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»Um Gottes willen hör auf«, bat Georg, »oder übergehe das Gräßliche!«

»Neun Köpfe meiner Gesellen staken auf den Spießen, da rief der Herzog: ›Zehn sollen bluten, zwei frei sein. Bringt Würfel her, und laßt die drei dort würfeln!‹ Man brachte Würfel, der Herzog bot sie mir zuerst; ich aber sagte: ›Ich habe mein Leben verwirkt und würfle nicht mehr darüber!‹ Da sprach der Herzog: ›Nun so würfle ich für dich.‹ Er bot den zwei andern die Würfel hin. Zitternd schüttelten sie in den kalten Händen die Würfel, zitternd zählten sie die Augen; der eine warf neun, der andere vierzehn; da nahm der Herzog die Würfel und schüttelte sie. Er faßte mich scharf ins Auge, ich weiß, daß ich nicht gezittert habe. Er warf – und deckte schnell die Hand darauf. ›Bitte um Gnade‹ , sagte er, ›noch ist es Zeit‹. ›Ich bitte, daß Ihr mir verzeihen möget, was ich Euch Leids getan‹ , antwortete ich, ›um Gnade aber bitt ich nicht, ich habe sie nicht verdient und will sterben.‹ Da deckte er die Hand auf, und siehe er hatte achtzehn geworfen. Es war mir sonderbar zumut, es kam mir vor als habe er gerichtet an Gottes Statt. Ich stürzte auf meine Kniee nieder und gelobte fortan in seinem Dienst zu leben und zu sterben. Der zehnte ward geköpft, wir beide waren frei.« –

Mit immer höher steigender Teilnahme hatte Georg der Erzählung des Pfeifers von Hardt zugehört; aber als er schloß, als sich das sonst so kühn und listig blickende Auge mit Tränen füllte, da konnte er sich nicht enthalten seine Hand zu fassen, sie fest und herzlich zu drücken. »Es ist wahr«, sagte der junge Mann, »du hast Schweres an deinem Landesherrn verschuldet, aber du hast auch schrecklich gebüßt, denn du hast den Tod dennoch erlitten; jenes schnelle Zücken des Schwertes ist nichts mehr gegen das Gefühl, so viele bekannte Menschen hinrichten, und sich den Tod immer näher kommen zu sehen! Und hast du nicht durch ein Leben voll Treue, durch Aufopferung und Wagnis aller Art den Fürsten versöhnt, an den du deine Hand legtest? Wie oft hast du ihm Freiheit, vielleicht das Leben gerettet; wahrlich, deine Schuld ist reichlich abgetragen.«

Der arme Mann hatte, nachdem er seine Erzählung geschlossen, wieder mit düsterem Sinnen ins Feuer geschaut. Er hätte ganz teilnahmslos geschienen, wenn nicht unter den Worten Georgs nach und nach ein trübes Lächeln auf seinen Zügen erschienen wäre. »Meint Ihr«, sagte er, »ich hätte gebüßt und meine Schuld abgetragen? Nein, solche Schulden tilgen sich nicht so bald, und ein geschenktes Leben muß für den aufgesetzt werden, der es uns fristete. Das Umherschleichen in den Bergen, Kundschaft bringen aus Feindes Lager, Höhlen zeigen wo man sich verbergen kann, das ist keine schwere Sache, Herr, und das allein tut's nicht. Ich weiß, ich werde noch einmal für ihn sterben müssen – und dann, Herr, nehmt Euch meines Weibes und meiner Tochter an.«

Eine Träne fiel in seinen Bart, doch als schäme er sich so weich zu sein, verbarg er sein Gesicht in der Hand und fuhr fort: »Doch dazu bin ich noch gut genug; wie jeder Kriegsmann, wie jeder im Volk, darf ich für ihn sterben, o könnte ich durch meinen Tod seine Huldigung abändern, und ihm das Land wieder verschaffen, noch in dieser Stunde wollte ich sterben!«

Der Herzog erwachte; er richtete sich auf, er sah mit verwunderten Blicken um sich her, als sei er durch einen Zauber in diese Erdschlucht versetzt, und sehe jetzt erst diese Felsen und Bäume, das spärliche Feuer und die von den Flammen beschienenen Männer, seine Begleiter; er bedeckte seine Augen mit der Hand, doch er sah wieder auf als prüfe er, ob diese Erscheinungen bleiben; – sie blieben, und schmerzlich sah er bald den einen, bald den andern an. »Ich habe heute ein Land verloren«, sprach er, »es hat mich nicht so geschmerzt als dieses Erwachen, denn ich habe es im Traume wieder und noch viel schöner besessen.«

»Seid nicht ungerecht, Herr«, sagte Marx Stumpf von Schweinsberg, indem er sich aus seiner gebückten Stellung aufrichtete; »seid nicht ungerecht gegen diese Wohltat der Natur. Wie unglücklich wäret Ihr, wenn Ihr auch im Schlummer, der Eure Kräfte für das schwere Unglück stärken soll, Euren Verlust noch fühltet, auch da noch so düster darüber gebrütet hättet. Ihr seid finster und verschlossen eingeschlummert, jetzt sind Eure Züge freundlicher und milder, verdanken wir dies nicht auch Eurem Traum?«

»So hätte ich mögen nie erwachen; oh, daß ich Jahrhunderte fortgeträumt hätte, und dann erwacht wäre; es war so schön, so tröstlich was ich träumte!«

Er stützte die Stirne in die Hand und schien schmerzlich bewegt. Der alte Herr von Lichtenstein war von den Stimmen der Sprechenden erweckt worden; er kannte Ulerich und wußte, daß man ihn nicht über seinen schmerzlichen Verlust brüten lassen dürfe; er rückte ihm daher näher und sprach:

»Nun, und wollt Ihr uns nicht auch sagen, was Ihr geträumt habt? vielleicht liegt auch für uns ein Trost darin, denn wisset, ich glaube an Träume, wenn sie in einer wichtigen, verhängnisvollen Stunde in unsere Seele einziehen, und ich glaube sie kommen von oben, um uns zu trösten.«

Der Herzog schwieg noch eine Weile, er schien über die Worte des Ritters nachzusinnen; dann fing er an zu erzählen: »Mein Schwager, Wilhelm von Bayern, hat mir heute zur Probe seiner Freundschaft die Burg meiner Ahnen niedergebrannt. Dort hausten seit undenklichen Zeiten die Württemberger und das Land, das wir besitzen, trägt von diesem Schloß den Namen. Es scheint als habe er damit uns eine Todesfackel anzünden, und mit diesen Flammen unser Wappen und Gedächtnis, und selbst den Namen Württemberg vertilgen wollen. Und fast könnte er recht haben; denn mein einziges Söhnlein, Christoph, ist in fernen Landen, mein Bruder Georg, hat noch keine Kinder, und ich – – bin geschlagen, verjagt, sie haben wiederum mein Land besetzt, und wo ist Hoffnung, daß ich es wieder einmal erlange?! – – Wie ich nun so ganz verlassen und elend hier am Feuer saß, wie ich nachdachte über mein kurzes Glück, und wie ich vielleicht mein Unglück selbst verschuldet habe; wie ich bedachte auf welch schwachen Stützen meine Hoffnung beruhe, und wie selbst der Name Württemberg auslöschen könne, gleich den letzten Funken in der Asche meiner Stammburg, da übermannte mich der Jammer, und bitterer als je fühlte ich die Schläge meines Schicksals. Unter diesen Gedanken entschlief ich. Doch wie im Wachen meine Seele mit Sehnsucht und Trauer auf den Höhen des Rotenberges, und um die rauchenden Trümmer von Württemberg schwebte, so erging sich mein Geist auch im Traume dort.«

Ulerich hielt inne; es war als fülle ein Bild seine Seele, das zu schön, zu groß sei, um es mit sterblichen Lippen zu beschreiben; ein milder Friede lag auf den Zügen des unglücklichsten Fürsten, und ein wunderbarer Glanz drang aus seinen aufwärts gerichteten Augen. Die Männer umher blickten ihn staunend an; sie hingen an seinen Lippen und lauschten auf seine Rede, die ihnen so Wichtiges zu verkünden schien.

»Höret weiter«, fuhr er fort; »ich sah herab auf das schöne Neckartal. Der Fluß zog wie sonst in schönen blauen Bogen hin, aber das Tal und die Berge schienen mir lieblicher, glänzender, die Wälder auf den Höhen waren verschwunden, die Wiesen waren nicht mehr, sondern von Berg zu Berg zog sich ein großer Garten voll grüner Reben, und im Tal sah man Obstbäume und schöne blühende Gärten ohne Zahl. Ich stand entzückt und schaute und schaute immer wieder hin, denn die Sonne erschien freundlicher, der Himmel blauer und reiner, das Grün der Reben und Bäume glänzender als jetzt. Und als ich mein trunkenes Auge erhob und hinüberschaute über den Neckar, da gewahrte ich auf einem Hügel am Fluß ein freundliches Schloß, das im Glanz der Morgensonne sich spiegelte; es lag so friedlich da, daß sein Anblick meiner Seele wohltat, denn keine Gräben und hohe Mauern, keine Türme und Zinnen, kein Fallgatter, keine Zugbrücke erinnerte an den Zwist der Völker, und an das unsichere, wechselnde Geschick der Sterblichen.