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6 Ring, Kenneth: Life at death: A scientific investigation of the near-death experience, Verlag Coward, McCann & Geoghegan, New York 1980.

7 Baker, Robert: Have you seen» The Light?«In: Skeptical Inquirer, Juni 1995.

8 Dinzelbacher, Peter: An der Schwelle zum jenseits. Sterbevisionen im interkulturellen Vergleich. Herder Tb. 1584, Freiburg, Basel, Wien

1989.

9 «Verblüffte Forscher: Nahtod-Erlebnisse sind nur sehr selten«. In: Ärzte Zeitung, 15.10.1996.

10 Hux, Clete: Near-death experience: Angel of light? http://www.watchman.org/anglight.htm

11»Fischen im Drüben. Für den vermeintlichen Blick ins Jenseits gibt es plausible wissenschaftliche Erklärungen«. In: Sonntagszeitung,

29.3.1998.

12 Augustine, Keith: The case against immortality. http://freeinquiry.com/library/modern/keith_augustine/immortality.html

13 Yamamoto, J. Isamu: The near-death experience, part two: Alternative explanations» http: //www.mindspring.com /-scott /nde /Christian, txt

MYTHEN DES GEHIRNS

Armleuchten

«Der Mensch nimmt nur 10 Prozent seiner Gehirnkapazität in Anspruch«

Es ist fast unmöglich, eine Unterhaltung über das Gehirn und seine intellektuellen Potenziale zu

führen, ohne dass die Legende von den brachliegenden 90 Prozent Hirnkapazität zur Sprache kommt. Die

Vorstellung, dass der gewöhnliche Bürger nur einen Bruchteil seiner neuronalen Ausstattung nutzt, ist

längst zu einem unausrottbaren Bestandteil der Allgemeinbildung geworden. Logisch betrachtet lässt das

Klischee drei verschiedene Interpretationen zu:]

1.) Zu jedem gegebenen Zeitpunkt ist nur ein Zehntel aller Nervenzellen (Neuronen) aktiv.

2.) 90 Prozent aller Hirnzellen liegen als nutzloser Ballast unter der Schädeldecke herum.

3.) Wir nehmen nur 10 Prozent des Lagerplatzes im Gehirn für das Speichern von Erinnerungen in

Anspruch.

Der 10-Prozent-Mythos ist jedoch in allen drei Auslegungen eine reine Ausgeburt der Phantasie und

geht völlig am Kenntnisstand der modernen Gehirnforschung vorbei, wie der Psychologie-Professor

Barry L. Beyerstein von der Simon Fraser University in Burnaby, Kanada, in einer eingehenden

Literaturstudie konstatiert.2

Die Mär vom unausgeschöpften Hirnpotenzial wird besonders gerne in esoterischen Kreisen bemüht,

meist verbunden mit dem Angebot, die brachliegenden neun Zehntel durch ein sündhaft teures

Kursprogramm zu mobilisieren. So wirbt etwa die Scientology-Sekte mit einem Porträt von Albert

Einstein, dem die Behauptung von der mangelnden Nutzung unseres Denkapparates in den Mund gelegt

wird.

Doch diese Zuschreibung ist sehr wahrscheinlich ein weiterer Mythos, wie Beyerstein bei seinen

Recherchen herausfand. In den schriftlichen Unterlagen ist nicht der geringste Hinweis zu finden, dass

das Physikgenie jemals eine solche Bemerkung fallen ließ, konnte er von Jeff Mandl, dem Assistenten des

Kurators am Albert Einstein Archiv erfahren. Auch Alice Calaprice von der Princeton-Universität in New

Jersey, die Herausgeberin der Zitatensammlung» Einstein sagt«, bleibt skeptisch,»denn bestimmt hätte

jemand widersprochen, und es hätte eine Diskussion gegeben«.

Vermutlich hat ein Liebhaber der 10-Prozent-Theorie irgendwann beschlossen, dass die Zuordnung

zu Albert Einstein zu schön ist, um unwahr zu sein. Bei einer anderen angeblichen Quelle für den

Mythos, dem amerikanischen Philosophen William James, dem Vater der modernen Psychologie, hat

Beyerstein indes das ursprüngliche Zitat ausgegraben:»Der durchschnittliche Mensch baut nur 10

Prozent seiner latenten geistigen Anlagen aus. «Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hatte sich die

Legende von der ungenutzten Hirnkapazität bereits fest in den Köpfen der Menschen eingenistet, stellte

der Psychologe bei der Sichtung historischer Quellen fest. Im Weltalmanach des Jahres 1929 bot ein

«Pelham Institut «seine Kurse zur Lebenshilfe mit dem Hinweis auf die ungenutzten 90 Prozent des

Hirnes feil.»Die Sprache der Anzeige verrät, dass ihre Autoren bereits fest auf die Verbreitung der

Binsenweisheit bauen konnten.«

Wenn der 10-Prozent-Mythos nicht existiert hätte, wäre er von den Propagandisten der Lebenshilfe,

der Esoterik und der Persönlichkeitsbildung garantiert erfunden worden, folgert Beyerstein. Da die

zentrale Rolle des Gehirns für das geistige Leben nicht mehr zu ignorieren war, bot es sich als

Sündenbock an, auf den man alle intellektuellen Defizite und Unvollkommenheiten der Seele schieben

konnte. Heute ist die Annahme zu einem» Psychofakt «geworden, den die meisten Menschen unkritisch

herunterbeten, ohne eine Ahnung von seiner Herkunft zu haben, streicht der Psychologe Benjamin

Radford, Chefredakteur der amerikanischen Zeitschrift» Skeptical Inquirer«, heraus.3

Bei einer typischen Konversation wird der 10-Prozent-Mythos meist mit der Bemerkung

«Wissenschaftler sagen…«oder» Es ist bekannt…«

eingeführt. Wann immer Beyerstein jedoch den Betreffenden auf den Zahn fühlte, blieben sie die

Nennung der Quelle schuldig. Das Ganze lief stets auf einen unendlichen Regress hinaus: Man hatte es

von einem Bekannten gehört, der auf Nachfrage beteuert, es von einem Bekannten gehört zu haben, und

so weiter und so fort.

Über die Höhe der Gehirnkapazität, die wir tatsächlich aus unserem Gehirn herausholen können,

herrscht unter den Vertretern des Mythos Uneinigkeit. Manchmal sind es lediglich 0,1 Prozent, die

amerikanische Ethnologin Margaret Mead soll uns gerade einmal 6 Prozent zugestanden haben,

gelegentlich räumt ein Autor uns auch schon einmal ganze 20 Prozent ein. Dass die 10 Prozent die

meisten Fürsprecher haben, hat vermutlich nur etwas mit Zahlenmagie zu tun. Die Natur hat uns mit 10

Fingern und Zehen ausgestattet. Schon unsere frühen Ahnen entwickelten eine Ehrfurcht vor dieser Zahl,

und der liebe Gott hat uns seine Verhaltensregeln in Form von 10 Geboten mitgeteilt.

Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass die Information einen respektablen wissenschaftlichen

Ursprung hat: Trotz eines umfangreichen Literarurstudiums konnte Beyerstein in den Fachbüchern der

Psychologie und der Hirnforschung keinen Hinweis auf die ominösen 10 Prozent entdecken. Dass der

Mythos dennoch eine gute Reputation besitzt, geht vermutlich auf ein psychologisches Phänomen zurück,

das als» source amnesia«(Vergessen der Quelle) bezeichnet wird: Menschen können oft neue

Informationen im Gedächtnis behalten, obwohl ihnen allmählich die Quelle des Wissens entschlüpft. Das

hat zur Folge, dass nach einer Weile selbst Aussagen von zwielichtiger Herkunft salonfähig werden.

Bemerkenswerterweise beugt der Erwerb von Fachkenntnissen nicht sonderlich gegen den

Trugschluss vor. Das mussten die beiden amerikanischen Psychologen Kenneth L. Higbee und Samuel L.

Clay erfahren, als sie fortgeschrittene Psychologiestudenten und Laien nach ihren Ansichten über die

ungenutzten Potenziale des Gehirns befragten.4 In beiden Gruppen stimmte die Mehrheit mit dem