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amerikanische Kardiologe Maurice Rawlings hat eine größere Zahl von Fällen zusammengestellt, bei

denen als» klinisch tot «diagnostizierte Patienten eine zweite Chance, zu leben, erhielten und während der

Rettungsaktion infernalische Höllenvisionen durchmachten.10 Rawlings war zu dieser Sammlung angeregt

worden, als er versucht hatte, seinen Patienten» Charly «durch Schläge auf die Brust von einem

Herzstillstand zu reanimieren. Charly würgte, rollte mit den Augen, verfärbte sich blau und verfiel in

Konvulsionen. Bei jedem Schlag flehte er seinen Doktor an:»Hören Sie nicht auf, ich bin in der Hölle, in

der Hölle. «Der Zwischenfall bewegte Rawlings dazu, nach weiteren dämonischen Nahtod-Erlebnissen

Ausschau zu halten.

Die Berichte in seinem Buch dokumentieren, dass die geläufigen, friedvollen Schilderungen aus der

Zwischenwelt lediglich eine ideologisch verbrämte Kollektion darstellen: In ungeahnt vielen Fällen

durchleiden die Wanderer im Schattenreich Tantalusqualen und Visionen der Verdammnis.»Wenn man

die Person, die man wieder belebt hat, nur etwas später befragt, zum Beispiel ein paar Tage oder Wochen

nach dem Vorfall, dann bekommt man allerdings nur noch die schönen und angenehmen Darstellungen

aufgetischt. Die unangenehmen Erfahrungen wurden dann längst unter den Teppich der Erinnerungen

gekehrt. «Das ist wohl ein ähnliches Phänomen wie bei den Wehen, deren Schmerzhaftigkeit bei den

meisten Frauen kurz nach der Entbindung in Vergessenheit gerät.

Offenbar vermeiden die Wiederbelebten es aber auch, ihrem Arzt solche Negativerlebnisse

mitzuteilen, weil die Erfahrung für sie auf ein furchtbares und beschämendes persönliches Versagen

hinausläuft. Wer auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod der Hölle begegnet, muss obendrein

mit dem Eingeständnis weiterleben, dass er, gemessen am kulturellen Ideal, auf dem ultimativen Trip

gescheitert ist.

«Es gibt keine befriedigende naturwissenschaftliche Erklärung für die Nahtod-Phänomene«

Die Authentizität der Nahtod-Erlebnisse wird häufig mit dem Argument untermauert, dass sie ultraweit

von der alltäglichen Erfahrung entfernt sind und dennoch ein Gefühl absoluter subjektiver Gewissheit

hinterlassen. Der Trip in die Zwischenwelt besitzt demnach eine überwältigende Erfahrungsqualität,

deren Evidenz sich jeder nüchternen naturwissenschaftlichen Erklärung radikal entzieht.

Doch wenn man einen Blick auf die Forschungsliteratur aus der klinischen Psychologie und

Neurologie wirft, stößt man sehr rasch auf die Erkenntnis, dass sämtliche symptomatischen Bestandteile

einer authentischen Nahtod-Erfahrung in lupenreiner Form auch bei bestimmten Patienten zu

beobachten sind, deren Gehirnfunktion beeinträchtigt wurde: durch eine Verletzung, eine elektrische

Stimulation, den Einfluss von Drogen oder anderen bewusstseinsverändernden Reizen.

Bereits in den Jahren zwischen 1930 und 1940 stellte der berühmte kanadische Neurochirurg Wilder

Penfield fest, dass er bei seinen epileptischen Patienten wahre» Gedächtnisfilme «abrufen konnte, wenn

er in ihrem Schläfenlappen mit Drähten elektrische Reize setzte. Die vermeintlichen Erinnerungen

wurden übrigens in der Zwischenzeit als fiktive Ausgeburten der Einbildungskraft entlarvt, die dennoch

für ihre Urheber unzweifelhafte Realität besaßen. In zahlreichen Fällen ging die Elektrisierung mit

einem Gefühl von tiefem Frieden und Euphorie einher. Schließlich löste die Hirnstimulation bei

manchen Patienten auch die überwältigende Gewissheit aus, sie hätten ihren Körper verlassen und

könnten sich selbst von außen sehen. Dies ist ganz offensichtlich ein Äquivalent der» Out-of-body-

Erfahrung«, dem Aus-dem-eigenen-Körper-Heraustreten, das zu den urtypischen Merkmalen einer

Nahtod-Erfahrung gehört.

Auch ein Defekt im Schläfenlappen, verursacht durch Sauerstoffmangel oder durch eine dort

lokalisierte Epilepsie, ruft zuweilen vergleichbare Erscheinungen hervor. Sehr charakteristisch ist dann

eine träumerische Empfindungsqualität, verbunden mit der erdrückenden Überzeugung, dass die

Erfahrung unzweifelhaft wirklich ist. Ein Symptom der Anfälle besteht häufig darin, dass die Patienten

sich vermeintlich von außen sehen oder sich wie verdoppelt fühlen. Dass die Szenerie dann meist aus

der Vogelperspektive erlebt wird, erklären Kognitions-Psychologen mit dem Umstand, dass unser Hirn

unentwegt dreidimensionale Abbilder der Umwelt entwirft. Die Summe dieser Rekonstruktion ist der

Blick von oben.»Schließen Sie einfach kurz die Augen«, rät Susan Blackmore,»und versuchen Sie sich

die Szene von oben vorzustellen. Sie werden überrascht sein, wie leicht das ist.«11

Der kanadische Psychologie-Professor Michael Persinger löste bei seinen Versuchspersonen» Nahtod-

Imitate «aus, indem er ihre Großhirnrinde mit elektromagnetischen Feldern reizte.1 Gut einem Viertel der

Probanden drängte sich prompt die Vorstellung auf, sie würden aus ihrem Körper austreten und könnten

die Szenerie aus einer erhabenen Warte sehen. Der Out-of-body-Trip war häufig mit einem tief

empfundenen Gefühl der Anwesenheit einer fremden Wesenheit verbunden.

Doch nicht nur Magnetismus und Epilepsien können überzeugende Nahtod-Erlebnisse auslösen.

Trocken stellt der in England lebende Psychiater Karl Jansen fest:»Die intravenöse Injektion von 70 bis

150 Milligramm Ketamin kann alle Aspekte der NDEs reproduzieren. «Es blockiere, so Jansens NDE-

Theorie, Rezeptoren im Hirn, an die gewöhnlich der Botenstoff Glutaminsäure andockt. Dieses unter

Stress in extremen Mengen ausgeschüttete Molekül hat die unangenehme Eigenschaft, auf bestimmte

Neuronen toxisch zu wirken. Ketamin und natürliche so genannte Endopsychosine wirken quasi als

«Schutzkappe«. Alle Sinneskanäle werden abgekoppelt und es kommt zu NDEs.11

Das Betäubungsmittel Ketamin ist unter Narkoseärzten beliebt, weil es die Atmung nicht

beeinträchtigt. Allerdings empfinden besonders erwachsene Patienten den rasenden Sturz durch dunkle

Tunnels, abgeschnitten vom restlichen Körper, als Horrortrip. Für das Hochgefühl, über das 98 Prozent

der Beinah-Toten berichten, fehlt der Ketamin-Anästhesie und Epilepsie das euphorisierende Anfluten der

körpereigenen Endorphine, das immer dann einsetzt, wenn höchste Gefahr droht. Gleichwohl wird das

Mittel noch immer genutzt. Für eingeklemmte Unfallopfer und auch von hart gesottenen

Drogenkonsumenten wie dem inzwischen real verstorbenen LSD-Papst Timothy Leary. Der bezeichnete

den Ketamin-Trip als» Experimente mit vorübergehendem Tod«.

«Es gibt nicht eine einzige Komponente der Nahtod-Erfahrung, die nicht bereits durch eine

chirurgische Stimulation des Schläfenlappens, durch schwache elektromagnetische Felder oder andere

Reizungen künstlich hervorgerufen worden wäre«, zieht der Psychologe Persinger Bilanz. In der realen

Situation der Todesnähe ist aber vermutlich der meist rasch eintretende Sauerstoffmangel (Hypoxie) im

Gehirn für die spirituelle Fata Morgana verantwortlich, hebt seine britische Kollegin Susan Blackmore

hervor.

Besonders anfällig für einen Sauerstoffmangel ist in der Tiefe des Gehirns der Hippocampus, die

zentrale Schaltstelle für das Gedächtnis. Sie filtert, welche Erinnerungen in das Bewusstsein dringen