Выбрать главу

Die Natur hatte ihr eine starke Seele und jene entschiedene Erhabenheit über jedes irdische Verhängnis gegeben, die nur in einer reinen Seele und in der mutigen Zuversicht auf einen höhern Beistand bestehen kann. Sie wußte, was Georg der Ehre seines Namens, und seinem Verhältnis zum Herzog schuldig sei, darum erstickte sie jeden lauten Jammer, und brachte ihrer schwächeren Natur nur jenes Opfer schmerzlicher Tränen, die dem Auge, das den Geliebten tausend Gefahren preisgegeben sieht, unwillkürlich entströmen.

»Siehe, ich kann nicht glauben, daß du auf immer von mir gehst«, sagte sie, indem sie ihre schönen Züge zu einem Lächeln zwang; »wir haben jetzt erst zu leben begonnen, der Himmel kann nicht wollen, daß wir schon Aufhören sollen. Drum kann ich dich ruhig ziehen lassen, ich weiß ja zuversichtlich, daß du mir wiederkehrst.«

Georg küßte die schönen, weinenden Augen, die ihn so mild und voll Trost anblickten. Er dachte in diesem Augenblick nicht an die Gefahr, der er entgegengehe, nicht an die Möglichkeit, daß vielleicht schon das nächste Morgenrot seine Leiche bescheinen werde; er dachte nur daran, wie groß für das teure Wesen, das er in den Armen hielt, der Schmerz sein müßte, wenn er nicht mehr zurückkehrte: wie sie dann ein langes Leben einsam, nur in der Erinnerung an die wenigen Tage des Glückes, fortleben könnte. Er preßte sie heftiger in die Arme, als wolle er dadurch diese schwarzen Gedanken verscheuchen, seine Blicke tauchten tiefer in ihre Augen herab, um dort Vergessenheit zu suchen, und es gelang ihm, wenigstens trug er ein schönes Bild der Hoffnung und der Zuversicht mit sich hinweg.

Die Ritter stießen vor dem Tor gegen Cannstatt zu dem Herzog. Es war dunkle Nacht, das erste Viertel des Mondes und das Heer der Sterne warfen einen matten Schein herab; Georg glaubte zu bemerken, daß der Herzog finster und in sich gekehrt sei, denn seine Augen waren niedergeschlagen, seine Stirne kraus, und er ritt stumm seinen Weg weiter, nachdem er sie flüchtig mit der Hand gegrüßt hatte.

Ein nächtlicher Marsch hat immer etwas Geheimnisvolles, Bedeutendes an sich. Die Sonne, heitere Gegenden, der Anblick vieler Kameraden, der Wechsel der Aussichten locken bei Tag den Soldaten zum Gespräch, wohl auch zum Gesang. Weil die Eindrücke von außen stärker sind, denkt man weniger nach über das Ziel des Marsches, über das Ungewisse des Krieges, über die Zukunft, die niemand dunkler verhängt ist, als dem Kriegsmann im Felde. Ganz anders auf dem Marsch in der Nacht. Man hört nur das Gedröhn des Zuges, den taktartigen Hufschlag der Rosse, ihr Schnauben, das Klirren der Waffen; und die Seele, die durch das Auge keine Bilder mehr empfängt, wird durch dieses eintönige Gemurmel ernster; Scherz und Gelächter sind verstummt, das laute Gespräch sinkt zum Geflüster herab, und auch dieses gilt nicht mehr gleichgültigen Gegenständen, sondern der Entscheidung, welcher man entgegenzieht.

So war auch der Zug in jener Nacht, ernst und von keinem Laut der Freude unterbrochen. Georg ritt neben dem alten Herrn von Lichtenstein, und warf hie und da ängstliche Blicke auf diesen, denn er hing wie von Kummer gebückt im Sattel, und schien ernster als je zu sein. Er hätte beinahe ohne Leben geschienen, wenn nicht hin und wieder ein Seufzer aus seiner Brust heraufgestiegen wäre, und seine glänzenden Augen nach den Wölkchen schauten, die um die bleiche Sichel des Mondes zogen.

»Glaubt Ihr, es werde morgen zum Gefecht kommen, Vater?« flüsterte Georg nach einer Weile.

»Zum Gefecht? zur Schlacht.«

»Wie? Ihr glaubt also, das Bundesheer sei so stark, daß es uns jetzt schon werde die Spitze bieten können? Es ist nicht möglich. Herzog Wilhelm müßte Flügel haben, wenn er seine Bayern herabgeführt hätte, und Frondsberg ist in seinen Entschlüssen bedächtig. Ich glaube nicht, daß sie viel über sechstausend stark sind.«

»Zwanzigtausend«, antwortete der Alte mit dumpfer Stimme.

»Bei Gott, das hab ich nicht gedacht«, entgegnete der junge Mann mit Staunen. »Freilich, da werden sie uns hart zusetzen. Doch wir haben geübtes Volk, und des Herzogs Augen sind schärfer als irgendeines im Bundesheere, selbst als Frondsbergs. Glaubt Ihr nicht auch, daß wir sie schlagen werden?«

»Nein.«

»Nun, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ein großer Vorteil für uns liegt schon darin, daß wir für das Land fechten, die Bündischen aber dagegen; das macht unseren Truppen Mut; die Württemberger kämpfen für ihr Vaterland.«

»Gerade darauf traue ich nicht«, sprach Lichtenstein; »ja wenn der Herzog sich anders hätte huldigen lassen, so aber – hat er das Landvolk nicht für sich; sie streiten, weil sie müssen und ich fürchte, sie halten nicht lange aus.«

»Das wäre freilich schlimm«, erwiderte Georg; »doch die Schwaben sind ein biederes, ehrliches Volk, sie werden den Herzog nicht in der Not verlassen! Wo glaubt Ihr, daß wir dem Feind begegnen? wo werden wir uns stellen?«

»Zwischen Eßlingen und Cannstatt, bei Untertürkheim haben die Landsknechte einige Schanzen aufgeworfen, und stehen dort zu dritthalbtausend Mann; wir werden uns noch in dieser Nacht an sie anschließen.«

Der Alte schwieg und sie ritten wieder eine geraume Zeit stille nebeneinander hin. »Höre Georg!« hub er nach einer Weile an; »ich habe schon oft dem Tod Aug in Auge gesehen, und bin alt genug mich nicht vor ihm zu fürchten; es kann jedem etwas Menschliches begegnen – tröste dann mein liebes Kind, Marie.«

»Vater!« rief Georg, und reichte ihm die Hand hinüber, »denket nicht solches! Ihr werdet noch lange und glücklich mit uns leben.«

»Vielleicht«, entgegnete der alte Mann mit fester Stimme, »vielleicht auch nicht. Es wäre töricht von mir, dich aufzufordern, du sollst dich im Gefecht schonen. Du würdest es doch nicht tun. Doch bitte ich, denk an dein junges Weib, und begib dich nicht blindlings und unüberlegt in Gefahr. Versprich mir dies.«

»Gut, hier habt Ihr meine Hand; was ich tun muß, werde ich nicht ablehnen; leichtsinnig will ich mich nicht aussetzen; aber auch Ihr, Vater, könntet dies geloben.«

»Schon gut, laß das jetzt; wenn ich etwa morgen totgeschossen werden sollte, so gilt mein letzter Wille, den ich beim Herzog niedergelegt habe; Lichtenstein geht auf dich über, du wirst damit belehnt werden. Mein Name stirbt hierzuland mit mir, möge der deinige desto länger tönen.«

Der junge Mann war von diesen Reden schmerzlich bewegt; er wollte antworten, als eine bekannte Stimme seinen Namen rief. Es war der Herzog, der nach ihm verlangte. Er drückte Mariens Vater die Hand und ritt dann schnell zu Ulerich von Württemberg.

»Guten Morgen, Sturmfeder!« sprach dieser, indem seine Stirne sich etwas aufheiterte; »ich sag guten Morgen, denn die Hähne krähen dort unten in dem Dorf. Was macht dein Weib? hat sie gejammert als du wegrittst?«

»Sie hat geweint«, antwortete Georg; »aber sie hat nicht mit einem Wort geklagt.«

»Das sieht ihr gleich; bei Sankt Hubertus, Wir haben selten eine mutigere Frau gesehen. Wenn nur die Nacht nicht so finster wäre, daß ich recht in deine Augen sehen könnte, ob du zum Kampf gestimmt bist und Lust hast, mit den Bündlern anzubinden?«

»Sprecht, wohin ich reiten soll; mitten drauf soll es gehen im Galopp. Glauben Euer Durchlaucht, ich habe in meinem kurzen Ehestand so ganz vergessen, was ich von Euch erlernte, daß man in Glück und Unglück den Mut nicht sinken lassen dürfe?«

»Hast recht; impavidum ferient ruinae; Wir haben es auch gar nicht anders von Unserem getreuen Bannerträger erwartet. Heute trägt meine Fahne ein anderer, denn dich habe ich zu etwas Wichtigerem bestimmt. Du nimmst diese hundertundsechzig Reiter, die hier zunächst ziehen, läßt dir von einem den Weg zeigen, und reitest Trab gerade auf Untertürkheim zu. Es ist möglich, daß der Weg nicht ganz frei ist, daß vielleicht die von Eßlingen schon herabgezogen sind, uns den Paß zu versperren; was willst du tun, wenn es sich so verhält?«

»Nun, ich werfe mich in Gottes Namen mit meinen hundertundsechzig Pferden auf sie und hau mich durch, wenn es kein Heer ist. Sind sie zu stark, so decke ich den Weg bis Ihr mit dem Zug heran seid.«