlanden, in Kanada und in den USA zu verzeichnen. In den meisten Fällen
stehen übrigens die anderen Psychiater der MPS-Diagnose durch einen Fachkollegen äußerst skeptisch
gegenüber.
Auch die internationale Verteilung der MPS-Diagnosen lässt das Schlimmste ahnen: Da, wo wie in
den USA und Kanada ein Netz aus fest organisierten MPS-Sachverständigen existiert, ist die Zahl der
Fälle sprunghaft angestiegen. Doch in Frankreich, England, Indien, Japan und Russland ist das
Krankheitsbild MPS nahezu unbekannt.»Vor allem Frankreich und England haben auf dem Gebiet der
Psychiatrie eine anerkannte Tradition«, notieren die beiden holländischen Seelenforscher,»und es gibt
keinen Grund, anzunehmen, dass die psychiatrischen Zentren dort nur mit Versagern besetzt sind. «Eine
nette Anekdote ist die Erfahrung amerikanischer Psychiater, die vor ein paar Jahren während der
Perestroika nach Russland reisten, um das russische Erscheinungsbild der MPS zu studieren. Die Reise
war ein totaler Flop, denn in Russland war kein einziger MPS-Patient aufzutreiben.
Auf den ersten Blick könnte man Zweifel haben, dass gewöhnliche Menschen überhaupt den
Sachverstand und das schauspielerische Talent besitzen, um eine überzeugende MPS-Schau auf die
Bühne zu stellen. Amerikanische Forscher haben diese Zweifel mit einer Versuchsreihe ausgeräumt.
Normale Versuchspersonen wurden gebeten, sich vorzustellen, sie seien in eine heikle Lage geraten, zum
Beispiel unter Mordverdacht. Dann mussten sie sich einem Interview durch einen angeblichen Psychiater
stellen, der schlicht den Verdacht aussprach, der Beschuldigte könne» mehrere Seiten «haben.
Es stellte sich heraus, dass die Probanden begeistert auf dieses Angebot abfuhren: Sie warteten
prompt mit mehreren Spaltpersönlichkeiten auf, von denen jede einen eigenen Namen, eigene