«Goodbye«, sage ich zu Anne, als sie mich zur Tür bringt.»Goodbye. Auf Wiedersehen«. Sie hat schöne Lippen. Ich spiele die ganze Zeit mit dem Gedanken, sie zu bitten, sich zu schminken, schließlich habe ich dafür bezahlt. Anna, die eher gedrungen und kräftig ist, steht neben mir, und zusammen schauen wir Anne bei dem Versuch zu, sich so auf der Couch zu drapieren, wie wir es vorher besprochen haben, bis ich» Stop «sage und ihr erkläre, dass sie sich nicht mehr bewegen soll.»Stop and don’t move«. Das ist ein Englisch, das auch Anna versteht. Es ist Anne, die für beide das Kommunizieren, das Anbahnen der Kontakte und die Verhandlungen übernimmt. Und während sie auf dem Schlafsofa kauert und sich bemüht, meinen Vorstellungen gerecht zu werden, denke ich noch: Sie sind beide im Grunde Anfängerinnen. Sie machen das wirklich zum ersten Mal. Eine Ansicht, die ich später revidiere, als sie es schaffen, mich zu überreden, den Preis für ihre Dienstleistungen zu verdoppeln. Ich bitte Anne, das Schlafsofa mit den türkisfarbenen Handtüchern wieder in ein Sofa zu verwandeln. Ich gestehe ihnen zu, dass sie sich mit den Handtüchern schützen, aber ich möchte nicht, dass der Ort, wo sich alles abspielt, wie eine Arztpraxis aussieht. Anna steht neben mir, während ich Anne erkläre, was sie tun soll. Stop and don’t move. Innezuhalten und aufzuhören, dafür ist es zu spät. Ich habe mir vorgenommen, dass ich mich selbst nicht ausziehe und auch meine Schuhe anbehalte. Anna versucht, mir das Hemd auszuziehen, aber ich schüttele nur den Kopf. Das ist das Bild, in das ich mit der vollklimatisierten U-Bahn hineinfahre. Annes Körper vor mir auf dem Schlafsofa. Sie schaut mich fragend an, ob ich mit ihrer Körperhaltung einverstanden bin.»Nein. Dreh dich nicht um«, sage ich zu Anne.»Mach weiter so. «Ihre nicht vorhandenen Brüste, mein Eindruck, die Muttermale auf ihrem Oberkörper seien größer als ihre winzigen Brustwarzen. Vielen Dank. Auf Englisch» thank you«. Es ist die Rede gewesen von großen, schweren Brüsten, die man kaum» in der Hand halten kann«.»Wirklich«, frage ich in meiner letzten E-Mail,»sie sind so groß?«»Oh yes«, schreibt sie zurück, und sie sind» very cute«. Das hätte mich stutzig machen sollen. Anna fragt mich, ob sie sich auch ausziehen soll. Sie hat die Brüste, von denen Anne gesprochen hat, und ich erkenne später, dass Anne der Einfachheit halber so tut, als setze sie sich aus zwei Personen zusammen, ein Körper, der wahlweise blond, brünett, rasiert oder unrasiert, mollig oder petite sein kann. Mehr aus Müdigkeit denn aus Leidenschaft akzeptiere ich es und gebe mich damit zufrieden. Ist das am Ende eine unausgesprochene Regel meines Lebens, dass ich den sexuellen Akt schließlich nur noch als Kapitulation wahrnehme? Der Sex beendet die quälende und kraftraubende Suche danach. Der Vormittag, den ich in der Wohnung von Michael und Janette damit verbringe, mich mit Anne darüber zu verständigen, ob das Gewicht ihrer Brüste so groß ist, dass man sie mit den Händen kaum halten kann, endet in einer großen symphonischen Inszenierung, die aber vollkommen geräuschlos bleibt.»They are too strong«, schreibt Anne in wackeligem Englisch.»Was meinst du damit«, schreibe ich zurück. Und dummerweise setze ich hinzu:»Too heavy?«»Oh yes, sure and very cute. «Anna macht einen Schritt zurück, sie möchte wieder in den Chat, in dem sie mit ihrem polnischen Liebhaber zu einer Videokonferenz verabredet ist. Ich mag Anne. Anne, die auf der Couch sitzt oder besser gesagt kauert. Eine Gefangene meiner Phantasie. Sie erzählt mir, der Bruder ihrer Mutter arbeite in einem» Kulturzentrum «in Berlin und sie selbst sei eine begeisterte Leserin von Romanen von John le Carré. Als sie mir die zerlesenen und zerfledderten Bücher zeigt und mit einem koketten Lächeln bemerkt, sie würde mir, nachdem ich ihr gesagt habe, ich hätte in New York gar nichts zu lesen dabei, gerne eins schenken, tut sie mir auf einmal leid. Aber noch mehr tue ich mir selbst leid. Als ich wieder in meiner Wohnung bin und den ausgeschalteten Computer sehe, sage ich mir:»Du magst sie … Aber gefällt sie dir auch?«Stop and don’t move. Ich möchte mich nicht daran erinnern. Das plötzlich zurückkehrende Bild von Anne in der U-Bahn, kurz hinter Jefferson Street. Ihr Körper unnatürlich verdreht, eingeklemmt zwischen Rückbank und Sitzfläche des Schlafsofas. Die Hände an den Oberschenkeln festgekrallt, die Augen glasig und die Fußsohlen auffallend groß, von einer zarten gelben Tönung, als würden ihre Füße heimlich rauchen. Mein Gott, um Himmels willen. Stop and don’t move. Die Kälte in dem abgedunkelten Raum. Die Lebensmittelkartons aus einem Supermarkt, der osteuropäische Nahrungsmittel verkauft. Die Kälte in der Luft, die Kälte in meinen Fingerspitzen, in den Fingern von Annas Hand, die mich versehentlich berührt. Anne schaut mich an, während Anna sie berührt, so wie ich es Anne erklärt habe, die mit gespreizten Beinen und absurd eingeklemmtem Kopf auf der Couch hockt. Anna nickt. Als sei sie eine Haushaltshilfe. Es ist etwas schwierig, ihr zu erklären, dass ich sie am Anfang noch nicht nackt sehen will, obwohl ich mich auf ihre großen Brüste freue. Zu Judith sage ich einmaclass="underline" »Das liegt jetzt hinter mir. Das sind Sachen, die ich während des Studiums gemacht habe. «Anne und Anna schauen mich an, warten auf Anweisungen. Ich lasse sie es noch einmal wiederholen, sie sollen es noch einmal tun.»Once again. «Eine plötzliche Rückkehr der Gefühle. Eine plötzliche Geste der Versöhnung. Ohne es zu wollen, nehme ich das Geschenk an, nehme den John-le-Carré-Roman mit und stelle ihn zu den Büchern von Michael und Janette, direkt neben Ilja Kabakov, in das Regal, in dem jetzt die Bruchstücke des arabischen Tongefäßes in einem Briefumschlag mit fünfzig Dollar liegen.»Noch einmal. «Oder:»Ja, genau so. «Ich wundere mich, dass sie sich das so einfach bieten lassen, dass sie sich dazu hergeben. Und dann meine Verzweiflung am Abend, als ich in meiner Panik, nicht rechtzeitig zu dem vereinbarten Telefonat mit Judith in der Grand Street zu sein, mit dem Taxi nach Williamsburg fahre, nur um wieder von derselben Telefonzelle aus anrufen zu können. Annes Gesicht. Ihre Hände auf den Oberschenkeln, ihre schmalen leicht geröteten Finger. Ihr Blick, als ich auf den glänzenden Film auf ihrem Körper schaue, das geräuschlose Leuchten des Speichels von Anna, der in meiner Erinnerung an diese Aufführung, diese atonale Symphonie dröhnend laut ist. Ein sprühender, eiskalter Tusch. Anna möchte ein Papiertaschentuch holen, aber ich verbiete es ihr. Später sitzt sie über die Tastatur des Computers gebeugt und tippt Nachrichten nach Polen ein. Sie hat einen Freund, eine Art Ehemann, so ganz bekomme ich es nicht heraus. Sie tippt ununterbrochen, als verfasse sie einen Bericht über das, was passiert ist, einen Bericht an eine Zentrale, an jemanden, dem wir darüber Rechenschaft ablegen müssen. Und wie Anne dann plötzlich weint. Ich sehe es, tue aber nichts. Anna bemerkt es gar nicht. Sie ist in einer unwürdigen Haltung in ein» Gespräch «mit Annes Körper vertieft, das ich immer wieder unterbreche, um Änderungen vorzunehmen. Die Tränen laufen in einer langen geraden Linie über ihre Wange und bleiben in ihrem Mundwinkel hängen. Ich sage, und ich bereue es später wieder:»Mach den Mund auf. «Ich sage es auf Englisch, aber es klingt in meiner Erinnerung auf Englisch viel zu sanft.»Mach den Mund auf. «Diese Symphonie, diese großartige, alle Körper miteinbeziehende, alle Möglichkeiten, alle nur denkbaren Interaktionen durchspielende Komposition. Es ist schade, dass wir den Spiegel nicht auch noch benutzen, und ich überlege noch, ob wir nicht unterbrechen sollen, als Anne ihren Mund öffnet, einen Spalt nur, und ihre Träne langsam in ihren Mund hineinläuft. Fünfundfünfzig Dollar allein für das Taxi. Eine Kurzschlusshandlung, nur damit ich rechtzeitig zu Hause bin, mein Kleingeld holen und zu unserer Telefonzelle in die Grand Street gehen kann. Es ist schon kurz nach Mitternacht, als ich Judith schließlich erkläre, ich hätte beschlossen, dass sie kommen muss. Eine Viertelstunde vorher habe ich noch in einem Internetcafé gesessen und ihre E-Mail gelesen, in der sie mir zum zweiten Mal innerhalb von achtundvierzig Stunden absagt.»Also gut«, schreibe ich,»wenn du es unbedingt willst. Wenn du es unbedingt auf einen Machtkampf ankommen lassen willst. «Die Träne läuft über ihre Wange, tastet sich über ihre Oberlippe vor, läuft dann, sich meinen Blicken entziehend, in ihren halbgeöffneten Mund. Ich stehe vor der Telefonzelle, in der warmen Nacht von Williamsburg. Judiths Stimme ist ein kleines, in ein Kästchen verpacktes Geschenk. Ich klammere mich an den Telefonhörer und starre auf den schmuddeligen Metallkasten, in dem ihre Stimme festzustecken scheint, starre auf die Schrift auf dem Telefon,»Coin«,»Collect«,»Local Calls«, und auf den großen geriffelten Drehschalter, auf dem» Coin Release «steht. Meine 25-Cent-Stücke fliegen nur so in den Kasten hinein, fünf Dollar verschwinden innerhalb von Sekunden. Ich bekomme es nicht hin. Ich schreie sie fast an, ich verliere die Nerven. Als ich mich umdrehe, sehe ich eine leere Plastiktüte in den Himmel aufsteigen, mit kreisenden suchenden Bewegungen, immerfort Luft holend, und ich hätte ihr, wenn ich etwas geistesgegenwärtiger gewesen wäre,»Stop. Don’t move!«zurufen können, stattdessen lege ich auf. Wütend und mit meinen Nerven am Ende. Ein Widerschein von Licht, das sich in Flüssigkeit verwandelt und sich in den hellen mageren Körper von Anne einbrennt.