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»Du singst eine traurige Weise, Hanns!« unterbrach ihn Georg, den die melancholischen Töne dieses Liedes unheimlich anregten; »es tönt wie Totengesang und Sterblieder, ich kann es nicht ohne Schaudern hören.«

»Wir können alle Tage sterben«, sagte der Spielmann, indem er düster in die Flamme blickte; »drum sing ich gerne ein solches Lied, es ist mir, als könnte ich mit solchen Gedanken würdiger sterben.«

»Wie kommst du auf einmal zu diesen Todesgedanken Hanns? Du warst doch sonst ein fröhlicher Bursche zur Herbstzeit, und deine Zither tönte auf mancher Kirchweih. Da hast du gewiß keine Totenlieder gesungen.«

»Meine Freude ist aus«, erwiderte er und wies auf den Herzog; »all meine Mühe, all meine Sorge war vergebens; es ist aus mit dem Herrn und ich – ich bin sein Schatten; auch mit mir ist's aus; hätte ich nicht Frau und Kind, ich möchte heute nacht noch sterben.«

»Wohl warst du immer sein getreuer Schatten«, sagte der junge Mann gerührt, »und oft habe ich deine Treue bewundert; höre Hanns! wir sehen uns vielleicht lange nicht mehr. Jetzt haben wir Zeit zu schwatzen, erzähle mir was dich so ausschließlich und enge an den Herzog knüpft; wenn es etwas ist, das du erzählen kannst.«

Er schwieg einige Augenblicke und schürte das Feuer zurecht ein unruhiges Feuer blitzte in seinen Augen, und Georg war ungewiß ob es die Flamme oder eine innere Bewegung sei, was seine ausdrucksvollen Züge mit wechselnder Röte übergoß. »Das hat seine eigene Bewandtnis«, sagte er endlich, »und ich spreche nicht gerne davon. Doch Ihr habt recht, Herr, auch mir ist es als werden wir uns lange nicht mehr sehen, so will ich Euch denn erzählen. Habt Ihr nie von dem ›Armen Konrad‹ gehört?«

»O ja«, erwiderte Georg, »das Gerücht davon kam noch weiter als bis zu uns nach Franken; war es nicht ein Aufstand der Bauern? wollte man nicht sogar dem Herzog ans Leben?«

»Ihr habt ganz recht, der Arme Konrad war ein böses Ding. Es mögen nun 7 Jahre sein. Da gab es unter uns Bauern viele Männer, die mit der Herrschaft unzufrieden waren; es waren Fehljahre gewesen, den Reicheren ging das Geld aus, die Armen hatten schon lange keines mehr, und doch sollten wir zahlen ohne Ende, denn der Herzog brauchte gar viel Geld für seinen Hof, wo es alle Tage zuging wie im Paradies.«

»Gaben denn eure Landstände nach, wenn der Herr so viel Geld verlangte?« fragte Georg.

»Sie wagten eben auch nicht immer nein zu sagen, des Herzogs Beutel hatte aber gar ein großes Loch, das wir Bauern mit unserem Schweiß nicht zuleimen konnten. Da gab es nun viele die ließen die Arbeit liegen, weil das Korn das sie pflanzten, nicht zu ihrem Brot wuchs, und der Wein den sie kelterten, nicht für sie in die Fässer floß. Diese, als sie dachten, daß man ihnen nichts mehr nehmen könne als das arme Leben, lebten lustig und in Freuden, nannten sich Grafen zu Nirgendsheim, sprachen viel von ihren Schlössern auf dem Hungerberge und von ihren bedeutenden Besitzungen in der Fehlhalde und am Bettelrain; und diese Gesellschaft war der Arme Konrad.«

Der Pfeifer legte sinnend seine Stirne in die Hand und schwieg.

»Von dir wolltest du ja erzählen, Hanns!« sagte Georg, »von dir und dem Herzog.« –

»Das hätte ich beinahe vergessen«, antwortete dieser. – »Nun«, fuhr er fort, »es kam endlich dahin, daß man Maß und Gewicht geringer machte, und dem Herzog gab, was damit gewonnen wurde. Da ward aus dem Scherz bitterer Ernst. Es mochte mancher nicht ertragen, daß ringsumher volles Maß und Gewicht, und nur bei uns kein Recht sei. Im Remstal trug der Arme Konrad das neue Gewicht hinaus und machte die Wasserprobe.«

»Was ist das«, fragte der junge Mann.

»Ha!« lachte der Bauer, »das ist eine leichte Probe. Man trug den Pfundstein mit Trommeln und Pfeifen an die Rems und sagte: ›Schwimmt's oben, hat der Herzog recht; sinkt's unter, hat der Bauer recht.‹

Der Stein sank unter und jetzt zog der Arme Konrad Waffen an. Im Remstal und im Neckartal bis hinauf gegen Tübingen und hinüber an die Alb standen die Bauern auf und verlangten das alte Recht. Es wurde gelandtagt und gesprochen, aber es half doch nichts. Die Bauern gingen nicht auseinander.«

»Aber du, von dir sprichst du ja gar nicht?«

»Daß ich's kurz sage, ich war einer der Ärgsten«, antwortete Hanns, »ich war kühn und trotzig, mochte nicht gerne arbeiten und wurde wegen Jagdfrevel unmenschlich abgestraft, da trat ich in den Armen Konrad, und bald war ich so arg als der Gaispeter und der Bregenzer. Der Herzog aber, als er sah, daß der Aufruhr gefährlich werden könne, ritt selbst nach Schorndorf. Man hatte uns zur Huldigung zusammenberufen, wir erschienen zu vielen Hunderten – aber bewaffnet. Der Herzog sprach selbst zu uns, aber man hörte ihn nicht an. Da stand der Reichsmarschall auf, erhob seinen goldenen Stab und sprach: ›Wer es mit dem Herzog Ulerich von Württemberg hält, trete auf seine Seite‹; der Gaispeter aber trat auf einen hohen Stein und rief: ›Wer es mit dem Armen Konrad vom Hungerberg hält, trete hieher.‹ Siehe, da stand der Herzog verlassen unter seinen Dienern. Wir andern hielten zu dem Bettler.«

»Oh, schändlicher Aufruhr«, rief Georg vom Gefühl des Unrechts ergriffen, »schändlich vor allen die, welche es so weit kommen ließen! Da war gewiß Ambrosius Volland der Kanzler, an vielem schuld?«

»Ihr könnet recht haben«, erwiderte der Spielmann; »doch höret weiter; der Herzog als er sah, daß seine Sache verloren sei, schwang sich auf sein Roß, wir aber drängten uns um ihn her, doch noch wagte es keiner, den Fürsten anzutasten, denn er sah gar zu gebietend aus seinen großen Augen auf uns herab. ›Was wollt ihr, Lumpen!‹ schrie er und gab seinem Hengst die Sporn, daß er sich hoch aufbäumte und drei Männer niederriß. Da erwachte unser Grimm, sie fielen seinem Roß in die Zügel, sie stachen nach ihm mit Spießen, und ich, ich vergaß mich so, daß ich ihn am Mantel packte und rief: ›Schießt den Schelmen tot.‹«

»Das warst du, Hanns?« rief Georg, und sah ihn mit scheuen Blicken an.

»Das war ich,« sagte dieser langsam und ernst; »aber es ward mir dafür was mir gebührte. Der Herzog entkam uns damals und sammelte ein Heer; wir konnten nicht lange aushalten und ergaben uns auf Gnad und Ungnad. Es wurden zwölf Anführer des Aufruhrs nach Schorndorf geführt und dort gerichtet, ich war auch unter diesen. Aber als ich so im Kerker lag und mein Unrecht und den nahen Tod überdachte, da graute mir vor mir selbst, und ich schämte mich, mit so elenden Gesellen wie die eilf anderen waren, gerichtet zu werden.«

»Und wie wurdest du gerettet?« fragte Georg teilnehmend.

»Wie ich Euch schon in Ulm sagte, durch ein Wunder. Wir zwölf wurden auf den Markt geführt, es sollte uns dort der Kopf abgehauen werden. Der Herzog saß vor dem Rathaus und ließ uns noch einmal vor sich führen. Jene eilfe stürzten nieder, daß ihre Ketten fürchterlich rasselten, und schrieen mit jammernder Stimme um Gnade. Er sah sie lange an und betrachtete dann mich. ›Warum bittest du nicht auch?‹ fragte er. ›Herr‹, antwortete ich, ›ich weiß was ich verdient habe, Gott sei meiner Seele gnädig.‹ Noch einmal sah er auf uns, dann aber winkte er dem Scharfrichter. Sie wurden nach dem Alter gestellt, ich, als der jüngste, war der letzte. Ich weiß wenig mehr von jenen schrecklichen Augenblicken; aber nie vergesse ich den greulichen Ton, wenn die Halsknorpel krachten –«