Der alte Johann unterbrach hier den Boten und meldete, daß der Junker auf zwei Uhr in den Kriegsrat beschieden sei, der in Frondsbergs Quartier gehalten werde; Georg war nicht wenig erstaunt über diese Nachricht; was konnte man von ihm im Kriegsrat wollen? Sollte Frondsberg schon ein Mittel gefunden haben, ihn zu empfehlen?
»Nehmt Euch in acht, Junker«, sprach der Bote, als der alte Johann das Gemach verlassen hatte, »und bedenkt das Versprechen, das Ihr dem Fräulein gegeben, vor allem erinnert Euch, was sie Euch sagen ließ: Ihr sollt Euch hüten, weil man etwas mit Euch vorhabe. Mir aber erlaubt, als Euer Diener in diesem Haus zu bleiben; ich kann Euer Pferd besorgen und bin zu jedem Dienst erbötig.«
Georg nahm das Anerbieten des treuen Mannes mit Dank an und Hanns trat auch sogleich in seinen Dienst, denn er band seinem jungen Herrn das Schwert um, und setzte ihm das Barett zurecht. Er bat ihn noch unter der Türe, seines Schwures und jener Warnung eingedenk zu sein.
Dem unbegreiflichen Ruf in den Kriegsrat und der sonderbar zutreffenden Warnung Mariens nachsinnend, ging Georg dem bezeichneten Hause zu; man wies ihn dort eine breite Wendeltreppe hinan, wo er in der ersten Türe rechts, die Kriegsobersten versammelt finden sollte. Aber der Eingang in dieses Heiligtum ward ihm nicht so bald verstattet; ein alter bärtiger Kriegsmann fragte, als er die Türe öffnen wollte, nach seinem Begehr, und gab ihm den schlechten Trost, es könne höchstens noch eine halbe Stunde dauern, bis er vorgelassen werde; zugleich ergriff er die Hand des jungen Mannes und führte ihn einen schmalen Gang hindurch, nach einem kleinen Gemach, wo er sich einstweilen gedulden solle.
Wer je in besorgter Erwartung einsam und allein auf der Marterbank eines Vorzimmers saß, der kennt die Qual, die Georg in jener Stunde auszustehen hatte. Das ungeduldige Herz pocht der Entscheidung entgegen, alle Nerven sind gespannt, das Auge möchte die Türe durchbohren, das Ohr schärft sich, wenn in der Ferne eine Türe knarrt, Schritte über den Hausgang rauschen oder undeutliche Stimmen im anstoßenden Zimmer lauter werden. Aber die Türen haben umsonst getönt, die Schritte immer näher und näher kommend, gehen vorüber, der ungleiche Ton der Stimmen sinkt zum Geflüster herab. Die Bretter des Fußbodens und die Fenster des Nachbarhauses sind bald gezählt, und schon wieder zeigt der helle Ton der Glocke eine umsonst verlebte halbe Stunde an. Das Ohr begleitet alle Glocken und Uhren der Stadt, bemerkt ihre hohen und tiefen Töne – auch sie haben ausgeschlagen. Man steht auf, man macht einen Gang durch das enge Gemach, horch! da geht wieder eine Türe, gewichtige Schritte kommen den Gang herauf, die Klinke der Türe bewegt sich nach so langer Zeit wieder –
»Georg von Frondsberg läßt Euch seinen Gruß vermelden«, sprach der alte Kriegsmann, der nach so langer Zeit wieder zu Georg kam, »es könnte vielleicht noch eine Weile dauern; doch sei dies ungewiß, darum sollet Ihr hierbleiben. Er schickt Euch hier einen Krug Wein zum Vespern.«
Der Diener setzte den Wein auf den breiten Fenstersims des Zimmers, denn ein Tisch war nicht vorhanden, und verließ das Gemach.
Georg sah ihm staunend nach; er hätte dies nicht für möglich gehalten; über eine Stunde war schon verschwunden, und noch nicht? Er griff zu dem Wein, er war nicht übel, aber wie konnte ihm in seiner traurigen Einsamkeit das Glas munden?
Es ist ein gewöhnlicher Fehler junger Leute in Georgs Jahren, daß sie sich für wichtiger halten, als es ihre Stellung in der Welt eigentlich mit sich bringt. Der gereiftere Mann wird eine Beeinträchtigung seiner Würde eher verschmerzen oder wenigstens sein Mißfallen zurückhalten, während der Jüngling empfindlicher über den Punkt der Ehre leichter und schneller aufbraust. Kein Wunder daher, daß Georg, als er nach zwei tödlich langen Stunden in den Kriegsrat abgeführt wurde, nicht in der besten Laune war. Er folgte schweigend dem ergrauten Führer, der ihn hieher geleitet hatte, den langen Gang hin.
An der Türe wandte sich jener um und sagte freundlich: »Verschmäht den Rat eines alten Mannes nicht, Junker, und legt die trotzige, finstere Miene ab; es tut nicht gut bei den gestrengen Herren da drinnen.«
Georg war in dem Augenblick zu wenig Herr über sich, als daß er den wohlgemeinten Rat hätte befolgen können, er dankte ihm durch einen Händedruck, ergriff dann rasch die gewaltige eiserne Türklinke und die schwere, eichene Zimmertüre drehte sich ächzend auf.
Um einen großen, schwerfälligen Tisch saßen acht ältliche Männer, die den Kriegsrat des Bundes bildeten. Einige davon kannte Georg. Jörg Truchseß, Freiherr von Waldburg, nahm als Oberster-Feldlieutenant den obersten Platz an dem Tische ein, auf beiden Seiten von ihm saßen Frondsberg und Franz von Sickingen, von den übrigen kannte er keinen, als den alten Ludwig von Hutten; aber die Chronik hat uns ihre Namen treulich aufbewahrt, es saßen dort noch Christoph Graf zu Ortenberg, Alban von Closen, Christoph von Frauenberg und Diepolt von Stein; bejahrte, im Heere angesehene Männer.
Georg war an der Türe stehengeblieben, Frondsberg aber winkte ihm freundlich näher zu kommen. Er trat bis an den Tisch, und überschaute nun mit dem freien kühnen Blick, der ihm so eigen war, die Versammlung. Aber auch er wurde von den Versammelten beobachtet, und es schien, als fänden sie Gefallen an dem schönen, hochgewachsenen Jüngling, denn mancher Blick ruhte mit Wohlwollen auf ihm, einige nickten ihm sogar freundlich zu.
Der Truchseß von Waldburg hob endlich an: »Georg von Sturmfeder, wir haben uns sagen lassen, Ihr seid auf der Hochschule in Tübingen gewesen, ist dem also?«
»Ja Herr Ritter«, antwortete Georg.
»Seid Ihr in der Gegend von Tübingen genau bekannt?« fuhr jener fort.
Georg errötete bei dieser Frage; er dachte an die Geliebte, die ja nur wenige Stunden von jener Stadt entfernt, auf ihrem Lichtenstein war; doch er faßte sich bald und sagte: »Ich kam zwar nicht viel auf die Jagd, auch habe ich sonst die Gegend wenig durchstreift, doch ist sie mir im allgemeinen bekannt.«
»Wir haben beschlossen«, fuhr Truchseß fort, »einen sicheren Mann in jene Gegend zu schicken, auszukundschaften was der Herzog von Württemberg bei unserem Anzug tun wird. Es soll auch über die Befestigung des Schlosses Tübingen, über die Stimmung des Landvolkes in jener Gegend genaue Nachricht eingezogen werden; ein solcher Mann kann dem Württemberger durch Klugheit und List mehr Abbruch tun als hundert Reiter, und wir haben – – Euch dazu ausersehen.«
»Mich?« rief Georg voll Schrecken.
»Euch, Georg von Sturmfeder; zwar gehört Übung und Erfahrung zu einem solchen Geschäft, aber was Euch dran abgeht, möge Euer Kopf ersetzen.«
Man sah dem Jüngling an, daß er einen heftigen Kampf mit sich kämpfte. Sein Gesicht war bleich, sein Auge starr, seine Lippen fest zusammengeklemmt. Die Warnung Mariens war ihm jetzt auf einmal klar; aber wie fest er auch bei sich beschloß, den Antrag auszuschlagen, wie erwünscht beinahe diese Gelegenheit erschien, um dem Bunde zu entsagen, so kam ihm die Entscheidung doch zu überraschend, er scheute sich, vor den berühmten Männern seinen Entschluß auszusprechen.
Der Truchseß rückte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her, als der junge Mann so lange mit seiner Antwort zögerte: »Nun? wird's bald? warum besinnt Ihr Euch so lange?« rief er ihm zu.
»Verschonet mich mit diesem Auftrag«, sagte Georg nicht ohne Zagen, »ich kann, ich darf nicht.«
Die alten Männer sahen sich erstaunt an, als trauten sie ihren Ohren nicht. »Ihr dürft nicht, Ihr könnt nicht«, wiederholte Truchseß langsam, und eine dunkle Röte, der Vorbote seines aufsteigenden Zornes lagerte sich auf seine Stirne und um seine Augen.
Georg sah, daß er sich in seinen Ausdrücken übereilt habe; er sammelte sich und sprach mit freierem Mute: »Ich habe Euch meine Dienste angeboten um ehrlich zu fechten, nicht aber um mich in Feindesland zu schleichen und hinterrücks nach seinen Gedanken zu spähen. Es ist wahr, ich bin jung und unerfahren, aber so viel weiß ich doch, um mir von meinen Schritten Rechenschaft geben zu können; und wer von Euch, der Vater eines Sohnes ist, möchte ihm zu seiner ersten Waffentat raten, den Kundschafter zu machen?«