»Aber greifet es doch klug an«, sagte der Bote, »das Pergament darf nicht breiter sein als jenes, das ich brachte. Denn ich muß es wieder im Kniegürtel verstecken. Man weiß nicht, was einem in so unruhiger Zeit begegnen kann, und dort sucht es niemand.«
»Es sei so«, antwortete Georg, indem er aufstand. »Für jetzt lebe wohl, um Mittag komme zu Herrn von Kraft, nicht weit vom Münster. Gib dich für meinen Landsmann aus Franken aus, denn die Ulmer sind den Württembergern nicht grün.«
»Sorgt nicht, Ihr sollt zufrieden sein«, rief Hanns dem Scheidenden zu. Er sah dem schlanken Jüngling nach und gestand sich, daß das holde Pflegekind seiner Schwester keine üble Wahl getroffen habe, wenn auch die rosigen Wangen des Kindes bei der ersten Liebe der Jungfrau etwas von ihren blühenden Farben verloren hatten.
IX
Was unter dieser Sonne kann es geben,
Das ich nicht hinzuopfern eilen will,
Wenn Sie es wünschen? – Fliehen Sie!
Georg war es von Anfang bange, wie sich sein neuer Bekannter in dem Kraftischen Hause benehmen werde. Er fürchtete nicht ohne Grund, jener möchte sich durch seine Mundart, durch unbedachte Äußerungen verraten, was ihm höchst unangenehm gewesen wäre; denn, je fester er bei sich beschlossen hatte, das Bundesheer in den nächsten Tagen zu verlassen, um so weniger mochte er in Verdacht geraten, in Verbindung nach dem Württemberg hinüber zu stehen. Konnte und durfte er ja doch im schlimmen Falle, wenn der Bote entdeckt würde, wenn er bekannte, an ihn geschickt worden zu sein, die Geliebte nicht verraten. Er wollte umkehren und den Mann aufsuchen, ihn bitten, sich so bald als möglich zu entfernen, aber als er bedachte, daß dieser schon längst von dem Platz ihrer Unterredung sich entfernt haben müsse, daß er indes zu Kraft kommen könne, schien es ihm geratener, dahin vorauszueilen, um jenem dort die nötigen Winke zu geben und ihn vor Unvorsichtigkeit zu bewahren.
Und doch, wenn er sich das kühne Auge, die kluge verschlagene Miene des Mannes ins Gedächtnis rief, glaubte er hoffen zu dürfen, daß Marie, obgleich ihr keine große Wahl übrigblieb, keinem unsicheren Mann diese Botschaft anvertraut haben konnte.
Und wirklich traute er seinem Auge, seinem Ohr kaum, als ihm um Mittag ein Landsmann aus Franken gemeldet, und sein Liebesbote hereingeführt ward. Welche Gewalt mußte dieser Mensch über sich haben. Es war derselbe, und doch schien er ein ganz anderer. Er ging gebückt, die Arme hingen schlaff an dem Körper herab, selten schlug er die Augen auf, sein Gesicht hatte einen Ausdruck von Blödigkeit, der Georg ein unwillkürliches Lächeln abnötigte. Und als er dann zu sprechen anfing, als er ihn in fränkischer Mundart begrüßte, und mit der geläufigen Zunge eines geborenen Franken dem Herrn von Kraft auf seine mancherlei Fragen antwortete, da kam er in Versuchung, an übernatürliche Dinge zu glauben; die Märchen seiner Kindheit stiegen in seinem Gedächtnisse auf, wo ein freundlicher Zauberer oder eine huldreiche Fee in allerlei Gestalten dem Dienst zweier Liebenden sich widmet, und sie glücklich mitten durch das feindselige Schicksal hindurchführt.
Der Zauber war zwar bald gelöst, als er mit dem Boten auf seinem Zimmer allein war, und ihn der gute Schwabe von seiner Persönlichkeit versicherte, aber doch konnte er ihm seine Bewunderung nicht versagen, über die Rolle, die er so gut gespielt.
»Glaubt deshalb nicht minder an meine Ehrlichkeit«, antwortete der Bauer, »man wird oft genötigt, von Jugend auf durch solche Künste sich fortzuhelfen, sie schaden keinem und tun doch dem gut, der sie kann.«
Georg versicherte, ihm nicht minder zu trauen als vorher, der Bote aber bat dringend, er möchte doch jetzt auch auf seine Abreise denken, er möchte bedenken wie sehr sich das Fräulein nach dieser Nachricht sehne, daß er nicht früher heimkehren dürfe, als bis er diese Gewißheit bringen könne.
Georg antwortete ihm, daß er nur noch den Abmarsch des Bundesheeres abwarten wolle, um in seine Heimat zurückzukehren.
»Oh, da braucht Ihr nicht mehr lange zu warten«, antwortete der Bote; »wenn sie morgen nicht aufbrechen, so ist es übermorgen, denn das Land ist offen bis ins Herz hinein. Ich darf Euch trauen, Junker, darum sag ich Euch dies.«
»Ist es denn wahr, daß die Schweizer abgezogen sind«, fragte Georg, »und daß der Herzog keine Feldschlacht mehr liefern kann?«
Der Bote warf einen lauernden Blick im Zimmer umher, öffnete behutsam die Türe, und als er sah, daß kein Lauscher in der Nähe sei, begann er:
»Herr! ich war bei einem Auftritt, den ich nie vergesse, und wenn ich neunzig Jahre alt werde! Schon unterwegs waren mir auf der Alb große Scharen der heimziehenden Schweizer begegnet; ihre Räte und Landamtmänner hatten sie heimgerufen; bei Blaubeuren standen aber noch über achttausend Mann, jedoch lauter gute Württemberger und nichts andres drunter.«
»Und der Herzog«, unterbrach ihn Georg, »wo war denn dieser? –«
»Der Herzog hatte in Kirchheim zum letztenmal mit den Schweizern unterhandelt, aber sie zogen ab, weil er sie nicht bezahlen konnte.[16] Da kam er gen Blaubeuren, wo sich sein Landvolk gelagert hatte. Gestern morgen wurde durch Trommelschlag bekannt gemacht, daß sich bis neun Uhr alles Volk auf den Klosterwiesen einstellen solle. Es waren viele Männer, die dort versammelt waren, aber jeder dachte ein und dasselbe. Seht, Junker! der Herzog Ulerich ist ein gestrenger Herr, und weiß den Bauer nicht für sich zu gewinnen. Die Steuern sind hart, der Jagdfrevel ist scharf und grausam, am Hof aber wird verpraßt was man uns genommen hat. Aber wenn ein solcher Herr im Unglück ist, da ist es gleich ein anderes Ding. Jetzt fiel uns allen nur ein, daß er ein tapferer Mann und unser unglücklicher Herzog sei, dem man wolle das Land mit Gewalt entreißen. Es ging ein Gemurmel unter uns, daß der Herzog wolle eine Schlacht liefern, und jeder drückte das Schwert fester in der Hand, grimmig schüttelten sie ihre Speere und riefen den Bündlern Verwünschungen zu. Da kam der Herzog –«
»Du sahst den Herzog, du kennst ihn?« rief Georg neugierig. »O sprich, wie sieht er aus? –«
»Ob ich ihn kenne?« sagte der Bote mit sonderbarem Lächeln, »wahrhaftig ich sah ihn als es ihm nicht wohl war mich zu sehen. Der Herr ist noch ein junger Mann, wenn es viel ist, ist er zweiunddreißig Jahr. Er ist stattlich und kräftig, und man sieht ihm an, daß er die Waffen zu führen weiß. Augen hat er wie Feuer, und es lebt keiner, der ihm lange hineinschaute. – Der Herzog trat in den Kreis, den das bewaffnete Volk geschlossen hatte, und es war Totenstille unter den vielen Menschen. Mit vernehmlicher Stimme sprach er, daß er sich also verlassen, nimmer zu helfen wüßte.[17] Diejenigen, worauf er gehofft, seien ihm benommen, seinen Feinden sei er ein Spott; denn ohne die Schweizer könne er keine Schlacht wagen. Da trat ein alter, eisgrauer Mann hervor, der sprach: ›Herr Herzog! habt Ihr unsern Arm schon versucht, daß Ihr die Hoffnung aufgebt? schaut, diese alle wollen für Euch bluten; ich habe Euch auch meine vier Buben mitgebracht, hat jeder einen Spieß und ein Messer, und so sind hier viele Tausend; seid Ihr des Landes so müde, daß Ihr uns verschmäht?‹ Da brach dem Ulerich das Herz; er wischte sich Tränen aus dem Auge und bot dem Alten seine Hand. ›Ich zweifle nicht an eurem Mut‹, sprach er mit lauter Stimme. ›Aber wir sind unserer zu wenig; so daß wir nur sterben können aber nicht siegen. Geht nach Haus ihr guten Leute und bleibet mir treu. Ich muß mein Land verlassen und im bitteren Elend sein. Aber mit Gottes Hülfe hoffe ich auch wieder hereinzukommen.‹ So sprach der Herzog, unsere Leute aber weinten und knirschten mit den Zähnen und zogen ab in Trauer und Unmut. –«[18]
»Und der Herzog?« fragte Georg.
»Von Blaubeuren ist er weggeritten, wohin weiß man nicht. In den Schlössern aber liegt die Ritterschaft, sie zu verteidigen, bis der Herzog vielleicht andere Hülfe bekommt.« –
16
Sie zogen den 17. März ab. Der Herzog reiste sogleich nach Kirchheim um sie aufzuhalten, allein hier kam eine zweite Ordre unter Bedrohung des Verlustes ihrer Güter und der Leib- und Lebensstrafe nach Haus zu eilen. Sattler II. §. 6. Tethinger pag. 66. Interim cum Helvetiorum primoribus agunt foederati, missis in urbes eorum legatis, ne Ducis Huldrichi negotio belloque se nunc immisceant suos abscedere jubeant.
17
Sattler §. 6. Ausführlich führt diese Rede an: Tethinger comment. de reb. Würtemb. p. 66.
18
Diese Ergebenheit und Treue der Württemberger beschreibt am angeführten Ort Tethinger. Als einen sehr wichtigen Grund gegen die Angriffe Huttens führt sie auch Nicolaus Barbatus in seiner zu Marburg gehaltenen Rede auf. Vergl. Schradius II. 386. Wir machen auf diesen Umstand besonders aufmerksam, weil man gewöhnlich annimmt, es sei den Württembergern recht gewesen, daß man Ulerich verjagte; Tethingers Worte sind: »Als dies die Württemberger hörten, beklagten sie ihr Schicksal heftig, das ihnen nicht vergönne zu fechten. – Magno fremitu fortunam suam questi.« – Noch merkwürdiger sind die Worte Nicolai Barbati; er sucht die Beschuldigungen Ulerichs von Hutten zu widerlegen: »Welcher Tyrann war den Seinigen wert? Ulerich lieben die Seinigen. Welcher Tyrann wird, wenn er verjagt ist, von seinen Untergebenen zurückgewünscht? Mit Bitten und Gebet wünschen sich seine Untergebenen den Herzog zurück und bitten die Götter, sie möchten ihnen den Herrn zurückgeben usw.«