bruchstückhaft erhaltene Szenenfolgen interpretiert. Der Mensch ist nach diesen Daten kein
gewissenhafter und akkurater Chronist seines Lebens, sondern eher ein verkappter Drehbuchautor, der
unentwegt an seinem privaten Historienschinken spinnt — und dabei nicht einmal vor groben
Manipulationen zurückschreckt.
Diese leichte Manipulierbarkeit ist so bedeutsam, weil viele Psychotherapeuten immer noch das
trügerische Instrument der Hypnose einsetzen, um ihren Patienten» verdrängte «Erinnerungen an
sexuellen Missbrauch in der Kindheit aus der Nase zu ziehen. Das unkritische Vertrauen in die Realität
des Verdrängten sei jedoch wissenschaftlich suspekt und geeignet, die Diskussion um den sexuellen
Kindesmissbrauch in Misskredit zu ziehen, behauptet nun die Gedächtnisforscherin Elizabeth Loftus.9
Auch sie lässt keine Zweifel daran, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern tragische Dimensionen
besitzt und mit einer geschätzten Verbreitung zwischen 10 und 50 Prozent ein gravierendes soziales
Problem darstellt. Es fragt sich jedoch, ob Erinnerungen an derartige Traumata tatsächlich im großen Stil
verdrängt werden und aus der Enklave des Unbewussten heraus Schaden anrichten.
Die höchste Zahl für die Häufigkeit von sexuellem Kindesmissbrauch stammt aus einer Umfrage von
Therapeuten, die schwerpunktmäßig sexuellen Missbrauch behandeln. 59 Prozent ihrer meist weiblichen
Patienten gaben an, dass die Erinnerung an den Übergriff zeitweise aus ihrem Bewusstsein verbannt
gewesen war. In einer anderen Umfrage äußerten sich jedoch nur 18 Prozent der Betroffenen in diese
Richtung, und von den unter 10-jährigen Kindern, die der Ermordung eines Elternteils beiwohnen
mussten, hatte keines die peinigenden Erinnerungen unter den Teppich gekehrt.
Da es zurzeit kein Kriterium für die Wahrheit von verdrängten Erinnerungen gibt, sollten Therapeuten
mehr Weisheit und Zurückhaltimg walten lassen, bevor sie wilde Beschuldigungen äußern und zur
«Hexenjagd «blasen, mahnt Loftus. Das Thema der verdrängten Erinnerungen dürfe auch nicht zum
Popanz verkommen, der die berechtigte Wut der Frauen über sexuelle Gewalt absorbiert. Sonst bestehe
die Gefahr, dass die Gesellschaft eines Tages alle Enthüllungen über sexuellen Missbrauch in Zweifel
zieht.
Hypnotisierbarkeit ist eine spezifische geistige Fähigkeit, die nur gewisse Leute mitbringen«
Die Fähigkeit, sich durch eine Induktion in Hypnose versetzen zu lassen, gilt in der Szene häufig als
eine besondere geistige Gabe, die längst nicht alle besitzen: Trance ist eine Kunst. Doch die
Wissenschaftler, die hypnotisierbare und nichthypnotisierbare Versuchspersonen nach allen Regeln der
Psychologie unter die Lupe nahmen, konnten nie irgendwelche spezifischen Differenzen ausmachen. Der
Versuch ist kläglich gescheitert, die Hypnotisierbarkeit mit irgendwelchen besonderen
Persönlichkeitsmerkmalen oder Hirnwellenmustern in Verbindung zu bringen, erklärt der amerikanische
Psychologe Nicholas Spanos. Das Merkmal, das die Hypnotisierbarkeit am besten vorhersagte, war die
«gläubige Erwartung an die Hypnose«.»Wir wissen sehr genau, dass man Leute, die Hypnose für
Schwachsinn halten, nicht hypnotisieren kann«, bringt es der amerikanische Hypnose-Kritiker Robert
Todd Carroll auf den Punkt.10
Es liegt daher nahe, Hypnotisierbarkeit schlicht und einfach als ein Konglomerat von Einstellungen
und sozialen Erwartungen zu definieren, die sich positiv auf das Phänomen Hypnose beziehen. Jedes
Rütteln an dieser Sichtweise — oder jede Verbesserung des Hypnose-Images — müsste sich daher auf die
Hypnotisierbarkeit auswirken. Personen, die unter dem Eindruck standen, durch einen Einwegspiegel
beobachtet zu werden, verfielen (quasi unter Erfolgsdruck) auch wirklich stets in eine tiefere Trance –
egal, ob ihr Eindruck zutraf oder nicht. Den umgekehrten Trend fand Nicholas Spanos, als er die Hypnose
durch geringschätzige Bemerkungen bei seinen Probanden in ein ungünstiges Licht rückte. Plötzlich
legten die Betreffenden eine reduzierte Hypnotisierbarkeit an den Tag.
«Hypnose kann Schmerzen und andere medizinische Symptome bekämpfen«
Immerhin lindert die hypnotische Trance Schmerzen, ziehen ihre in die Enge getriebenen Anhänger
ihr letztes Ass aus dem Ärmel. Der gesamte medizinische Betrieb soll angeblich von diesem Segen
profitieren können: Zahnärzte können bohren, ohne ihre Opfer mit geballter Chemie ruhig stellen zu
müssen, Chirurgen nähen schonungsvoll Wunden, Geburtshelfer bringen die Kinder von sanft
schmerzgestillten Schwangeren zur Welt.
Die entscheidende Frage lautet aber nicht, ob die Hypnose Schmerzen lindert, sondern, ob sie dem
Hypnotisierten wirklich eine größere Schmerzunempfindlichkeit beschert, als er im Wachzustand und mit
normalen geistigen Mitteln aufbringen kann. Die Antwort lautet mit großer Wahrscheinlichkeit» nein«.
Im kritischen Versuch instruierte Nicholas Spanos eine Hälfte der Probanden,»einfach alles über sich
ergehen zu lassen«. Die andere Hälfte wurde hypnotisiert und bekam die Suggestion, keine Schmerzen zu
empfinden. Dann peinigte der Psychologe beide Gruppen mit (harmlosen) Schmerzreizen an der Hand.
Fazit: Beide Suggestionen führten den gleichen Grad an Schmerzunempfindlichkeit (Analgesie) herbei.
Bleibt ohnehin die Frage offen, ob die durch Hypnose bewirkte Analgesie überhaupt einen echten
Charakter besitzt, äußert sich der Psychologe Graham Wagstaff skeptisch. In einigen Studie gaben die
malträtierten Versuchspersonen zwar an, keine oder nur geringfügige Schmerzen zu empfinden. Doch die
Biosignale aus dem vegetativen Nervensystem straften die beschönigenden Worte Lügen: Blutdruck, Puls
und andere Werte gingen steil in die Höhe, wie bei einem Menschen, der starke Schmerzen durchmacht.
«Das könnte bedeuten, dass viele Hypnotisierte weniger Schmerzen zugeben, als sie tatsächlich
empfinden.«
Dieser Eindruck bestätigte sich, als man Versuchspersonen den Bären aufband, es gebe tief in ihrem
Inneren einen» geheimen Beobachter«, der während der gesamten Hypnose wach und ansprechbar bleibt.
Dann traktierte man die Probanden mit Schmerzreizen und nahm Kontakt mit ihrem» Spion «auf. Fazit:
Während die direkt angesprochenen Versuchspersonen ihre körperliche Pein ableugneten oder
bagatellisierten, machte der geheime Beobachter aus den Schmerzen keinen Hehl.»Hört auf, ihr
verdammten Hurensöhne, ihr tut mir weh«, lautete das Geständnis in einem Fall.6
Ähnlich düster steht es um die Behauptung, dass die Hypnose ein ganzes Spektrum medizinischer
Störungen — von der Warze bis zum Nägelkauen — kurieren kann. Doch darf man niemals vergessen,
warnen die Kritiker, dass man solche Beschwerden auch erfolgreich mit Gesundbeten, Scheinoperationen
oder einer wirkstofflosen Zuckerpille» heilen «kann.
Dass die Hypnose nur über die Macht des Glaubens wirkt, macht Wagstaff am Beispiel des
Nägelkauens transparent. Durch eine hypnotische Suggestion ließen sich die Versuchspersonen
nachdrücklicher von dieser Unsitte abbringen als durch eine pädagogische Belehrung. Doch bei genauerer
Betrachtung stellte sich der Effekt als optische Täuschung heraus: Entscheidend war nicht die Erfahrung