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Als ich am nächsten Morgen hinter dem Haus in Richtung Indian Head laufe, weiß ich noch gar nicht, dass die Zeit, die wir im Palms verbracht haben, schon wieder zu Ende ist. In diesem Moment erscheint es mir noch so, als würde dieser Morgen der Auftakt eines langen Aufenthalts sein. Das morgendliche Licht schneidet eine begrünte felsige Anhöhe aus dem Granitmassiv des Indian Head heraus, und ich nehme mir vor, diese Anhöhe zu erklimmen, und zwar nicht gehend, sondern laufend. Die weite Fläche des halb sandigen, halb mit niedrigem Buschwerk bedeckten Talgrunds liegt noch im Schatten, die Anhöhe selbst dagegen schon in der Sonne. Ich laufe in der Erwartung, eine wunderbare Aussicht zu haben und das Tal, in dem unsere Unterkunft liegt, überblicken zu können und mit einer berauschenden Erfahrung wieder zurückzukehren. Tatsächlich denke ich, als ich schweißgebadet oben stehe, die kühle morgendliche Luft um mich herum, ich müsse von dort Judith zurufen, sie solle auch hochkommen. Das dunstige Licht, das riesige Tal, die kaum hörbaren Motorengeräusche aus der Ferne.»Guck dir das an«, sage ich in Gedanken zu ihr. In unsere Badehandtücher gehüllt und mit den Schuhen in den Händen, gehen wir am Pool des Hotels vorbei zur Lobby. Hätten wir sie vielleicht ansprechen sollen? Sie sind das einzige Paar, das wir auf der ganzen Reise treffen. Man hätte sich miteinander bekannt machen können. Wir verlassen den Whirlpool genau in dem Moment, in dem sie aus dem Wagen steigen, den sie direkt neben unserem auf dem Parkplatz abgestellt haben. Langsam und uns den Anschein träger Unaufmerksamkeit gebend, schlurfen wir auf sie zu. Es ist unglaublich, aber es ist das Paar, das wir am Nachmittag auf dem Weg nach Borrego Springs schon gesehen haben. Sie fahren einen schneeweißen Ford Voyager und sehen wie eine amerikanische Kopie unserer selbst aus, wie Judith später beim Essen in dem Restaurant in Borrego Springs behauptet.»Findest du nicht?«, fragt sie.»Er sieht ein bisschen aus wie du. «Sie haben ihr Gepäck noch im Wagen gelassen. Ihre Blicke sind vorsichtig und zurückhaltend. Sie sind sich nicht sicher, ob das Hotel nicht in Wirklichkeit ein Privathaus ist und wir die Besitzer sind.»Sie dachten, es gehört uns«, sagt Judith.»Ja«, sage ich,»sie haben sich gar nicht getraut hereinzukommen.«»Ist das ein Hotel?«, fragt schließlich der Mann, der ein weißes Polo-Shirt und Bootsschuhe trägt. Ich schlüpfe in meine Turnschuhe. Judith hält ihre Sandalen noch in der Hand. Für einen Augenblick spiele ich mit dem Gedanken zu erklären, sie seien hier in eine geschlossene Gesellschaft geraten und wir würden es bedauern, ihnen kein Zimmer mehr anbieten zu können. Aber mir fällt nicht ein, was geschlossene Gesellschaft auf Englisch heißt, und ich ahne, dass Judith später traurig darüber sein könnte, dass wir dem Paar das Wochenende verdorben haben. Wäre der Abend anders verlaufen, wenn wir sie kennengelernt hätten? Oder ist es schon ein Zeichen von Kraftlosigkeit, dass ich nicht» Nein «sage und verhindere, dass irgendjemand sich dem Hotel auch nur nähert.

Es steht schon jetzt fest, dass in der Nacht nichts passiert ist. Wir sind eingeschlafen und dann wieder aufgewacht. Ich laufe zum Indian Head, erklimme den ihm vorgelagerten Hügel und stehe um 6.45 Uhr hundert Meter oberhalb unseres Hotels und höre das rasenmäherartige Dröhnen eines Autos, das die Borrego Valley Road Richtung Visitor Center fährt. Noch mehr, als das Paar nicht weggeschickt zu haben, bedauere ich später, dass wir uns nicht mit ihnen angefreundet haben. Es ist eine verpasste Gelegenheit, ein Moment, in dem wir als Paar gescheitert sind. Warum freunden wir uns nicht mit ihnen an? Warum flüchten wir aus dem Hotel und gehen in ein billiges mexikanisches Restaurant in Borrego Springs? Bis zum letzten Moment spiele ich mit dem Gedanken, das Essen doch mitzunehmen und im Hotel unter würdigeren Umständen zu verspeisen. Aber Judith erklärt, dass sie unbedingt Alkohol trinken will und dass man die Margaritas nicht mitnehmen kann. Was spricht dagegen, vier Margaritas mitzunehmen, wenn man dafür bezahlt, denke ich in der U-Bahn auf dem Weg zum John-F. -Kennedy-Flughafen. Ich darf auf keinen Fall Broadway Junction verpassen. Immer wieder starre ich auf den Plan. Die A-Linie fährt direkt bis Howard Beach, dort startet der Shuttle-Zug, und dann bin ich im Grunde schon am Flughafen.»Ihr müsst diese Telefonnummer anrufen«, sage ich zu dem Mann, der vielleicht Anwalt oder Steuerberater ist.»Danke«, sagt er, und seine Freundin legt den Arm um ihn. Ihre strohblonden Haare sind zu einem peinlich genau verschnürten Pferdeschwanz zusammengebunden, der wie ein goldener Staubwedel über ihren mageren Nacken hängt. Ich laufe den steinigen Pfad, den Felsbrocken ausweichend, wieder herunter. Auf einem Geröllabschnitt gerate ich ins Rutschen und schlage mir den Ellbogen auf. Zuerst spüre ich nichts und laufe weiter. Als ich wieder ebenen Grund erreiche und der Ellbogen fast auf zarte Weise zu schmerzen beginnt, habe ich plötzlich den Einfall, Judith zu überreden, dass sie mit mir zusammen gleich nochmal zu dem Aussichtspunkt läuft. Möchte ich ihr beweisen, zu welchen sportlichen Leistungen ich fähig bin?» Sie müssen diese Telefonnummer anrufen«, sage ich zu dem Paar.»Es ist ganz einfach. Alle Zimmer kosten das Gleiche.«»Ja«, flötet Judith,»und es ist ganz billig, unglaublich.«»Wirklich?«, strahlt uns das Paar an. Ich laufe zurück. Immerzu laufe ich zurück. Die Luft auf dem Bahnsteig ist so heiß und stickig, dass ich sofort zu schwitzen anfange. Ich muss umsteigen, ich muss den A-Train finden. Schweiß läuft über meine Schläfen und meinen Hals. Ich möchte Judith beweisen, dass meine physischen Kräfte unbegrenzt sind. Vor allem am Morgen, wenn ich normalerweise noch nicht einmal die Kraft habe, Guten Tag zu sagen.»Schau dir das an«, sage ich zu ihr. Ich drehe mich nach dem Indian Head um.»Du musst dir das anschauen. «Sie sitzt auf der dunkelblauen Couch vor dem Panoramafenster, ein Handtuch um ihren Körper gewickelt und liest Herr der Ringe. In der Weite des Ausblicks, in der Stille des Morgens beuge ich mich zu ihr herunter. Die vereinzelten Motoren links und rechts der begrünten Oase schnurren wie Spieluhren.»Du musst da auch hoch«, flüstere ich ihr in Gedanken zu, während ich immer schneller nach unten laufe.