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Wesenszüge, eine eigene Biographie und einen eigenen Sprachstil besaß. Die meisten kamen auch

selbstständig auf die Idee, zu behaupten, dass ihre Erinnerung an das Verbrechen einem Gedächtnisverlust

zum Opfer gefallen sei. Die ganze Vorstellung war selbst für Profis nicht als Farce zu durchschauen.

Der Test beweist, dass ganz normale Menschen nur ein paar vage Hinweise benötigen, um die MPS-

Rolle bis ins kleinste Detail auszufüllen. Wenn dies bereits für die typischen Versuchspersonen gilt, wie

viel leichter mögen dann wohl Menschen zum Opfer solcher Suggestionen werden, die in Not Hilfe bei

einem Therapeuten suchen, der sich als Spezialist für multiple Persönlichkeiten ausgibt? Die Therapeuten

räumen immerhin selbst ein, dass ihre Patienten zu Beginn der Behandlung nichts von der Spaltung ihrer

Seele ahnen. Während der Behandlung fahren sie dann ein ganzes Arsenal von bildlichen Vorstellungen

auf, die eine Spaltung suggerieren, zum Beispiel sprechen sie über» das Kind in dir «oder» den Teil von

dir, der nicht essen will«. Dann rücken sie dem Patienten mit Hypnose auf den Leib, die nichts anderes

bewirkt, als ein Rollenspiel anzustacheln. Irgendwann» kippt «der Patient um und macht seinem Heiler

das gewünschte Schauspiel zum Geschenk.

«Patienten haben gar kein Motiv, eine Persönlichkeitsspaltung vorzutäuschen«

Ein Argument für die Realität des multiplen Persönlichkeitsspukes besagt, dass die Patienten gar kein

Motiv und keine zwingenden Beweggründe hätten, ein solches Theaterstück aufzuführen. In Wirklichkeit

kann jedoch eine Vielzahl von Motiven den Anstoß zu einer solchen manipulierten Selbstdarstellung

geben, hält der Psychologe Robert A. Baker fest.1 Wer erfolgreich die gespaltene Persönlichkeit

«markiert«, kann zum Beispiel alle Privilegien einer exklusiven Krankenrolle einheimsen: die

Bewunderung und die Hochachtung, deren eine Person mit einem dramatischen Krankheitsbild teilhaftig

wird. Das Gefühl von Würde, das damit verbunden ist, dass man ungeheuerliche Widrigkeiten

überstanden und die menschliche und intellektuelle Zuwendung eines professionellen und angesehenen

Seelenhelfers gefunden hat. Die Genugtuung, die darin besteht, dass man die Finger auf ein vor

Jahrzehnten begangenes Verbrechen (Missbrauch) legt und sich als Vollstrecker der Gerechtigkeit erleben

kann.

Manchmal können aber auch profanere Beweggründe den Ausschlag geben. Das Erscheinungsbild

der MPS bietet zum Beispiel die Möglichkeit, die Verantwortung für unschickliche und sozial

unerwünschte Verhaltensweisen auf eine» Subpersönlichkeit «abzuwälzen. Das ist dasselbe, was kleine

Kinder tun, wenn sie sagen:»Ich habe die Vase nicht umgeworfen. Der böse Junge hat es getan, aber ich

wollte es nicht tun. «Vor allem Zeitgenossen, die eine lebhafte Phantasietätigkeit besitzen und sich schon

als Kinder imaginäre Spielgefährten herbeidachten, brüten im Erwachsenenalter multiple

Persönlichkeiten aus. 1994 kam eine Frau in Kentucky vor Gericht mit der Revolvergeschichte durch,

nicht sie selbst, sondern eine ihrer Unterpersönlichkeiten habe den ehelichen Seitensprung begangen. Ihr

Gatte hatte die Abgabe von Unterhaltsleistungen mit dem Verweis auf die Untreue abgelehnt. Tatsächlich

ließ sich das Gericht von diesem Schwachsinn bluffen.

In amerikanischen Strafprozessen kommt es mit zunehmender Häufigkeit vor, dass Angeklagte

vorgeben, an MPS und einem Gedächtnisverlust bezüglich ihrer Straftat zu leiden. Laut Crombag und

Merckelbach sind ungefähr zwanzig solcher Fälle beschrieben worden, und in mindestens vier davon

holten die betreffenden Simulanten damit einen Freispruch für sich heraus. Das in diesem

Zusammenhang berüchtigste Beispiel ist das des amerikanischen Serienmörders Kenneth Bianchi, besser

bekannt als der» Hillside Strangler«. Nach seiner Festnahme gab er an, unter MPS zu leiden, und nahm

eine totale Amnesie für seine Taten in Anspruch. Jeder hätte ahnen müssen, dass er auf das Urteil

«schuldunfähig wegen seelischer Störung «abzielte. Doch ein» Experte «machte ihm tatsächlich die

entlastende Diagnose» MPS «zum Präsent. Unter den übrigen konsultierten Profis entbrannte bald ein

heftiger Expertenstreit. Zum Glück konnte ein Polizeifahnder den intellektuellen Schwachstromgehirnen

eine Lektion erteilen: Er machte ein verstecktes Spind ausfindig, in dem Bianchi diverse Lehrbücher der

klinischen Psychologie gehortet hatte. Sie enthielten ausführliche Beschreibungen der Multiplen

Persönlichkeitsstörung. Der Hillside Strangler wurde, inklusive aller in ihm wohnenden Mörder-Egos,

schuldig gesprochen.

1 Baker, Robert A.: Mind games. Are we obsessed with therapy? Prometheus Books, New York 1997.

2 «Modischer Wahn«. In: Der Spiegel, 12/1995.

3 «Floras Erzählungen«. In: Der Spiegel, 44/1998.

4 «Unmasking Sybil«. A re-examination of the most famous Psychiatric patient in history. In: Newsweek, 25.1.1999.

5 Crombag, Hans EM./Harald L. G. Merckelbach: Missbrauch vergisst man nicht. Verlag Gesundheit, Berlin 1997.

MYTHEN DES VERÄNDERTEN BEWUSSTSEINS

Schein-Heil im Lotussitz

«Meditation erzeugt einen einzigartigen körperlich-geistigen Entspannungszustand«

Wenn die enthusiastischen Versprechungen ihrer Apostel nicht täuschen, haben fernöstliche Mönche

mit der Technik der Meditation schon seit etlichen Jahrhunderten ein Allheilmittel gegen die

verderblichen Auswüchse der modernen Stressgesellschaft parat. Meditation ist eine Methode der

mentalen Selbstversenkung, die durch die Konzentration auf ein meditatives Symbol, einen Klang oder

auf den eigenen Atem zu einem außerordentlich tiefen Gefühl der inneren Ruhe führen soll. Der Zweck

dieser geistigen Übung bestand in ihrem ursprünglichen religiösen Kontext darin, die Beschränktheit des

alltäglichen Denkens zu überwinden und mit einer innerlich erfahrenen, transzendentalen Quelle des

Lebens in Kontakt zu treten. Doch einige der größten Gurus aus dem fernen Osten haben in den letzten

Jahrzehnten den religiösen Elfenbeinturm verlassen und die Versatzstücke der Meditationslehre zu einer

Instant-Kur für das lädierte Nervenkostüm gehetzter Zivilisationsmenschen verpanscht.

Wenn man sich durch eine geeignete Prozedur in Trance murmelt, so die einschlägigen

Verlautbarungen, dann wird einem eine nie da gewesene Form der Tiefenentspannung zuteil. Diese

extreme Variante des» Relaxens «soll den Organismus gegen Stress, Bluthochdruck, Asthma und alle

erdenklichen modernen Volkskrankheiten wappnen. Die Zeit ist längst vorbei, da solch hochtönende

Verheißungen nur auf den Flugblättern exotischer Gruppen und Sekten prangten. Selbst das viel

gepriesene Multimedialexikon» Microsoft Encarta «stößt inzwischen in das gleiche Horn:»Heutzutage

wird die Meditation häufig auch als nichtreligiöse Methode zur Entspannung und zum Abbau von Stress

eingesetzt. Die Behauptung, sie sei von gesundheitlichem Nutzen, wird durch wissenschaftliche