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Es muss Primm gewesen sein. Und zwar unter Mitwirkung von acht Frauen, die eine Büro-Sex-Szene spielen. Die Frauen sind in einem fiktiven Büro, in dem mehrere Schreibtische stehen und eine Sitzgarnitur sowie eigenartigerweise auch eine Fahrstuhltür, die sich aber während des Ausschnittes, den wir sehen, nicht öffnet, in meiner Erinnerung aber später eine große Rolle spielt. Zwei oder drei Frauen bilden jeweils eine Gruppe, um die sich die Kamera herumbewegt. Es gibt keinen Auftakt, kein Vorspiel, nicht die geringste Einleitung. Die Wüstenbewohnerinnen spielen miteinander, und wir schauen zu. Besonders große Schwierigkeiten habe ich mit ihren rasierten Geschlechtsteilen. Nicht, dass ich so etwas noch nie gesehen hätte, aber ich empfinde es Judith gegenüber als geschmacklos. Im Grunde schaue ich nicht hin, sondern schaue die ganze Zeit zu Judith und schaue zu, wie sie den Film aufnimmt. Ich tue so, als würde mich natürlich der Anblick von Judith sehr viel mehr erregen als der der Frauen im Hotelfernseher, in dem dunkelgebeizten, klobigen Schrank. Sie sind Kraftsportlerinnen. Ihre ausgeschabten Achselhöhlen blitzen im künstlichen Licht auf. Die Wüste hat ihre Körper glatt und geschmeidig gemacht. Ihre Zungen sind behände, reaktionsschnelle Tiere, die aus dem Untergrund kommen. Ihre Schamlippen, zusammengefaltete Hände, die sich in ihren Schoß hineingearbeitet haben. Sie haben ihre Arme verloren. Ihre Finger ziehen ihre Münder auseinander, ihre Hände arbeiten an fremden Körpern. Einmal sehe ich eine Szene, die Judith kommentarlos durchgehen lässt, wie eine Frau einer anderen mit ihrer kleinen fleischigen Zunge so abenteuerlich schnell über die kalten, trockenen Schamlippen leckt, dass man denkt, ihre Zunge sei verrückt geworden, habe sich selbständig gemacht, und es sei ihr nicht mehr möglich, sie noch länger in ihrem Mund, zwischen ihren Lippen festzuhalten.»Tja«, sage ich und lache. Ich traue mich nicht, etwas zu sagen. Ich fürchte, ich könnte die latent erotische Stimmung gefährden, die mir aber gleichzeitig nicht ganz geheuer ist. Plötzlich bin ich hellwach. Erregt mich der Anblick der nackten Frauen, obwohl ich gar nicht hinschaue? Ich kann nicht sagen, dass mich der Anblick von Judith in diesem Moment erregt. Die Wüstenbewohnerinnen stecken sich gegenseitig die Hände, die Finger und die Zungen in den Mund. Im Grunde probieren sie alle Körperöffnungen und alle Extremitäten in ihren verschiedenen Kombinationen miteinander aus. Das ist gehobene Büroarbeit. In einer Szene fährt eine hagere, sonnengebräunte, wasserstoffblonde Wüstenfrau mit ihren zweifach beringten Zehen über die Klitoris einer auf der Couch liegenden anderen Frau, die die Beine mit beiden Händen so auseinanderspreizt, dass sie wie ein großer, ins Leere führender Brückenkopf über einer sich ihrer Scham nähernden dritten langhaarigen Frau schwebt. Das Kunstwerk, zu dem ich den Kommentar» na ja «oder» tja «wage, scheint Judith aber nicht weiter zu interessieren. Sie gibt keine Anzeichen von Anteilnahme oder Erregung von sich, obwohl ich mich zu erinnern glaube, dass sie im Widerschein dieser hellen, grell leuchtenden Bilder die Augen leicht zusammenkneift. Aber wo ist der Übergang? Wo ist der Moment, in dem Judith mich oder ich sie berühre?

«Sie können jetzt mit Worten nichts mehr bewegen«, sage ich einmal zu Lambert.»Aber vielleicht sprechen wir mal über das, was in diesem Augenblick mit Ihnen passiert. Um was es da geht und was sich auf der Gefühlsebene abspielt. «Einer von uns beiden muss irgendwann die Bettdecke hochgezogen haben, sie liegt später nicht mehr auf dem Boden, und auch die Vorhänge sind zugezogen. Aber ich weiß nicht, wer von uns beiden das gewesen sein soll. Judith zieht die Vorhänge nie zu. Sie schläft am liebsten bei offenem Fenster. Lambert erzählt mir immer wieder dieselbe Geschichte in verschiedenen Varianten, wie ein professioneller Lügner, der sich an wenigen wahren Details festklammert und um sie herum sein Lügengebäude errichtet. Eine der Geschichten dreht sich um seinen Vater, wie er auf dem Parkplatz des örtlichen Tennisclubs vor seinem Wagen steht und zwischen den Plastiktüten im Kofferraum nach einer Packung Lübecker Marzipan sucht, die er seiner ehemaligen Landtagsreferentin schenken will. Den Tennisschläger unter dem Arm wartet sie neben dem Wagen, obwohl er doch mit seinem Sohn zum Tennisspielen verabredet ist. Lambert hat das schon mehrmals erzählt. Er erzählt, wie er sich vor Entsetzen und Abscheu abwenden und den Parkplatz verlassen und die Tennisstunde sogar ausfallen lassen muss, da er den Anblick seines Vaters nicht ertragen kann. Es geht immer wieder um die Plastiktüten, die den Niedergang versinnbildlichen und den Kofferraum, in dem sich das ganze Leben seines Vaters jetzt abspielt, seit er nicht mehr auf den Fahrdienst des Landtags zurückgreifen kann. Es ist nicht die Landtagsreferentin, mit der sein Vater eine Affäre gehabt hat, oder das Marzipan, das er ihr zum Geschenk machen will. Es sind die Plastiktüten, das Chaos der halbvollen, leeren und gebrauchten Tüten, die er in den Kofferraum gestopft hat. In den Abwandlungen und Verschiebungen erkennt man, wie Lambert sein Verhältnis zu seinem Vater in den Griff zu bekommen versucht. Sein Vater weiß noch nicht einmal, was sein Sohn überhaupt studiert. Einmal stellt er ihn als Jurastudenten vor, und dann wieder sagt er:»Er wird später mal Arzt, aber dann bin ich ja hoffentlich schon tot. «Lambert empfindet es als Demütigung, dass sein Vater gescheitert ist, will das aber auf keinen Fall zugeben.»Sie sind es doch, der mich anlügt«, schreit er.»Sie sind es doch, der mich betrügt. Sie tun immer so, als wären Sie für mich da. Aber jetzt interessiert es Sie nicht mehr. Es ist Ihnen doch scheißegal. «Es ist alles leere Rhetorik, aber man spürt den Leidensdruck, die Verzweiflung, die dahintersteckt. Ich biete ihm schließlich an, dass er nach draußen in den Innenhof gehen und ein bisschen frische Luft schnappen kann. Es ist ein Kompromiss. Vom Innenhof aus gibt es mehrere Ausgänge, und ich erkläre ihm, wie er am schnellsten durch das Gewirr der Gänge und Treppenhäuser nach draußen kommt. Schauen wir den Film bis zum Ende? Steht Judith nicht irgendwann auf und verlässt das Schlafzimmer? In langsamen tastenden Schritten zum Badezimmer herüber, wo sie die Tür hinter sich schließt? Ich liege im Bett und schaue den Film, den ich genauso wenig ausschalten, wie ich mich von ihm abwenden kann, allein weiter.»Ja, schreien Sie mich ruhig an«, sage ich zu Lambert.»Schreien Sie ruhig. Sie können hier machen, was Sie wollen. Hier ist alles erlaubt … Es ändert nur nichts daran, dass ich in fünf Minuten diesen Raum verlasse und dass die Stunde dann zu Ende ist.«