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Kenneth Ring.»Er treibt auf eine dunkle Leere oder einen Tunnel zu und hat das Gefühl, zu schweben.«

In dieser Sphäre des Übergangs ereignet sich, jedenfalls in Rings Darstellung, eine Bestandsaufnahme, zu

der» ein Wesen «auffordert, das nicht zu sehen, nur zu spüren ist. Dieses diffuse Fühlen wird jedoch

durch ein überwältigendes Gefühl der Präsenz überhöht. Das Wesen taucht meistens am in gleißendes

Licht gehüllten Ende des Tunnels auf. Die Begegnung mit dem Licht ist in den neueren Schilderungen so

tonangebend, dass ein kritischer amerikanischer Magazinbeitrag den zynischen Titel» Haben Sie schon

das Licht gesehen?«trug.7

Das ominöse Wesen ruft Bilder aus der Vergangenheit wie einen» Lebensfilm «ab und präsentiert auch

die Alternativen, die sich an der Schwelle vom Leben zum Tod scheinbar bieten: weiter in die Erfahrung

vorzudringen oder ins irdische Leben zurückzukehren. Ob dieser Mensch nun» freiwillig «zurückkehrt,

weil er sich Sorgen um die Seinen macht, oder — wie meistens — gegen seinen Willen auf» höheren

Befehl«, ob er allmählich erwacht oder mit einem schmerzhaften Ruck» wieder in seinen Körper eintritt«

— zurück muss er. Doch diese erzwungene Rückkehr soll häufig eine bemerkenswerte existenzielle

Läuterung nach sich ziehen. Ein großer Teil der Betroffenen verliert demnach als Folge der

Grenzerfahrung die Angst vor dem Tod und gewinnt ein verstärktes Gefühl von Sinnhaftigkeit und

zwischenmenschlicher Nähe dazu.

«Nahtod-Erlebnisse «weisen überall in der Welt das gleiche Muster auf«

Wer an die spirituelle Realität der Nahtod-Erfahrung glaubt, hebt gerne die Tatsache hervor, dass die

Erlebnisse beim Übergang von Sein ins Nichtsein in allen Kulturen und Epochen dem gleichen Muster

folgen: Moodys Analysen oder das über 1.000 Jahre alte tibetanische Totenbuch» Bardo thödol «lassen

demnach keinen Zweifeclass="underline" Nahtod-Erlebnisse sind ein universelles Phänomen mit einem immer

wiederkehrenden Szenario, zu dem die Euphorie und das Licht am Ende des Tunnels gehören. Viele

ziehen aus den überwältigenden Übereinstimmungen und der Intensität des Erlebten den Schluss: Das

Jenseits existiert.

Doch die vermeintlich größte Stärke der Nahtod-Erfahrung stellt bei Licht betrachtet eine ihrer

größten Schwächen dar. Denn zum einen könnte man die behauptete Gleichförmigkeit der Erfahrung

ebenso gut als Beweis dafür anführen, dass unser Gehirn beim Erlöschen der Lebensgeister einen

feststehenden» Todesfilm «abspult, dessen inhaltliche Gestaltung auf den konstruktionsbedingten

Eigenarten des Nervensystems basiert. Zum anderen widerlegt ein Blick auf Kulturgeschichte und

Ethnologie unweigerlich die behauptete Gleichförmigkeit. Er führt zwingend zu der Erkenntnis, dass der

Inhalt der Sterbensvisionen ganz entscheidend von den kulturellen Mythen und Glaubenssätzen einer

Gesellschaft abhängt: Die Hirngespinste, die das menschliche Zentralorgan im Würgegriff des Schnitters

abspult, sind bis in ihre Grundfesten von den jeweiligen Denktraditionen überformt.

Offensichtlich sind sich die Verfechter der Nahtod-Realität nicht bewusst, dass es bereits im

Mittelalter frappierende Gegenstücke zu den modernen» Reiseberichten «gab, hebt der

Geschichtswissenschaftler Prof. Peter Dinzelbacher von der Universität Stuttgart hervor.8 Nach seiner

Darstellung muss es wohl schon in der griechischen Antike persönliche Berichte von Wiederbelebten

«Anabioseis«) und Berichte von Abstiegen in die Unterwelt (»Katabaseis«) gegeben haben, von denen

jedoch keiner erhalten geblieben ist. Beginnend mit der so genannten apokalyptischen Literatur und den

Schauungen der Märtyrer, bildete sich im Mittelalter eine eigene literarische Gattung, die der

«Visionsliteratur«, heraus. Darin waren» Jenseitsreisen «festgehalten, die Beinah-Verstorbene bestimmten

Gewährsleuten geschildert hatten. In den» Viten«, den Lebensbeschreibungen von Heiligen, und in

gewissen anderen klerikalen Schriften gibt es zudem Berichte über jenseitige Figuren, die den Sterbenden

am Todesbett erschienen waren.

In einigen Fällen wurden die Dahinscheidenden an ihrem Krankenlager von Sendboten der christlich-

mythologischen Sphäre besucht, zum Beispiel von Jesus, von Maria, von Heiligen oder von Engeln.

Noch häufiger, so betont der Autor, sahen sich die Todgeweihten jedoch voller Grauen mit Dämonen,

Teufeln oder anderen Mächten der Finsternis konfrontiert, wie etwa der Bischof Martin von Tours, der

mit den Worten» Was stehst du hier, blutrünstige Bestie?«aus dem Leben schied.

Auf dem Wege in die» andere Welt «lauerten dem Passanten häufig dämonische Gestalten auf.

Bemerkenswerterweise, erläutert Dinzelbacher, bestanden die Anfechtungen der bösen Geister oft darin,

dass sie dem Visionär die Sünden seines Lebens vor Augen hielten. Das erinnert oberflächlich an den

«Lebensfilm«, den zeitrafferartigen Zusammenschnitt der bisherigen Biographie, der bei vielen Beinah-

Toten aus unseren Tagen vor dem geistigen Auge abläuft. Doch die mittelalterliche Sündenbeschau war

nie plastisch; der Sünder bekam seine Verfehlung in abstrakter Form vorgehalten, wie bei einem

tabellarischen Lebenslauf.

Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass die mittelalterlichen Visionen in Todesnähe den

Visionär am häufigsten in die Hölle und die Regionen der ewigen Strafe führten. An diesen Orten, an

denen sie buchstäblich dunklen Gestalten begegneten, wurde den entbundenen Seelen demonstriert,

welche furchtbaren Qualen den uneinsichtigen Sündern nach dem Tode blühen. Praktisch nur in den

mittelalterlichen Visionen, und dort zahlenmäßig überwiegend, kamen grauenvolle Bilder der

Verdammnis vor. Darin spiegelt sich laut Dinzelbacher wohl auch die Tatsache,»dass das Gottesbild

heute wirklich nur mehr den» lieben «Gott vorstellt, nicht mehr den strafenden und richtenden Gott des

Zornes«, wie er damals porträtiert wurde. Das Prinzip von Schuld und Sühne wird heute durch

Psychologisierung entschärft. Besonders die Newage-Bewegung, die als Utopie ein Zeitalter der

Harmonie und des geistigen Fortschritts anstrebt, hat sich dem Glauben an einen seligen Übergang

verschrieben.

Davon abgesehen wurden die Visionäre im Mittelalter von einem erhabenen Führer in die jenseitige

Welt geleitet. Die losgelösten Seelen von heute hingegen finden in der Regel auf eigene Faust den Weg.

Das hängt womöglich damit zusammen, dass der moderne Mensch sich generell eher als autonomes

Individuum und nicht mehr als Bestandteil einer» gottgegebenen «Hierarchie versteht.

Bei den Mormonen, einer fundamentalistischen christlichen Religionsgemeinschaft in den USA,

wurden Nahtod-Erlebnisse bereits im frühen neunzehnten Jahrhundert beschrieben. Auch damals wichen

die Vorkommnisse erheblich vom wohlgefälligen modernen Szenario ab.5 Die Zurückgekehrten

beschrieben zum Beispiel eine streng reglementierte Jenseitswelt, in denen jeder sklavisch seine

festgelegte Rolle erfüllen musste, so wie er es auch zu Lebzeiten vorgeschrieben bekam. Das Gefühl von

Euphorie und Gelassenheit, das in den westlichen Schilderungen dominiert, ist auch in den Nahtod-

Berichten aus Indien unauffindbar. Nicht einmal die Empfindung, aus dem Körper auszutreten, taucht in