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Zwei Stunden später sitzen wir im Hotel auf der Terrasse. Vor lauter Glück wissen wir gar nicht, was wir zuerst essen sollen. Die Muffins, die Cornflakes oder den Frischkäse, den wir dann auf den Muffins verteilen, weil es sonst nichts anderes gibt. Das Hotel wird noch renoviert, die Unterwasserbar, die direkt unter dem Pool liegt, wird vielleicht nächstes Jahr fertig. In diesem Moment weiß ich noch nicht, wohin sich das alles entwickelt. Ich weiß noch nicht, wo die Reise endet, zu welchem Ergebnis sie kommt. Wir gehen sehr vorsichtig miteinander um, sagen zu allem Bitte und Danke, sind ständig umeinander besorgt. Ich springe in den Pool. Das Wasser ist so kalt, dass man eigentlich nur hineinspringen kann und dann sofort wieder raus muss. Judith steht am Beckenrand mit der kleinen Einwegkamera, die wir unterwegs zusammen mit dem Zehenring gekauft haben. Ich springe zweimal. Einmal, als Judith am Beckenrand steht, und einmal, als Judith in der Unterwasserbar ist. Man schaut von dort direkt in den Pool hinein. Einen solchen Raum hat es, wie uns Dan, der Besitzer des Palms später erzählen wird, schon zu Zeiten der Hollywoodstars gegeben. Er diente als Cocktailbar, und abends konnten die Gäste dort sitzen und durch die Fenster das beleuchtete Wasser und die Schwimmer sehen, während sie selbst an ihren Cocktails nippten. Das Wasser des Pools ist blau, von Sonnenlichtflecken durchzogen, wie ein von Hand geknüpfter großer, seidener Teppich. Judith steht unterhalb der Wasseroberfläche am rechten Fenster der noch nicht fertiggestellten Bar mit dem Rücken zum Betonmischer. Ich springe. Im Grunde springe ich von der Anhöhe direkt in den Pool. Und ich verschiebe meine Liebeserklärung, ich verschiebe sie auf später. So wie ich es dann auch in Baltimore mache. Ich suche nach der richtigen Gelegenheit, nach dem richtigen Augenblick.»Hat es geklappt«, rufe ich ihr zu,»hast du es im Kasten?«Judith kann mich nicht hören, sie ist noch in der Bar. Das Wasser wird durcheinandergewirbelt, das feine, schimmernde, leicht schaukelnde Netz aus ineinandergewebten Lichtblasen zerreißt. Ich bin auf der falschen Seite gesprungen.»Es ist wunderschön hier«, sagt Judith. Wir frühstücken. Ich strecke meine Beine in der Sonne aus. Es ist der zärtlichste Moment des Tages, als Judith meinen Ellbogen mit einer Jodtinktur aus ihrer Reiseapotheke behandelt. Wir gehen nicht zurück zum Indian Head. Mir erscheint die Zeit zu kostbar. Ich verschiebe meine Liebeserklärung, in dem sicheren Gefühl, wir würden später Landschaften und Naturschauspiele sehen, die alles bisherige übertreffen und die den Gedanken an eine große, unerschöpfliche Liebe in sich tragen und eine solche Liebe dann von ganz allein hervortreten lassen. Ich springe vielleicht noch ein drittes Mal, bevor wir auf unser Zimmer gehen.»Ich springe jetzt auf der linken Seite.«»Du meinst das linke Fenster.«»Ja, von dir aus gesehen.«»Also auf der Seite?«Das Wasser ist ganz aufgewühlt und sprudelt um meinen Kopf herum. Woher nimmt sie diese Geduld? Die Geduld, zwei Stunden durch das ausgedehnte Gebiet von Borrego Springs zu fahren, um tatsächlich alle Hotels mit mir anzuschauen, und dabei nicht die Lust zu verlieren. Ich laufe. Judith liest Herr der Ringe. Sind wir glücklich? Kann es noch schöner werden?» Nein, links«, sage ich.»Von mir aus gesehen. «Judith geht wieder hinunter in die Bar, die wie der verlassene Drehort eines James-Bond-Films aussieht, während ich ins Wasser springe, einen feinen roten Blutfaden hinter mir herziehend.»Spring nochmal«, ruft Judith, die schließlich auch von dem Ehrgeiz ergriffen worden ist, ein gutes Foto zu machen. Es ist eine Einwegkamera mit 24 Bildern. Ich bekomme keins von ihnen je zu sehen, weil wir die Kamera später beim Spaziergang in den Kelso Dünen verlieren. Ich springe zweimal, dreimal, mehrmals. Am Ende kann ich es nicht mehr zählen. Alles verschwimmt. Ich laufe den engen steinigen Pfad hinunter, weiche Felsbrocken und dornigen Gebüschen aus. In einer Vision sehe ich auf einmal meine sich von mir entfernenden Klienten, die überstürzt zu entkommen versuchen.»He«, rufe ich.»Ihr verfluchten … «Aber sie sind schon zu weit entfernt.

Wir sind schon am Wagen, als mir einfällt, dass wir vergessen haben, uns vom Hotel zu verabschieden.»Wir haben vergessen, dem Zimmer auf Wiedersehen zu sagen«, sage ich zu Judith, während ich aussteige. Judith dreht sich um. Plötzlich hat sich das ganze Haus mit Leben gefüllt, und Dan, der Hotelbesitzer, ist aufgetaucht und erzählt uns, wie er das Palms vor Jahren zusammen mit seiner Frau Jackie entdeckt hat. Eine verlassene Ruine, die kurz davor stand, abgerissen zu werden. Ich frage Dan, ob wir nicht noch bleiben können. Wir würden auch einen höheren Preis zahlen. Dan ist ganz zerknirscht und erklärt mir, dass sich eine Filmcrew angekündigt hat und Aufnahmen für eine Bademoden-Kollektion machen will.»Kein Problem«, sage ich zu Dan. Die Hotels sind miteinander verbunden, sie gehen ineinander über. Wir übernachten in keinem von ihnen zweimal, wir verbringen nirgendwo mehr als einen Tag. In dem arkadischen Traum endloser Hotelaufenthalte reihen sich die Häuser und Orte aneinander wie Mahnmale, kostbare archäologische Funde, in denen die Nächte im Gestein dieser Orte eingeschlossen sind. Haus für Haus, Hotel für Hotel. Den gesamten nächsten Tag spüre ich noch die Aura und Atmosphäre des Palms. Das Herumirren, das Nicht-Sesshafte. Die Liebe zwischen Judith und mir ist eine nomadische Liebe, denke ich und schreibe in mein Notizbuch: Ist unsere Liebe eine nomadische Bewegung? Direkt daneben schreibe ich: Nomadische Liebe? Für einen Moment, auf dem überfüllten Bahnsteig, als ich auf den A-Train warte, halte ich es auf einmal für möglich, dass meine Erinnerung mich betrügt. Sie suggeriert mir etwas, sie will mich von irgendetwas überzeugen. Was ist auf dieser Reise passiert? Gibt es etwas, das ich übersehen habe? Die Wagentüren stehen weit offen, als Judith, die sich schon die Sonnenbrille aufgesetzt hat, nachdenklich zum Hotel zurückschaut, als würde sie überlegen, ob eine Verabschiedung überhaupt notwendig ist. Das andere Paar ist nicht zu sehen. Judith hat ein Glas selbstgemachten Honig von Jackie, Dans Frau, gekauft, die an diesem Tag in San Diego geblieben ist. Selbstgemachter Honig passt eigentlich nicht zu dem Hotel, aber gerade deswegen ist es etwas Besonderes.»Aber das können wir doch nicht machen«, sage ich und schaue sie wütend an. Jeden Moment rechne ich damit, dass sie lächelt und mir zustimmt, zurückläuft und Dan um den Zimmerschlüssel bittet, um so zu tun, als hätten wir in dem Zimmer noch etwas vergessen. Aber sie schaut mich nur an, gedankenlos und stumm. Ihr bronzefarbenes, in der Mittagshitze metallisch wirkendes Gesicht glänzt.»Wir haben nicht mehr genug Benzin«, sagt sie, nimmt ihre Sonnenbrille ab, und ihr Blick hat jetzt auf einmal etwas Feindliches.

3

Sie hat eine besondere Leidenschaft für Angebote und Schnäppchen. Sie würde am liebsten immer nur Dinge kaufen, die heruntergesetzt sind. Sie schnappt sich etwas und flüchtet mit dem Geld, das sie gespart hat. Sie gibt sich gnädig, wenn sie einen Fang gemacht hat und die reduzierte Ware, die spottbillige Brosche aus Plastik, die kleine papierene Lampe mit Plastikgehäuse oder den türkisfarbenen Pullover mit aufgesticktem Schmetterlingsmuster, nach Hause schleppt. Sie triumphiert. Sie hat dem Warenstrom etwas entrissen, das ansonsten unweigerlich verloren gegangen wäre und das sie mir dann am Abend stolz vorführt. Ich kann sie noch so sehr zu überzeugen versuchen, bei Hotelübernachtungen funktioniert dieses System nicht. Sie würde nie freiwillig einen Umweg machen und nach einem billigeren Hotel suchen. In Primm kapituliere ich schließlich und passe mich ihren Bedürfnissen an. Primm besteht im Grunde nur aus Hotels und einer Tankstelle, ein paar Restaurants und Geschäften. Ich habe gar keine andere Wahl, als pragmatisch zu sein. Dass das Nipton nur wenige Kilometer entfernt ist, erfahren wir erst am nächsten Morgen. Primm ist eine Zwischenstation, im Nachhinein erscheint es mir wie eine Endstation. Ein Raumschiff, das in der Wüste gelandet ist, und wir stehen in der Schlange vor der Rezeption und hoffen, dass noch etwas frei ist. Plötzlich haben wir keine Kraft mehr, plötzlich werde ich pragmatisch. Ich stelle den Wagen auf dem riesigen Parkplatz vor dem Hotel ab. Primm ist ein Parkplatz mit Hotels. Oder: Es ist ein aus mehreren Hotels, Straßen, Restaurants und Tankstellen bestehender Parkplatz. Eine Straße kurz hinter der Staatsgrenze von Kalifornien, die Hotels geboren hat. Eine sechsspurige Bundesautobahn, die sich plötzlich zu einem Gebäude zusammenfaltet und die Fahrzeuge zu Hotelzimmern übereinanderstapelt. Wir landen im 22. Stock. Wir sind furchtbar müde. Obwohl sie mir dankbar dafür ist, dass ich diesmal die Entscheidung ganz unbürokratisch und schnell treffe, hat sie schlechte Laune.»Wir nehmen das Erstbeste«, sage ich, und an der Art, wie Judith reagiert, an dem Ausmaß ihrer Erleichterung sehe ich auf einmal, wie sehr sie unter meinem Perfektionismus leidet. Das Hotel ist ein großer unförmiger Kasten. Sobald man es betritt, weitet es sich zu einer riesigen Themenlandschaft aus. Kleine elektrisch betriebene Boote gleiten durch einen künstlichen Wildbach um die Roulette-, Baccara-, Black-Jack- und Pokertische herum durch eine bunte Landschaft im Western-Style, die mehr oder weniger glanzlos in verschiedenen nebeneinanderliegenden Barbecuerestaurants endet. Immer wieder verfolge ich die Boote, wie sie durch die aufwendig gestaltete Westernlandschaft fahren, aber es sitzt niemand drin. Sofort denkt man, man habe draußen, auf der Straße, inmitten der Natur einen Fehler gemacht und die ganze Sache falsch eingeschätzt. Primm ist der Ort, in dem das Geld, das in der Wüste noch unwirklich erscheint, auf einmal wieder auftaucht, in einer großen glitzernden Maskerade. Die muschelartigen Zweisitzer gleiten durch die wassergefüllten Schächte. Keiner benutzt sie, sie spielen in der Inszenierung von Primm keine Rolle, wenn die Plätze an den Spieltischen und Spielautomaten eingenommen werden und nur ein paar müde gewordene Spieler an der Bar sitzen und eine Getränkepause machen. In den Zimmern, die sich in großen dunklen Türmen in die Nacht erheben, liegen die Schwachen und Ausgeschlossenen, die Geizigen und Ängstlichen. Niemand kommt hier auf die Idee, sein Zimmer als eine Unterkunft zu verstehen. Je weiter man sich von der lichtdurchfluteten Spielhalle entfernt, die anstelle einer Lobby das gesamte Erdgeschoss des Hotels ausfüllt, desto kraftloser und matter wird man. Natürlich bleiben wir nicht auf unserem Zimmer. Wir einigen uns darauf, unser Gepäck nach oben zu bringen, uns umzuziehen und dann wieder ins Erdgeschoss zurückzukehren. Während ich mich rasiere und Judith sich umzieht, überlege ich, wie viel Geld ich dabei habe und ob ich mich betrinken soll.»O.K.«, sage ich mir.»Also gut. «Judith probiert verschiedene Kleider an. Es sind nur zwei, aber sie wechselt sie ständig, sodass es mir am Ende so vorkommt, als hätte sie ein halbes Dutzend dabei.»Was meinst du, ob wir uns betrinken sollen?«, frage ich, das Gesicht noch vom Rasierschaum bedeckt. Sie steht vor dem Kleiderschrank, das erste Kleid in dem riesigen Spiegel betrachtend, der die gesamte hintere Raumhälfte einnimmt. Sie nickt, sie ist noch immer etwas benommen.»Ich möchte erst noch ein bisschen fernsehen«, sagt sie und dreht sich wieder zum Spiegel um.»Wie findest du das?«, fragt sie, sich selbst dabei anerkennend zunickend.»Passt das Blau zu den Schuhen? Oder nicht?«