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So war also in dem Jahr 1519 alles auf die Spitze gestellt. Konnte der Herzog das Feld behaupten, so behielt er recht und es war nicht zu zweifeln, daß er dann großen Anhang bekommen würde; gelang es dem Bunde, den Herzog aus dem Felde zu schlagen, dann wehe ihm, wo so vieles zu rächen war, durfte er keine Schonung erwarten.

Die Blicke Teutschlands hingen bange an dem Erfolg dieses Kampfes, sie suchten begierig durch den Vorhang des Schicksals zu dringen und zu erspähen, was die künftigen Tage bringen werden, ob Württemberg gesiegt, ob der Bund den Walplatz behauptet habe. Wir rollen diesen Vorhang auf, wir lassen Bild an Bild vorüberziehen, möge das Auge nicht zu frühe ermüdet sich davon abwenden.

Oder sollte es ein zu kühnes Unternehmen sein, eine historische Sage der Vorzeit in unsern Tagen wieder zu erzählen? Sollte es unbillig sein, zu wünschen, daß sich die Aufmerksamkeit des Lesers einige kurze Stunden nach den Höhen der Schwäbischen Alb und nach den lieblichen Tälern des Neckars wende?

Die Quellen des Susquehanna und die malerischen Höhen von Boston, die grünen Ufer des Tweed und die Gebirge des schottischen Hochlandes, Alt-Englands lustige Sitten und die romantische Armut der Galen, leben, Dank sei es dem glücklichen Pinsel jener berühmten Novellisten, auch bei uns in aller Munde. Begierig liest man in getreuen Übertragungen, die wie Pilze aus der Erde zu wachsen scheinen, was vor sechzig oder sechshundert Jahren in den Gefilden von Glasgow oder in den Wäldern von Wallis sich zugetragen. Ja, wir werden bald die Geschichte der drei Reiche so genau innehaben, als hätten wir sie nach den gelehrtesten Forschungen ergründet. Und doch ist es meist nur der große Unbekannte, der uns die Bücher seiner Chroniken erschloß und Bild an Bild in unendlicher Reihe vor dem staunenden Auge vorüberführte; er ist es, der diesen Zauber bewirkte, daß wir in Schottlands Geschichte beinahe besser bewandert sind, als in der unserigen, und daß wir die religiösen und weltlichen Händel unserer Vorzeit bei weitem nicht so deutlich kennen, als die Presbyterianer und Episkopalen Albions.

Und in was besteht der Zauber, womit jener unbekannte Magier unsere Blicke und unsere Herzen nach den »bergigten Heiden« seines Vaterlandes zog? Vielleicht in der ungeheuern Masse dessen, was er erzählt, in der grauenvollen Anzahl von hundert Bänden, die er uns über den Kanal schickte? Aber auch wir haben mit Gottes und der Leipziger Messen Hülfe Männer von achtzig, hundert und hundertundzwanzig! Oder haben vielleicht die Berge von Schottland ein glänzenderes Grün, als der teutsche Harz, der Taunus und die Höhen des Schwarzwaldes; ziehen die Wellen des Tweed in lieblicherem Blau als der Neckar und die Donau, sind seine Ufer herrlicher als die Ufer des Rheins? Sind vielleicht jene Schotten ein interessanterer Menschenschlag als der, den unser Vaterland trägt, hatten ihre Väter röteres Blut als die Schwaben und Sachsen der alten Zeit, sind ihre Weiber liebenswürdiger, ihre Mädchen schöner als die Töchter Teutschlands? Wir haben Ursache daran zu zweifeln, und hierin kann also jener Zauber des Unbekannten nicht liegen.

Aber darin liegt er wohl, daß jener große Novellist auf historischem Grund und Boden geht, nicht als ob der unserige weniger geschichtlich wäre, aber wir haben ja schon seit Jahrhunderten uns angewöhnt, unter fremdem Himmel zu suchen, was bei uns selbst blühte, und wie wir die rohen Stoffe ausführen, um sie in anderer Form mit Bewunderung und Ehrfurcht als teure Kleinode wieder in unsere Grenzen aufzunehmen, so bewundern wir jedes Fremde und Ausländische nicht, weil es groß oder erhaben, sondern weil es nicht in unseren Tälern gewachsen ist.

Doch auch wir hatten eine Vorzeit, die reich an bürgerlichen Kämpfen, uns nicht weniger interessant dünkt als die Vorzeit des Schotten; darum haben auch wir gewagt, ein historisches Tableau zu entrollen, das, wenn es auch nicht jene kühnen Umrisse der Gestalten, jenen zauberischen Schmelz der Landschaft aufweist, und wenn das an solche Herrlichkeiten gewöhnte Auge umsonst die süße, bequeme Magie der Hexerei und den von Zigeunerhand geschürzten Schicksalsknoten darin sucht, ja wenn sogar unsere Farben matt, unser Crayon stumpf erscheint, doch eines zur Entschuldigung für sich haben möchte, ich meine die historische Wahrheit.

I

Was soll doch dies Trommeten sein?

Was deutet dies Geschrei?

Will treten an das Fensterlein,

Ich ahne, was es sei.

L. Uhland

Nach den ersten trüben Tagen des März 1519 war endlich am 12. ein recht freundlicher Morgen über der Reichsstadt Ulm aufgegangen. Die Donaunebel, die um diese Jahreszeit immer noch drückend über der Stadt liegen, waren schon lange vor Mittag der Sonne gewichen, und immer freier und weiter wurde die Aussicht in die Ebene über den Fluß hinüber.

Aber auch die engen kalten Straßen mit ihren hohen dunkeln Giebelhäusern hatte der schöne Morgen heller als sonst beleuchtet, und ihnen einen Glanz, eine Freundlichkeit gegeben, die zu dem heutigen festlichen Ansehen der Stadt gar trefflich paßte. Die große Herdbruckergasse – sie führt von dem Donautor an das Rathaus – stand an diesem Morgen gedrängt voll Menschen, die sich Kopf an Kopf wie eine Mauer an den beiden Seiten der Häuser hinzogen, nur einen engen Raum in der Mitte der Gasse übriglassend; ein dumpfes Gemurmel gespannter Erwartung lief durch die Reihen, und brach nur in ein kurzes Gelächter aus, wenn etwa die alten, strengen Stadtwächter eine hübsche Dirne, die sich zu vorlaut in den freigelassenen Raum gedrängt hatte; etwas unsanft mit dem Ende ihrer langen Hellebarde zurückdrängten, oder wenn ein Schalk sich den Spaß machte, »Sie kommen, sie kommen«, rief, alles lange Hälse machte und schaute, bis es sich zeigte, daß man sich wieder getäuscht habe.

Noch dichter aber war das Gedränge da, wo die Herdbruckergasse auf den Platz vor dem Rathaus einbiegt; dort hatten sich die Zünfte aufgestellt; die Schiffer-Gilde mit ihren Altmeistern an der Spitze, die Weber, die Zimmerer, die Bräuer, mit ihren Fahnen und Gewerbzeichen, sie alle waren im Sonntagswams und wohlbewaffnet zahlreich dort versammelt.

Bot aber schon die Menge hier unten einen fröhlichen, festlichen Anblick dar, so war dies noch mehr der Fall mit den hohen Häusern der Straßen selbst. Bis an die Giebeldächer waren alle Fenster voll geputzter Frauen und Mädchen, um welche sich die grünen Tannen und Taxuszweige, die bunten Teppiche und Tücher, mit welchen die Seiten geschmückt waren, wie Rahmen um liebliche Gemälde zogen.

Das anmutigste Bild gewährte wohl ein Erkerfenster im Hause des Herrn Hans von Besserer. Dort standen zwei Mädchen, so verschieden an Gesicht, Gestalt und Kleidung, und doch beide von so ausgezeichneter Schönheit, daß, wer sie so von der Straße betrachtete, eine Weile zweifelhaft war, welcher er wohl den Vorzug geben möchte.

Beide schienen nicht über achtzehn Jahre zu haben, die eine größere war zart gebaut; reiches braunes Haar zog sich um eine freie Stirne, die gewölbten Bogen ihrer dunkeln Brauen, das ruhige blaue Auge, der feingeschnittene Mund, die zarten Farben der Wangen – sie gaben ein Bild, das unter unsern heutigen Damen für sehr anziehend gelten würde, das aber in jenen Zeiten, wo noch höheren Farben, volleren Formen der Apfel zuerkannt wurde, nur durch seine gebietende Würde neben der andern Schönen sich geltend machen konnte.

Diese, kleiner und in reichlicherer Fülle als ihre Nachbarin, war eines jener unbesorgten immer heiteren Wesen, welche wohl wissen, daß sie gefallen. Ihr hellblondes Haar war nach damaliger Sitte der Ulmer Damen in viel Löckchen und Zöpfchen geschlungen, und zum Teil unter ein weißes Häubchen voll kleiner künstlicher Fältchen gesteckt, das runde frische Gesichtchen war in immerwährender Bewegung, noch rastloser glitten die lebhaften Augen über die Menge hin, und der lächelnde Mund, der alle Augenblicke die schönen Zähne sehen ließ, zeugt deutlich, daß es unter den vielerlei abenteuerlichen Gruppen und Gestalten nicht an Gegenständen fehle, die ihrer fröhlichen Laune zur Zielscheibe dienen mußten.