»Ja, ja!« erwiderte Hans von Breitenstein, »seiner Klugheit und Vorsicht hat er es nicht zu danken; doch wer das Glück hat führt die Braut heim; ich bin fünfzig alt geworden, und gehe noch auf Freiersfüßen; Ihr auch, Herr Dieterich von Kraft, nicht wahr?«
»Mitnichten und im Gegenteil«, sagte dieser wie aus einem Traum erwachend; »wenn man ein solches Paar sieht, weiß man was man zu tun hat. In dieser Stunde noch setze ich mich in meine Sänfte, reise nach Ulm und führe meine Base heim; lebt wohl ihr Herren!«
Als der Schwäbische Bund Württemberg wiedererobert hatte, richtete er seine Regierung wieder ein und beherrschte das Land wieder wie im Sommer 1519. Die Anhänger des vertriebenen Herzogs mußten Urfehde schwören und wurden auf ihre Burgen verwiesen. Georg von Sturmfeder und seine Lieben, die dieses Schicksal mit betraf, lebten zurückgezogen auf Lichtenstein, und Marien und ihrem Gatten ging in ihrem stillen häuslichen Glück ein neues Leben auf.
Noch oft wenn sie am Fenster des Schlosses standen, und hinabschauten auf Württembergs schöne Fluren, gedachten sie des unglücklichen Fürsten, der einst hier mit ihnen auf sein Land hinabgeblickt hatte; und dann dachten sie nach über die Verkettung seiner Schicksale, und wie durch eine sonderbare Fügung auch ihr eigenes Geschick mit dem seinigen verbunden war; und wenn sie sich auch gestanden, daß ihr Glück vielleicht nicht so frühe, nicht so schön aufgeblüht wäre ohne diese Verknüpfung, so wurde doch ihre Freude durch den Gedanken getrübt, daß der Stifter ihres Glückes noch immer ferne von seinem Lande, im Elend der Verbannung lebe. Erst viele Jahre nachher gelang es dem Herzog, Württemberg wieder zu erobern. Doch als er geläutert durch Unglück als ein weiser Fürst zurückkehrte, als er die alten Rechte ehrte und die Herzen seiner Bürger für sich gewann, als er jene heiligen Lehren, die er in fernem Lande gehört, die so oft sein Trost in einem langen Unglück geworden waren, seinem Volke predigen ließ, und einen geläuterteren Glauben mit den Grundgesetzen seines Reiches verband, da erkannten Georg und Marie den Finger einer gütigen Gottheit in den Schicksalen Ulerichs von Württemberg, und sie segneten den, der dem Auge des Sterblichen die Zukunft verhüllt, und auch hier wie immer durch Nacht zum Lichte führte.
Der Name der Lichtenstein im Württemberger Land, ging mit dem alten Ritter zu Grabe; doch erlebte er noch in hohem Alter die Freude, seine blühenden Enkel waffenfähig zu sehen. So geht Geschlecht um Geschlecht über die Erde hin; das Neue verdrängt das Alte, und nach dem kurzen Zeitraum von fünfzig oder hundert Jahren sind biedere Männer, treue Herzen vergessen; ihr Gedächtnis übertönt der rauschende Strom der Zeiten, und nur wenige glänzende Namen tauchen auf, aus diesen Fluten des Lethe, und spielen in ihrem ungewissen Schimmer auf den Wellen. Doch wohl dem, dessen Taten jene stille Größe in sich tragen, die den Lohn in sich selbst findet, und ohne Dank bei der Mitwelt, ohne Ansprüche auf die Nachwelt entsteht, ins Leben tritt- verschwindet. So ist auch der Name des Spielmanns von Hardt verklungen, und nur leise Nachklänge von seinem Wirken wehen uns an, wenn die Hirten der Gegend die Ulerichshöhle zeigen und von dem Mann sprechen, der seinen unglücklichen Herzog hier verbarg; so sind selbst jene romantischen Züge aus Ulerichs Leben zur Fabel geworden, der Geschichtschreiber verschmäht sie als unwesentliche Außendinge, und sie erscheinen uns nur, wenn man auf den Höhen von Lichtenstein von dem Herzog erzählt, der allnächtlich vor das Schloß kam, und wenn man uns auf der Brücke von Köngen die Stelle zeigt, wo jener »Unerschrockene« den Sprung auf Leben und Tod in die Tiefe wagte.
Und sie erscheinen uns da, diese Sagen, wie ungewisse Schatten, die eine große Gestalt vom Berge in die Nebel des Tales wirft, und der kältere Beobachter lächelt, wenn man ihnen wirkliches Leben und jene Farben verleihen will, die ihr unsicheres Grau zu einem Bild des Lebens umwandeln. Auch Lichtensteins alte Feste ist längst zerfallen, und auf den Grundmauern der Burg erhebt sich ein freundliches Jägerhaus, fast so luftig und leicht wie jene spanischen Schlösser, die man in unseren Tagen auf die Grundpfeiler des Altertums erbaut. Noch immer breiten sich Württembergs Gefilde so reich und blühend wie damals vor dem entzückten Auge aus, als Marie an des Geliebten Seite hinabsah, und der unglücklichste seiner Herzoge den letzten Scheideblick von Lichtensteins Fenstern auf sein Land warf. Noch prangen jene unterirdischen Gemächer, die den Geächteten aufnahmen, in ihrer alten Pracht und Herrlichkeit, und die murmelnden Wasser, die sich in eine geheimnisvolle Tiefe stürzen, scheinen längst verklungene Sagen noch einmal wiedererzählen zu wollen.
Es ist eine schöne Sitte, daß die Bewohner dieses Landes auch aus entfernteren Gegenden, um die Zeit des Pfingstfestes sich aufmachen, um Lichtenstein und die Höhle zu besuchen. Viele hundert schöne Schwabenkinder und holde Frauen, begleitet von Jünglingen und Männern ziehen herauf in diese Berge; sie steigen nieder in den Schoß der Erde, der an seinen kristallenen Wänden den Schein der Lichter tausendfach wiedergibt, sie füllen die Höhle mit Gesang, und lauschen auf ihr Echo, welches die murmelnden Bäche der Tiefe melodisch begleiten, sie bewundern die Werke der Natur, die sich auch ohne das milde Licht der Sonne, ohne das fröhliche Grün der Felder, so herrlich zeigt. Dann steigen sie herauf zum Lichte, und die Erde will ihnen noch schöner bedünken als zuvor; ihr Weg führt immer aufwärts zu den Höhen von Lichtenstein, und wenn dort die Männer im Kreise schöner Frauen, die Becher in der Hand, auf die weiten Fluren hinabschauen, wie sie bestrahlt von einer milden Sonne im lieblichsten Schmelz der Farben sich ausbreiten, dann preisen sie diese lichten Höhen, dann preisen sie ihr gesegnetes Vaterland.
Dann kehrt, wie in den alten Tagen, Gesang und Jubel, und der fröhliche Klang der Pokale auf den Lichtenstein zurück, und weckt das Echo seiner Felsen, und weckt mit ihm die Geister dieser Burg, daß sie die fröhlichen Gäste umschweben, und mit ihnen hinabschauen auf das alte Württemberg. Ob auch das holde Fräulein vom Lichtenstein, ob Georg und der alte Ritter mit ihnen heraufschwebt, ob jener treue Spielmann in den Tagen des Frühlings seinem Grab entsteigt, und wie er im Leben zu tun pflegte, hinaufzieht nach der Burg, das Fest mit Gesang und Spiel zu schmücken –? Wir wissen es nicht; doch wenn wir im Abendscheine auf den Felsen gelagert, die Landschaft überschauten, wenn wir von den alten guten Zeiten und ihren Sagen sprachen, wenn sich die Sonne allmählich senkte, und nur das Schlößchen noch selig und freundlich in seiner Einsamkeit, von den letzten Strahlen mit einem rötlichen Schein umgossen, auf seinem Felsen ruhte – da glaubten wir im Wehen der Nachtluft, im Rauschen der Bäume, im Säuseln der Blätter bekannte Stimmen zu vernehmen, es war uns, als flüstern sie uns ihre Grüße zu, als erzählen sie uns alte Sagen von ihrem Leben und Treiben. Manches haben wir an solchen Abenden erfahren, manches Bild stieg in uns auf, und schien sich vor unseren Blicken zu verwirklichen, und die es uns woben und malten, die uns ihre romantischen Sagen zuflüsterten, wir glauben es waren – die »Geister von Lichtenstein.«