»Ich sehe es Euch an«, sagte dieser, »die Nachricht macht Euch Freude und die Tanzlust leuchtet Euch schon aus den Augen. Doch Ihr sollt ein paar Tänzerinnen haben, wie Ihr sie nur wünschen könnt; mit meinen Bäschen sollt Ihr mir tanzen, denn ich bin ihr Führer bei solchen Gelegenheiten und werde es schon zu machen wissen, daß Ihr und kein anderer zuerst sie aufziehen sollet; und wie werden sie sich freuen, wenn ich ihnen einen so flinken Tänzer verspreche!« Damit wünschte er seinem Gast einen guten Morgen und ermahnte ihn, wenn er ausgehe, sein Haus zu merken und das Mittagessen nicht zu versäumen.
Herr Dieterich hatte als sehr naher Verwandter schon so frühe am Tag Zutritt im Hause des Herrn von Besserer, besonders heute, da ihn seine vielen Geschäfte bei diesem Morgenbesuche entschuldigten.
Er fand die Mädchen noch beim Frühstück. Wohl hätte dort manche unserer heutigen Damen ein elegantes Dejeuner von gemaltem Porzellain und den, nach den schönsten, antiken Vasen geformten Schokoladebecher vermißt. Aber, wenn es wahr ist, daß natürliche Anmut und Würde auch im geringsten Kleide sich dem Auge nicht verhüllen, so dürfen wir schon mit mehr Mut gestehen, daß Marie und die fröhliche Berta an jenem Morgen ein Biersüppchen verspeisten. Ob aber dieses Geständnis der ästhetischen Haltung dieser Damen nicht Eintrag tut? Es mag sein; wer übrigens Marien und Berta in dem weißen Morgenhäubchen, in dem reinlichen Hauskleide gesehen hätte, würde gewiß auch wie Vetter Kraft, Verlangen getragen haben, dieses Frühstück mit den holden Mädchen zu teilen.
»Ich sehe dir es an, Vetter«, begann Berta, »du möchtest gar zu gerne von unserer Suppe kosten, weil dir deine Amme heute einen Kinderbrei vorgesetzt hat; aber schlage dir diese Gedanken nur gleich aus dem Sinne; du hast Strafe verdient und mußt fasten –«
»Ach, wie wir so sehnlich auf Euch gewartet haben«, unterbrach sie Marie.
»Ja wohl«, fiel ihr Berta in die Rede, »aber bilde dir nur nicht ein, daß wir eigentlich dich erwarteten; nein, ganz allein deine Neuigkeiten.«
Der Ratsschreiber war schon gewohnt von Berta so empfangen zu werden; er wollte daher, um sie zu versöhnen, daß er nicht gestern abend noch ihre Neugierde befriedigt habe, seine Nachrichten in desto längerem Strome geben; aber Berta unterbrach ihn: »Wir kennen«, sagte sie, »deine breiten Erzählungen, und haben auch das meiste vom Erker aus selbst mit angesehen; von eurem Trinkgelage, wo es arg genug hergegangen sein soll, will ich auch nichts wissen, darum antworte mir auf meine Frage.« Sie stellte sich mit komischem Ernst vor ihn hin und fuhr fort: »Dieterich von Kraft, Schreiber eines wohledlen Rates, habt Ihr unter den Bündischen keinen jungen, überaus höflichen Herrn gesehen, mit langem hellbraunem Haar, einem Gesicht, nicht so milchweiß wie das Eure, aber doch nicht minder hübsch, kleinem Bart, nicht so zierlich wie der Eure, aber dennoch schöner, hellblauer Schärpe mit Silber...«
»Ach, das ist kein anderer als mein Gast«, rief Herr Dieterich, »er ritt einen großen Braunen, trug ein blaues Wams, an den Schultern geschlitzt und mit Hellblau ausgelegt?«
»Ja, ja, nur weiter«, rief Berta, »wir haben unsere eigenen Ursachen, uns nach ihm zu erkundigen.«
Marie stand auf und suchte ihr Nähzeug in dem Kasten, indem sie den beiden den Rücken zukehrte; aber die Röte, die alle Augenblicke auf ihren Wangen wechselte, ließ ahnen, daß sie kein Wort von Herrn Dieterichs Erzählung verlor.
»Nun das ist Georg von Sturmfeder«, fuhr der Ratschreiber fort; »ein schöner, lieber Junge. Sonderbar; auch ihr seid ihm gleich beim Einzug aufgefallen« – und nun erzählte er, was am Gastmahl vorgegangen sei, wie ihm der hohe Wuchs, das Gebietende und Anziehende in des Jünglings Mienen gleich anfangs aufgefallen, wie ihn der Zufall zu seinem Nachbar gemacht, wie er ihn immer lieber gewonnen und endlich in sein Haus geführt habe.
»Nun, das ist schön von dir, Vetter«, sagte Berta als er geendet hatte, und reichte ihm freundlich die Hand, »ich glaube, es ist das erstemal, daß du es wagst, Gäste zu haben. Aber das Gesicht der alten Sabine hätte ich sehen mögen, als Junker Dieter so spät noch einen Gast brachte.«
»Oh, sie war wie der Lindwurm gegen Sankt Georg; aber als ich ihr ganz verblümt zu verstehen gab, es könne wohl geschehen, daß ich bald eine meiner schönen Basen heimführen werde...«
»Ach, geh doch!« entgegnete Berta, indem sie ihm hoch errötend ihre Hand entreißen wollte; aber Herr Dieterich, dem sein Mühmchen noch nie so hübsch als in diesem Augenblicke geschienen hatte, drückte die weiche Hand fester, und Mariens ernsteres Bild verlor von Sekunde zu Sekunde an Gehalt, und die Waagschale der fröhlichen Berta, die jetzt in holder Verschämtheit vor ihm saß, stieg hoch in den Augen des glücklichen Ratschreibers.
Marie hatte indes schweigend das Gemach verlassen, und Berta ergriff mit Freuden diese Gelegenheit ein anderes Gespräch einzuleiten.
»Da geht sie nun wieder«, sagte sie und sah Marien nach, »und ich wollte darauf wetten, sie geht in ihre Kammer und weint. Ach, sie hat gestern wieder so heftig geweint, daß ich auch ganz traurig geworden bin.«
»Was hat sie nur?« fragte Dieterich teilnehmend.
»Ich habe so wenig wie früher die Ursache ihrer Tränen erfahren«, fuhr Berta fort, »ich habe gefragt und immer wieder gefragt, aber sie schüttelt dann nur den Kopf, als wenn ihr nicht zu helfen wäre; ›der unselige Krieg!‹ war alles, was sie mir zur Antwort gab.«
»So ist der Alte noch immer entschlossen, mit ihr nach Lichtenstein zurückzugehen?«
»Ja wohl«, war Bertas Antwort, »du hättest nur hören sollen, wie der alte Mann gestern beim Einzug auf die Bündischen schimpfte. Nun – er ist einmal seinem Herzog mit Leib und Seele ergeben, darum mag es ihm hingehen; aber sobald der Krieg erklärt ist, will er mit ihr abreisen.«
Herr Dieterich schien sehr nachdenklich zu werden; er stützte den Kopf auf die Hand und hörte seiner Muhme schweigend zu.
»Und denke«, fuhr diese fort, »da hat sie nun gestern nach dem Einritte der Bündischen so heftig geweint. Du weißt, sie war zwar vorher schon immer ernst und düster, und ich habe sie an manchem Morgen in Tränen gefunden; aber als habe schon dieser Einzug über das ganze Schicksal des Krieges entschieden, so untröstlich gebärdete sie sich. Ich glaube Ulm liegt ihr nicht so am Herzen, aber ich vermute«, setzte sie geheimnisvoll hinzu, »sie hat eine heimliche Liebe im Herzen.«
»Ach freilich, ich habe es ja schon lange gemerkt«, seufzte Herr Dieterich, »aber was kann ich denn davor?«
»Du? was du davor kannst?« lachte Berta, auf deren Gesicht bei diesen Worten alle Trauer verschwunden war; »nein! du bist nicht schuld an ihrem Schmerz. Sie war schon so, ehe du sie nur mit einem Auge gesehen hast!«
Der ehrliche Ratschreiber war sehr beschämt durch diese Versicherung. Er glaubte in seinem Herzen nicht anders, als der Abschied von ihm, gehe der armen Marie so nahe, und fast schien ihr wehmütiges Bild in seinem wankelmütigen Herzen wieder das Übergewicht zu bekommen. Berta aber ließ nicht ab, ihn mit seiner törichten Vermutung zu höhnen, bis ihm auf einmal der Zweck seines Besuches wieder einfiel, den er während des Gespräches ganz aus den Augen verloren hatte. Sie sprang mit einem Schrei der Freude auf, als ihr der Vetter die Nachricht von dem Abendtanz mitteilte.
»Marie, Marie!« rief sie in hellen Tönen, daß die Gerufene bestürzt und irgendein Unglück ahnend, herbeisprang. »Marie, ein Abendtanz auf dem Rathaus!« rief ihr die beglückte Berta schon unter der Türe entgegen.
Auch diese schien freudig überrascht von dieser Nachricht. »Wann? kommen die Fremden dazu?« waren ihre schnellen Fragen, indem ein hohes Rot ihre Wangen färbte, und aus dem ernsten Auge, das die kaum geweinten Tränen nicht verbergen konnte, ein Strahl der Freude drang.