So ging der Zug aus dem Tore des Schlosses nach der Kirche, die nur durch einen breiten Platz von ihm getrennt war. Kopf an Kopf standen die schönen Mädchen und die redseligen Frauen, sie musterten die Anzüge der Fräulein, strengten die Blicke an, als die schöne Braut vorbeiging, und waren voll Lobes über den Bräutigam.
Unter den zahlreichen Zuschauern sah man auch eine rüstige, runde Bauersfrau mit ihrem Töchterlein stehen. Diese Frau verneigte sich immerwährend zu großer Belustigung der Städtler umher, die nur der Braut und dem Herzog diese Aufmerksamkeit bewiesen. Sie unterhielt sich dabei eifrig mit ihrer Tochter. Das schöne Kind an ihrer Seite schien aber wenig auf ihre Reden zu achten; sie übersah den glänzenden Zug der Fräulein, ihre hellen Augen waren nur immer auf die nahende Braut gerichtet. Je näher diese kam, desto röter färbten sich die Wangen des Mädchens, das rote Mieder hob und senkte sich ungestüm, und das pochende Herz schien die silbernen Ketten, womit es eingeschnürt war, zersprengen zu wollen. Sie sah Marien fest und durchdringend an, die hohe Schönheit der jungen Braut schien sie zu überraschen, ein wehmütiges Lächeln zuckte um ihren kleinen Mund: »Sie ist's!« rief sie unwillkürlich aus, und verbarg dann schnell ihr Gesicht hinter dem Rücken ihrer Mutter, denn die Umstehenden sahen verwundert nach ihr hin.
»Jo, dia ist's, Bärbele! dia ist grausig schö!« flüsterte die runde Frau, und neigte sich tief. »Jetzt wellet mer uf da Junker bassa.«
Das Mädchen schien diesen Rat nicht erst zu bedürfen, denn sie blickte längst hinüber nach jener Seite, woher er kommen mußte. »Er kommt, er kommt«, hörte sie ihre Nachbarn flüstern, »der ist's in dem weißen Kleid, mit dem blauen Mantel, er geht gerade vor dem Herzog.« Sie sah ihn, nur einen Blick warf sie nach ihm hin, und wagte dann nicht mehr aufzublicken; die tiefe Röte ihrer Wangen verschwand, als er vorüberging, sie zitterte, eine Träne fiel herab auf das rote Mieder; – jetzt war er vorüber, jetzt hob sie das Köpfchen wieder ein wenig auf, und sandte ihm einen Blick nach, der mehr auszudrücken schien, als die reine Bewunderung oder das Staunen der Neugierde.
Als der Zug vorüber war, drängten sich die Zuschauer mit Ungestüm zu den Kirchtüren, und in einem Augenblick war der Platz, der noch kurz zuvor den Anblick einer bunten wogenden Menge dargeboten hatte, wie ausgestorben. Die runde Frau blickte noch immer staunend den schönen geputzten Stadtjungfern nach, welche mit ihren brokatenen Hauben und goldgestickten Miedern, mit ihren feinen langen Röcken, an welchen man nur um Hals und Busen den Zeug allzusehr gespart zu haben schien, in der Bauersfrau mächtige Sehnsucht nach solcher Pracht und Herrlichkeit erweckt hatten.
Als sie sich umwandte, erschrak sie nicht wenig, denn ihr holdes Kind hatte das blühende Gesichtchen in die Hände verborgen und weinte. Sie konnte nicht begreifen was dem Mädchen begegnet sein könne, sie faßte ihre Hand, zog sie herab von den Augen – sie weinte bitterlich. »Was hoscht denn, Bärbele«, fragte sie halb unmutig, doch nicht ohne Teilnahme, »was heulscht denn? Hoscht's denn et gseha? Gang, 's ist jo a Schand! wenn's jo ebber sieht; so sag no worum da heulscht?«
»I wois et, Muater!« flüsterte sie, indem sie vergeblich ihre Tränen zu bezwingen suchte; »es ist mer so weh im Herz drin, i woiß et worum.«
»Laß jetzt bleiba, sag e! Komm, sonst kommemer z'spot in d'Kirch. Hairsch, wie se musizieret und singet? komm, sonst seha mer nix mai!« Die Frau zog bei diesen Worten das Mädchen nach der Kirche. Bärbele folgte, sie bedeckte die Augen mit der weißen Schürze, um nicht den Stadtleuten zum Gespött zu werden, aber die tiefen Seufzer, die sich aus ihrer Brust heraufstahlen, ließen ahnen, daß sie einen tiefen Schmerz vergeblich zu unterdrücken suche. Die Orgel schwieg, der Chorgesang verstummte, als sie an der Kirchtüre anlangten; die Einsegnung des schönen Paares mußte in diesem Augenblick beginnen. Aber vergebens suchte die runde Frau durch die dichten Reihen zu dringen, welche die Türe füllten, sie wurde, sooft sie sich in einen freien Raum zu schieben suchte, unwillig und mit Scheltworten zurückgestoßen.
»Komm, Muater!« sprach das Mädchen, »mer wellet hoim; mer sent arme Leut, uns lasset se et in d'Kirch; komm hoim.«
»Was? d'Kircha sind für älle Leut erschaffa; au für d'arme. Wia, ihr Herra, lent es e bisle do nei. Mer sehet jo gar nix.«
»Waz!« sprach der Mann, an den sie sich gewendet hatte, und kehrte ihr ein rotbraunes Gesicht mit schrecklichem Bart zu. »Waz? packt Euch fort, wir lassen niemand durch; wir zind die allergnädigsten herzoglichen Landsknechte wir, und nach dem Zanktus, hat der Hauptmann befohlen, darf keine Zeele mehr durch; Mordblei! tut mir leid, wenn ich in der Kirche fluche, aber ich zag, weg da!«
»Die Olte muß weg, sogen wer, ober das Dienderl dorf rein; komm Schätzerl! Do konnst's recht gut sehen! schaut's, jetzt stecht ihr der Probst den Ring on, jetzt legt er ihne die Händ zusommen – gib mir en Schmatzerl, dann darfst sehn.« Der Kasperle von Wien streckte bei diesen Worten seine tapfere Hand nach dem Mädchen aus, doch diese schrie laut auf, und entfloh weinend; die runde Frau aber verwünschte die Stadtleute, die Stadtkirchen und die unanständigen Landsknechte, und folgte ihrer Tochter.
VII
So hab ich endlich dich gerettet
Mir aus der Menge wilden Reihn
Du bist in meinen Arm gekettet,
Du bist nun mein, nun einzig mein.
Es schlummert alles diese Stunde,
Nur wir noch leben auf der Welt;
Wie in der Wasser stillem Grunde
Der Meergott seine Göttin hält.
Herzog Ulerich von Württemberg liebte eine gute Tafel, und wenn in guter Gesellschaft die Becher kreisten, pflegte er nicht so bald das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Auch am Hochzeitfeste Mariens von Lichtenstein blieb er seiner Gewohnheit treu.
Man war, als die heilige Handlung in der Kirche vorüber war, in den Lustgarten am Schloß gezogen; dort hatten sich in den Laubgängen und künstlich verschlungenen Wegen die Hochzeitgäste ergangen, oder an den zahmen Hirschen und Rehen im Gehege, oder an den Bären die in einem der Gräben des Schlosses umherwandelten, sich ergötzt. Um zwölf Uhr hatten die Trompeten zur Tafel gerufen. Sie wurde in der Tyrnitz gehalten, einer weiten hohen Halle, die viele hundert Gäste faßte. Diese Halle war die Zierde des Schlosses zu Stuttgart. Sie maß wohl hundert Schritte in der Länge; die eine Seite, die gegen den Garten des Schlosses lag, war von vielen breiten Fenstern unterbrochen, und der freundliche Tag ergoß sich durch die vielfarbigen Scheiben, und erhellte überall das ungeheure Gemach, das mit seinen Wölbungen und Säulen mehr einer Kirche als einem Tummelplatz der Freude glich. Um die drei übrigen Seiten liefen Galerien mit Teppichen reich behängt, sie waren für die Geiger und Trompeter und für die Zuschauer bei einem fürstlichen Mahle bestimmt, oft aber dienten sie den Damen und Kampfrichtern zu Tribünen, wenn nicht der Klang der Becher, sondern Schwerthiebe, das Krachen der Lanzen, das Sausen der Speere, und das Gelächter und Geschrei der Kämpfer beim freien Waffenspiel in der Halle erscholl.