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Der kleinen Schwätzerin war unsere flüchtige aber wahre Bemerkung über dem Anblick des schönen Mannes völlig entgangen; »Nur schnell Oheim«, rief sie und zog den alten Herrn am Mantel, »wer ist dieser in der hellblauen Binde mit Silber? Nun?«

»Ja liebes Kind«, antwortete der Oheim, »den habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Seinen Farben nach steht er in keinem besonderen Dienst, sondern reitet wohl auf seine eigene Faust gegen meinen Herzog und Herrn, wie so viele Hungerleider, die sich an unseren Töpfen laben wollen.«

»Mit Euch ist doch nichts anzufangen«, sagte die Kleine und wandte sich unmutig ab; »die alten und gelehrten Herren kennet Ihr alle auf hundert Schritte und weiter; wenn man aber einmal nach einem hübschen, höflichen Junker fragt, wißt Ihr nichts. Du bist auch so Marie, machtest Augen auf den Zug hinunter, als ob es eine Prozession an Fronleichnam wäre; ich wette, du hast das Schönste von allem nicht gesehen, und hattest noch den alten Frondsberg im Kopfe, als ganz andere Leute vorbeiritten!«

Der Zug hatte sich während dieser Strafrede Bertas vor dem Rathause aufgestellt, die bündische Reiterei, die noch vorüberzog, hatte wenig Interesse mehr für die beiden Mädchen, als daher die Herren abgesessen und zum Imbiß ins Rathaus gezogen waren, als die Zünfte ihre Glieder auflösten und das Volk sich allmählich zu verlaufen begann, zogen auch sie sich vom Fenster zurück.

Berta schien nicht ganz zufrieden zu sein. Ihre Neugier war nur halb befriedigt. Sie hütete sich übrigens wohl, vor dem alten, ernsten Oheim etwas merken zu lassen. Als aber dieser das Gemach verließ, wandte sie sich an ihre Base, die noch immer träumend am Fenster stand:

»Nein! wie einen doch so etwas peinigen kann! Ich wollte viel darum geben, wenn ich wüßte, wie er heißt; daß du aber auch gar keine Augen hast, Marie! Ich stieß dich doch an, als er grüßte. Siehe, hellbraune Haare, recht lang und glatt, freundliche dunkle Augen, das ganze Gesicht ein wenig bräunlich, aber hübsch, sehr hübsch. Ein Bärtchen über dem Mund, nein! ich sage dir – Wie du jetzt nur wieder gleich rot werden kannst«, fuhr die Blonde in ihrem Eifer fort, »als ob zwei Mädchen, wenn sie allein sind, nicht von dem schönen Mund eines jungen Herrn sprechen dürften. Dies geschieht oft bei uns; aber freilich bei deiner seligen Frau Muhme in Tübingen und bei deinem ernsten Vater in Lichtenstein, kamen solche Sachen nicht zur Sprache, und ich sehe schon, Bäschen Marie träumt wieder, und ich muß mir ein Ulmer Stadtkind suchen, wenn ich auch nur ein klein wenig schwatzen will.«

Marie antwortete nur durch ein Lächeln, das wir vielleicht etwas schelmisch gefunden hätten; Berta aber nahm den großen Schlüsselbund vom Haken an der Türe, sang sich ein Liedchen und ging, um noch einiges zum Mittagessen zu rüsten. Denn wenn man ihr auch etwas zu große Neugierde vorwerfen konnte, so war sie doch eine zu gute Haushälterin, als daß sie über der flüchtigen Erscheinung des höflichen Reiters das Zugemüse und den Nachtisch vergessen hätte.

Sie hüpfte hinaus und ließ ihre Base allein bei ihren Gedanken; und auch wir stören sie nicht, wenn sie jetzt die schönen Bilder der Erinnerung durchgeht, die jene Erscheinung mit einemmal aus dem tiefen, treuen Herzen hervorgerufen hatte, wenn sie jener Zeit gedenkt, wo ein flüchtiger Blick von ihm, ein Druck seiner Hand, ihre Tage erhellte, wenn sie jener Nächte gedenkt, wo sie im stillen Kämmerlein, unbelauscht von der seligen Muhme, jene Schärpe flocht, deren freudige Farben sie heute aus ihren Träumen weckten; wir lauschen nicht, wenn sie errötend und mit niedergeschlagenen Augen sich fragt, ob Bäschen Berta den süßen Mund des Geliebten richtig beschrieben habe?

II

Steigt deine Hoffnung wieder?

Ist nicht dein Herz entbrannt?

Du fühlst dich, Jüngling wieder

Im alten Schwabenland.

G. Schwab

Der festliche Aufzug, den wir auf den letzten Blättern beschrieben haben, galt den Häuptern und Obersten des Schwäbischen Bundes, der an diesem Tage, auf seinem Marsch von Augsburg, wo er sich versammelt hatte, in Ulm einzog. Der Leser kennt aus der Einleitung die Lage der Dinge. Herzog Ulerich von Württemberg hatte durch die Unbeugsamkeit, mit welcher er trotzte, durch die allzuheftigen Ausbrüche seines Zornes und seiner Rache, durch die Kühnheit, mit welcher er, der einzelne, so vielen verbündeten Fürsten und Herren die Stirne bot, zuletzt noch durch die plötzliche Einnahme der Reichsstadt Reutlingen den bittersten Haß des Bundes auf sich gezogen. Der Krieg war unvermeidlich, denn es stand nicht zu erwarten, daß man Ulerich, nachdem man so weit gegangen, friedliche Vorschläge tun werde.

Hiezu kamen noch die besonderen Rücksichten, die jeden leiteten. Der Herzog von Bayern, um seiner Schwester Sabina Genugtuung zu verschaffen, die Schar der Huttischen um ihren Stammesvetter zu rächen, Dieterich von Spät[11] und seine Gesellen, um ihre Schmach in Württembergs Unglück abzuwaschen, die Städte und Städtchen, um Reutlingen wieder gut bündisch zu machen, sie alle hatten ihre Banner entrollt und sich mit blutigen Gedanken und lüstern nach gewisser Beute eingestellt.

Bei weitem friedlicher und fröhlicher waren bei diesem Einzug die Gesinnungen Georgs von Sturmfeder, jenes »artigen Reiters«, der Bertas Neugierde in so hohem Grade erweckt, dessen unerwartete Erscheinung Mariens Wangen mit so tiefem Rot gefärbt hatte. Wußte er doch kaum selbst, wie er zu diesem Feldzug kam, da er, obgleich den Waffen nicht fremd, doch nicht zunächst für das Waffenwerk bestimmt war. Aus einem armen aber angesehenen Stamme Frankens entsprossen, war er frühe verwaist von einem Bruder seines Vaters erzogen worden. Schon damals hatte man angefangen, gelehrte Bildung als einen Schmuck des Adels zu schätzen. Daher wählte sein Oheim für ihn diese Laufhahn. Die Sage erzählt nicht, ob er auf der hohen Schule in Tübingen, die damals in ihrem ersten Erblühen war, in Wissenschaften viel getan. Es kam nur die Nachricht bis auf uns, daß er einem Fräulein von Lichtenstein, die bei einer Muhme in jener Musenstadt lebte, wärmere Teilnahme schenkte, als den Lehrstühlen der berühmtesten Doktoren. Man erzählt sich auch, daß das Fräulein mit ernstem, beinahe männlichem Geiste alle Künste, womit andere ihr Herz bestürmten, gering geachtet habe. Zwar kannte man schon damals alle jene Kriegslisten, ein hartes Herz zu erobern, und die Jünger der alten Tubinga hatten ihren Ovid vielleicht besser studiert als die heutigen, es sollen aber weder nächtliche Liebesklagen, noch fürchterliche Schlachten und Kämpfe um ihren Besitz die Jungfrau erweicht haben. Nur einem gelang es, dieses Herz für sich zu gewinnen, und dieser eine war Georg. Sie haben zwar, wie es stille Liebe zu tun pflegt, niemand gesagt, wann und wo ihnen der erste Strahl des Verständnisses aufging und wir sind weit entfernt, uns in dieses süße Geheimnis der ersten Liebe eindrängen zu wollen, oder gar Dinge zu erzählen, die wir geschichtlich nicht belegen können; doch können wir mit Grund annehmen, daß sie schon bis zu jenem Grad der Liebe gediehen waren, wo man, gedrängt von äußeren Verhältnissen, gleichsam als Trost für das Scheiden, ewige Treue schwört; denn als die Muhme in Tübingen das Zeitliche gesegnete, und Herr von Lichtenstein sein Töchterlein zu sich holen ließ, um sie nach Ulm, wo ihm eine Schwester verheiratet war, zu weiterer Ausbildung zu schicken, da merkte Rose, Mariens alte Zofe, daß so heiße Tränen und die Sehnsucht, mit welcher Maria noch einmal und immer wieder aus der Sänfte zurücksah, nicht den bergigten Straßen, denen sie Valet sagen mußten, allein gelte.

Bald darauf langte auch ein Sendschreiben an Georg an, worin ihm sein Oheim die Frage beibrachte, ob er jetzt nach vier Jahren noch nicht gelehrt genug sei? Dieser Ruf kam ihm erwünscht; seit Mariens Abreise waren ihm die Lehrstühle der gelehrten Doktoren, die finstere Hügelstadt, ja selbst das liebliche Tal des Neckars verhaßt geworden. Mit neuer Kraft erfrischte ihn die kalte Luft, die ihm von den Bergen entgegenströmte, als er an einem schönen Morgen des Februar aus den Toren Tübingens seiner Heimat entgegenritt, wie die Sehnen seiner Arme in dem frischen Morgen sich straffer anzogen, wie die Muskeln seiner Faust kräftiger in die Zügel faßten, so erhob sich auch seine Seele zu jenem frischen heiteren Mute, der diesem Alter so eigen ist, wenn die Gewißheit eines süßen Glückes im Herzen lebt, und vor dem Auge, das Erfahrung noch nicht geschärft, Unglück noch nicht getrübt hat, die Zukunft heiter und freundlich sich ausbreitet. Wie der klare See, der das heitere Bild, das auf ihn herabschaut, nicht minder freundlich zurückwirft, und mit diesen reizenden Farben seine Tiefe verhüllt, so hat gerade das Ungewisse dieser Zukunft seinen eigentümlichen Reiz. Man glaubt im Kopf und Arm Kraft genug zu tragen, um dem Glück seine Gunst abzuringen, und dies Vertrauen auf sich selbst gibt bei weitem mutigere Zuversicht, als die mächtigste Hülfe von außen.

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11

Die Herren von Spät waren der Herzogin auf ihrer Flucht aus dem Lande behülflich gewesen. Der Herzog hatte bittere Rache an ihren Gütern genommen.