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Das Hauswesen des Herrn von Kraft war eine sogenannte Junggesellenwirtschaft, denn Herrn Dieterichs Eltern waren längst abgeschieden, als er in das Mannesalter und zugleich in seinen Posten beim Großen Rat eintrat. Er hätte sich vielleicht längst um eine Genossin seiner Herrlichkeit umgesehen, wenn nicht die Anmut des Junggesellenlebens, der nicht zu verachtende Vorteil, von allen jungen Damen der Stadt als eine gute Partie (nach heutigen Begriffen) angesehen und honoriert zu werden, vor allem aber, wie man sich ins Ohr flüsterte, die entschiedene Abneigung, die seine alte Amme und Haushälterin vor einer jungen Gebieterin hegte, ihn immer von diesem Schritte abgehalten hätte.

Herr Dieterich hatte ein großes Haus nicht weit vom Münster, einen schönen Garten am Michelsberg, sein Hausgeräte war im besten Stande, die großen eichenen Kasten voll des köstlichsten Linnenzeuges, das die Kraftinnen und ihre Zofen seit vielen Generationen in den langen Winterabenden zusammengesponnen hatten, die eiserne Truhe im Schlafzimmer enthielt eine erkleckliche Anzahl von Goldgülden, Herr Dieterich selbst war ein hübscher, solider Herr, ging immer geschniegelt und gebügelt, mit gesetztem, anständigem Gang in den Rat, hatte einen guten Haus- und Ratverstand, war aus einer alten Familie, war es ein Wunder, wenn die ganze Stadt sein Leben pries und jedes hübsche Ulmer Stadtkind sich glücklich geschätzt hätte, in diesen bequem ausstaffierten Ehehimmel zu kommen?

Georg kamen übrigens diese Verhältnisse bei näherer Besichtigung nichts weniger als lockend vor. Die einzigen Hausgenossen des Ratsschreibers waren, ein alter grauer Diener, zwei große Katzen und die unförmlich dicke Amme. Diese vier Geschöpfe starrten den Gast mit großen, bedenklichen Augen an, die ihm bewiesen, wie ungewohnt ihnen ein solcher Zuwachs der Haushaltung sei. Die Katzen umgingen ihn schnurrend, mit gekrümmtem Rücken, die Amme schob unmutig an der ungeheuren Buckelhaube von Golddraht und fragte, ob sie für zwei Personen das Abendessen zurichten solle? Als sie aber nicht nur ihre Frage bestätigen hörte, sondern auch den Auftrag (man war ungewiß, war es Bitte oder Befehl) bekam, das Eckzimmer im zweiten Stock für den Gast zuzurüsten, da schien ihre Geduld erschöpft; sie ließ einen wütenden Blick auf ihren jungen Gebieter schießen und verließ mit ihrem Schlüsselbund rasselnd das Gemach. Georg hörte noch lange die hohltönenden Treppen unter ihren schweren Tritten erbeben, und die öde Stille des großen Hauses gab in vielfältigem Echo das Gepolter der Türen zurück, welche sie im Grimme hinter sich zuwarf.

Der graue Diener hatte indessen einen Tisch und zwei große Armstühle an den ungeheuren Ofen gerückt; den Tisch besetzte er mit einem schwarzen Kasten, stellte zu beiden Seiten desselben ein Licht und einen silbernen Becher mit Wein und entfernte sich dann, nachdem er einige leise Worte mit seinem Herrn gewechselt hatte. Herr Dieterich lud seinen Gast ein, an seiner gewöhnlichen Abendunterhaltung teilzunehmen. Er öffnete den schwarzen Kasten, es war ein Brettspiel.

Georg graute vor dieser Unterhaltung seines Gastfreundes, als er ihm erzählte, daß er seit seinem zehenten Jahre alle Abende mit der Amme an diesem Spiele sich ergötze. Wie öde, wie unheimlich kam ihm das ganze Haus vor. Das Rennen und Laufen der Amme hatte doch noch an Leben und Bewegung erinnert, jetzt aber lag Grabesstille über den weiten Gängen und Gemächern, nur zuweilen vom Knistern der Lichter, vom Ticken des Holzwurmes im schwärzlichen Getäfer und dem eintönigen Rollen der Würfel unterbrochen. Das Spiel hatte nie etwas Anziehendes für ihn gehabt, seine Gedanken waren auch ferne davon und die tiefe Melancholie der öden Gemächer und der Gedanke, nur wenige Straßen von ihr entfernt, doch den langersehnten Anblick der Geliebten entbehren zu müssen, breitete düstere Schatten über seine Seele. Nur die ungeheuchelte Freude Herrn Dieterichs, beinahe alle Spiele zu gewinnen, die seinem gutmütigen Gesicht etwas Angenehmes verlieh, entschädigte ihn für den Verlust der langsam hinschleichenden Stunden.

Mit dem Schlag der achten Stunde führte Dieterich seinen Gast zum Abendbrot, das die Amme trotz ihres Unmutes, trefflich bereitet hatte, denn sie wollte der Ehre des Kraftischen Hauses nichts vergeben. Hier öffnete auch der Ratsschreiber wieder die Schleusen seiner Beredsamkeit, indem er seinem Gaste das Mahl durch Gespräch zu würzen suchte. Aber umsonst spähete dieser, ob er nicht von seinem schönen Mühmchen reden werde; nur eine Ausbeute bekam er, Kraft zählte unter den württembergischen Rittern, die in Ulm anwesend seien, auch den Ritter von Lichtenstein auf. Doch schon dieses Wort erweckte dankbare Gefühle gegen die Wendung seines Schicksales in ihm. Jetzt erst freute er sich, einer Partei beigetreten zu sein, die ihm sonst außer den berühmten Namen, die sie an der Spitze trug, ziemlich gleichgültig war. So aber hatte auch ihr Vater sich in dem Sammelplatze des Heeres eingefunden, und durfte er auch nicht hoffen, daß ihm das Glück vergönnen werde, an der Seite des teuren Mannes zu fechten, so trug er doch die Gewißheit in der Brust, ihm beweisen zu können, daß Georg von Sturmfeder nicht der letzte Kämpfer im Heere sei.

Der Hausherr führte ihn nach aufgehobener Tafel in sein Schlafgemach und schied von ihm mit einem herzlichen Glückwunsch für seine Ruhe. Georg sah sich das Gemach, das man ihm angewiesen hatte, näher an, und fand, daß es ganz zu dem öden Hause passe. Die runden, vom Alter geblendeten Scheiben der Fenster, das dunkle Täferwerk an Wand und Decke, der große weit vorspringende Ofen, selbst das ungeheure Bette mit breitem Himmel und steifen, schweren Gardinen, sie gewährten ein düsteres, beinahe trauriges Aussehen. Aber dennoch war alles zu seiner Bequemlichkeit eingerichtet. Frische, schneeweiße Linnen blinkten ihm einladend aus dem Bette entgegen, als er die Vorhänge zurückschlug; der Ofen verbreitete eine angenehme Wärme, eine Nachtlampe war an der Decke aufgehängt, und selbst der Schlaftrunk, ein Becher wohlgewürzten warmen Weines, war nicht vergessen. Er zog die Gardinen vor, und ließ die Bilder des vergangenen Tages an seiner Seele vorüberziehen. Geordnet und freundlich kamen sie anfangs vorüber, dann aber verwirrten sie sich, in buntem Gedränge führten sie seine Seele in das Reich der Träume, und nur ein teures Bild ging ihm heller auf, es war das Bild der Geliebten.

V

–Ist's kein Wahn?

Will der Holde, Vielgetreue,

Dem ich Herz und Leben weihe,

Heute noch zu Gruß und Kusse nahn?

F. Haug

Georg wurde am anderen Morgen durch ein bescheidenes Pochen an seiner Türe erweckt. Er schlug die Vorhänge seines Bettes zurück und sah, daß die Sonne schon ziemlich hoch stehe. Es wurde wieder und stärker gepocht, und sein freundlicher Wirt, schon völlig im Putz, trat ein. Nach den ersten Erkundigungen wie sein Gast geschlafen habe, kam Herr Dieterich gleich auf die Ursache seines frühen Besuches. Der Große Rat hatte gestern abend noch beschlossen, die Ankunft der Bundesgenossen auch durch einen Tanz zu feiern, der am heutigen Abend auf dem Rathause abgehalten werden sollte. Ihm, als dem Ratsschreiber, kam es zu, alles anzuordnen, was zu dieser Festlichkeit gehörte, er mußte die Stadtpfeifer bestellen, die ersten Familien feierlich und im Namen des Rates dazu einladen, er mußte vor allem zu seinen lieben Mühmchen eilen, um ihnen dieses seltene Glück zu verkündigen.

Er erzählte dies alles mit wichtiger Miene seinem Gaste und versicherte ihn, daß er vor dem Drang der Geschäfte nicht wisse, wo ihm der Kopf stehe. Doch Georg hatte nur für eines Sinn; er durfte hoffen, Marien zu sehen und zu sprechen, und darum hätte er gerne Herrn Dieterich für seine gute Botschaft an das freudig pochende Herz gedrückt.