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»Ich muß wohl, wenn ich den Weg nach Hause nicht verfehlen soll«, antwortete Georg; so teuer ihm die letzten Augenblicke vor einer langen Trennung von Marie gewesen wären, so kannte er doch die strenge Sitte seiner Zeit zu gut, als daß er ohne den Vetter, als Landfremder bei den Mädchen geblieben wäre.

Schweigend gingen sie den Garten hinab, nur Herr Dieterich führte das Wort, indem er in wohlgesetzten Worten seinen Jammer beschrieb, daß seine Base morgen schon Ulm verlassen werde. Aber Berta mochte in Georgs Augen gelesen haben, daß ihm noch etwas zu wünschen übrigbleibe, wobei der uneingeweihte Zeuge überflüssig war; sie zog den Vetter an ihre Seite und befragte ihn so eifrig über eine Pflanze, die gerade zu seinen Füßen mit ihren ersten Blättern aus der Erde sproßte, daß er nicht Zeit hatte, zu beobachten, was hinter seinem Rücken vorgehe.

Schnell benützte Georg diesen Augenblick, Marien noch einmal an sein Herz zu ziehen, aber das Rauschen von Mariens schwerem, seidenen Gewande, Georgs klirrendes Schwert weckten den Ratsschreiber aus seinen botanischen Betrachtungen; er sah sich um, und o Wunder! er erblickte die ernste, züchtige Base in den Armen seines Gastes.

»Das war wohl ein Gruß an die liebe Base in Franken?« fragte er, nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt hatte.

»Nein, Herr Ratsschreiber«, antwortete Georg, »es war ein Gruß an mich selbst, und zwar von der, die ich einst heimzuführen gedenke. Ihr habt doch nichts dagegen, Vetter?«

»Gott bewahre! ich gratuliere von Herzen«, antwortete Herr Dieterich, der von dem ernsten Blick des jungen Kriegsmannes und von Mariens Tränen etwas eingeschüchtert wurde. »Aber der Tausend, das heiß ich veni, vidi, vici; ich scherwenzte schon ein Vierteljahr um die Schöne, und habe mich kaum eines Blickes erfreuen können. Und heute muß ich nun gar den Marder selbst herausführen, der mir das Täubchen vor dem Mund wegstiehlt.«

»Verzeihe den Scherz, Vetter, den wir uns mit dir machten«, fiel ihm Berta ins Wort, »sei vernünftig und laß dir die Sache erklären.« Sie sagte ihm, was er zu wissen brauchte, um gegen Mariens Vater zu schweigen. Mehr durch die freundlichen Blicke Bertas besänftigt, versprach er zu schweigen, unter der Bedingung, setzte er schalkhaft hinzu, daß sie etwa auch einen solchen Gruß an ihn bestelle.

Berta verwies ihm, wiewohl nicht allzu strenge, seine unartige Forderung, und fragte ihn neckend an der Gartentüre noch einmal um die Naturgeschichte des ersten Veilchens, das die Sonne hervorgelockt hatte. Er war gutmütig genug, eine lange und gelehrte Erklärung darüber zu geben, ohne weder durch Mariens leises Weinen, noch durch Georgs klirrendes Schwert sich unterbrechen zu lassen. Ein dankender Blick Mariens, ein freundlicher Handschlag von Berta belohnte ihn dafür beim Scheiden, und noch lange wehten die Schleier der schönen Bäschen, über den Gartenzaun hin, den Scheidenden nach.

VIII

Im stillen Klostergarten

Eine bleiche Jungfrau ging;

Der Mond beschien sie trübe,

An ihrer Wimper hing

Die Träne zarter Liebe.

L. Uhland

Ulm glich in den nächsten Tagen einem großen Lager. Statt der friedlichen Landleute, der geschäftigen Bürger, die sonst ehrbaren und ruhigen Schrittes ihrem Gewerbe nach, durch die Straßen gingen, sah man überall nur wunderliche Gestalten mit Sturmhauben und Eisenhüten, mit Lanzen, Armbrüsten und schweren Büchsen. Statt der Ratsherren, in ihrer einfachen schwarzen Tracht, zogen stolze Ritter, mit wehenden Helmbüschen, ganz mit Stahl bedeckt, begleitet von einer großen Schar bewaffneter Dienstleute, über die Plätze und Märkte. Noch lebhafter war dies kriegerische Bild vor den Toren der Stadt; auf einem Anger an der Donau übte Sickingen seine Reiterei, auf einem großen Blachfelde gegen Söflingen hin, pflegte Frondsberg sein Fußvolk zu tummeln.

An einem schönen Morgen, etwa drei bis vier Tage nachdem Marie von Lichtenstein mit ihrem Vater Ulm verlassen hatte, sah man eine ungeheure Menge Menschen aus allen Ständen auf jener Wiese versammelt, um diesen Übungen Frondsbergs zuzusehen. Sie betrachteten diesen Mann, dem ein so großer Ruf vorangegangen war, vielleicht mit nicht geringerem Interesse als wir, wenn wir die kaiserlichen oder königlichen Söhne des Mars, die Dienste eines Feldherrn verrichten sahen. Knüpft sich ja doch gerade an die Person eines ausgezeichneten Führers das Interesse, das dem ganzen Heere gilt, ja wir meinen oft die Schlachten, von denen uns die Sage oder öffentliche Blätter erzählen, um so deutlicher zu verstehen, wenn wir uns die Gestalt des Heerführers vor das Auge zurückrufen können.

So mochte es wohl auch damals den Bewohnern von Ulm zumut sein, wenn sie ihre engen Straßen verließen, um den Mann des Tages in seinem Handwerk zu sehen. Die Geschicklichkeit, mit der er sein Fußvolk, das sonst in zerstreuten Haufen gefochten hatte, zu geschlossenen Massen vereinigte; die Schnelligkeit, womit sie sich nach seinem Winke nach allen Seiten schwenkten oder in furchtbare, von Piken und Donnerbüchsen starrende Kreise zusammenzogen; seine mächtige Stimme, die selbst die Trommeln übertönte, seine erhabene, kriegerische Gestalt, dies alles gewährte ein so neues, anziehendes Bild, daß auch die bequemsten Bürger es nicht scheuten, einen langen Vormittag auf dem Anger zu stehen, und unbeweglich dieses Schauspiel zu genießen.

Der Feldhauptmann schien an diesem Morgen noch freundlicher und fröhlicher zu sein, als sonst. Mochte ihn der warme Anteil, den die guten Ulmer an ihm nahmen, und der auf allen Gesichtern geschrieben stand, erfreuen? Mochte ihm hier außen in dem schönen Morgen, unter seinen Waffenübungen wohler sein, als in den engen, kalten Straßen der Stadt? Er blickte so freundlich auf die Menge hin, daß jeder glaubte, von ihm besonders beachtet und begrüßt zu werden, und der Ausruf: »Ein wackerer Herr, ein braver Ritter«, jedem seiner Schritte folgte.

Besonders freundlich schien er immer an einer Stelle zu sein; wenn er vorübersprengte, so durfte man gewiß sein, daß er dort mit dem Schwerte oder der Hand herübergrüßte und traulich nickte.

Die Hintersten stellten sich auf die Zehen, um den Gegenstand seiner freundlichen Winke zu sehen; die Näherstehenden sahen sich fragend an und verwunderten sich, denn keiner der versammelten Bürger schien dieser Auszeichnung würdig. Als Frondsberg wieder vorübersprengte, und die Zeichen seiner Gnade wiederholte, gaben wohl hundert Augen recht genau acht, und es fand sich, daß die Grüße einem großen, schlanken, jungen Mann gelten mußten, der in der vordersten Reihe der Zuschauer stand. Das Wams von feinem Tuch und Seidenschlitzen, die hohen Barettfedern, mit welchen der Morgenwind spielte, sein langes Schwert und eine Feldbinde oder Schärpe zeichneten ihn auf den ersten Blick vor seinen Nachbarn aus, die minder geschmückt als er, auch durch untersetztere Figuren und breite Gesichter sich nicht zu ihrem Vorteil von ihm unterschieden.

Der Jüngling schien aber zum Ärgernis der guten Spießbürger nicht sehr erfreut über die hohe Gnade, die ihm vor ihren Augen zuteil ward. Schon seine Stellung, das Haupt gesenkt, die Arme über die Brust gekreuzt, schienen nicht anständig genug für einen feinen Junker, wenn er von einem alten Kriegshelden gegrüßt wurde. Überdies errötete er bei jedem Gruß des Feldhauptmanns, dankte nur durch ein leichtes Neigen, und sah ihm mit so düsteren Blicken nach, als gälte es ein langes Scheiden, und dieser Gruß wäre der letzte eines lieben Freundes gewesen.

»Ein sonderbarer Kauz der Junker dort«, sagte der Obermeister aller Ulmer Weber zu seinem Nachbar, einem wackeren Waffenschmidt; »ich gäbe mein Sonntagswams um einen solchen Gruß von dem Frondsberger, und dieser da muckt nicht darüber. Hieß es nicht in der ganzen Stadt, ›was hat der Meister Kohler mit dem Frondsberg; waren ja neulich miteinander wie zwei Brüder? Oh, die kennen einander schon lange‹, hieß es dann, ›und sind gute Freunde von alters her.‹ Ich kann mich ordentlich ärgern, daß ein so gescheuter und gewaltiger Herr solch einen Laffen all Paternosterlang grüßt!«