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Das Licht, die Geräusche, alles ist unverändert. Wir haben nichts gewonnen, aber auch nichts verloren. Es ist noch zu früh, um ein neues Quartier zu suchen. Aber beim Spaziergang in den Kelso Dünen muss ich die ganze Zeit daran denken, dass das Zimmer im Hotel Nipton später vielleicht weg ist.»Findest du es denn nicht schön?«, frage ich, als wir am Ende einer kleinen Nebenstraße das Hotel entdecken, in das ich mich sofort verliebe. Ich würde die Nacht dort gerne verbringen, aber Judith möchte weiterfahren. Nipton liegt direkt neben Primm. Es ist eine Ansammlung von Wohnwagen und Holzhütten, nur ein paar Meter neben der Eisenbahnlinie. Eine Landschaft aus Staub, in der das Hotel das einzige richtige Gebäude ist. Es ist ein Ort, an dem man Buße tut, während man gleichzeitig die Beschränkung und die Ereignislosigkeit genießt.»Doch, es gefällt mir«, sagt sie, während wir schon weitergefahren sind.»Du kannst ja später nochmal anrufen. «Als würde es eine Telefonzelle geben, als stünden die hier überall herum. Es ist wie eine Grundierung, ein Hintergrundrauschen, die eigentümliche, matte Stimmung, in die wir hineingeraten sind. Der Sand der Kelso Dünen rutscht unter unseren Füßen wie heiße Lava nach unten. Unsere Fußstapfen hinterlassen keine Spuren, unsere Füße sinken ein, die Sandkörner gruppieren sich um, verteilen sich, weichen jedem Widerstand aus. Judith ist erschöpft. Der Anstieg kostet viel Kraft. Immer wieder greift sie nach ihrem Inhalator, saugt etwas von diesem künstlichen, chemischen Odem in sich hinein.»Umarme sie doch«, denke ich noch, als wir den höchsten Punkt erreicht haben, aber ich bin zu erschöpft. Wir laufen über ein langes, flaches Stück zur Straße zurück, wo unser Auto steht. Die blaue Karosserie des Camaro flimmert in der Hitze, und der Wagen scheint, während wir miteinander sprechen, immer kleiner zu werden und sich immer mehr zu entfernen. Es ist offensichtlich, dass Judith den Zeitpunkt genau abgewartet hat. Hinter uns sind die Dünen, und vor uns ist die Straße. Wir sind allein, niemand kann uns zuhören. Es ist typisch für ihre Beharrlichkeit, dass sie selten von einem einmal gefassten Vorsatz abweicht. Bei einem Sturz mit dem Fahrrad hätte sie sich einmal beinahe ihr linkes Bein gebrochen, aber sie fährt schon am nächsten Tag weiter. Ich sehe noch immer die Schwellung an ihrem Unterschenkel, eine tannenzapfengroße Beule, die über Monate nicht mehr zurückgeht und eigentlich nie ganz verschwindet.»Ich dachte, dass wir schon die ganze Zeit darüber sprechen sollten«, sagt sie. Sie bekommt kaum Luft, aber sie weicht von ihrem Vorhaben nicht ab. Ich sage nichts. Die Dünen sind ein ungünstiger Ort. Es ist ein Ort, den sie sich ausgesucht hat, während ich mich lieber im Hotel unterhalten würde.»Aber ich liebe dich genauso wie du mich«, sage ich zu ihr, kurz bevor wir den Wagen erreichen, erschöpft von der Wanderung.»Manchmal denke ich, du wärst wütend auf mich«, sagt sie über die Metalliclackierung des Autodachs hinweg, und ich sage:»Aber wie kommst du denn darauf?«Wir versichern uns gegenseitig, dass alles in Ordnung und unsere Beziehung auf keinen Fall am Ende ist. Wir sprechen über unsere Beziehung, aber das Einzige, was mir von diesem Tag wirklich in Erinnerung bleibt, ist das Hotel-Problem. Ich rede so lange auf sie ein, bis sie nachgibt. Ich schlage vor, wir könnten es immerhin versuchen, schließlich liegt das Nipton auf dem Weg zum Highway.»Du kannst mich besuchen«, sagt sie, als ich frage, wie lange sie eigentlich noch in Washington bleiben will.»Wir können uns regelmäßig sehen. Ich will nur nicht das Gefühl haben, dass du wütend auf mich bist. «Regelmäßig. Im Nachhinein klingt diese Formulierung eigenartig, sie hat eine beinahe schwindelerregende Wirkung auf mich. Ich will unbedingt nach Nipton, unbedingt in das kleine an der Eisenbahnlinie gelegene Hotel. Noch am Abend, als wir uns eigentlich schon dagegen entschieden haben, fange ich wieder damit an. Wir haben noch nichts gegessen, und es ist schon dunkel. Eine halbe Stunde diskutieren wir, dann fahren wir trotzdem hin. Es kommt mir so vor, als würden wir uns noch immer durch die Dunkelheit der Morning Star Mine Road tasten, die in Wirklichkeit längst eine ganz andere Straße ist und Nipton Road heißt.»Wir sind auf der falschen Straße«, sagt Judith, als wir zum dritten Mal anhalten und auf die Karte schauen. Auch sie will jetzt nur noch ankommen.»Wir müssen zurück. «Wir wenden, mitten in der Nacht, mitten in der Wüste. Unsere Scheinwerfer reißen die Dunkelheit auseinander und huschen dann wie auf der Flucht über die grauschwarzen Sträucher und Steine. Es ist nur wenige Momente später, ein paar Kilometer auf dem vermeintlichen Weg zum Hotel, als wir das Tier überfahren. Es ist ein starker, heftiger Stoß. Erst fahre ich weiter, aber dann sehe ich es, in Judiths Gesicht. Oder ich sehe es nicht, ich höre es, in ihrem Atem, in der Weise, wie sie kaum noch Luft kriegt. Wir müssen zu der Stelle zurück. Wir müssen sehen, was wir angerichtet haben.»Es tut mir leid«, sage ich. Zwei Stunden später, als wir San Diego fast erreicht haben und ich kaum noch die Augen aufhalten kann.

6

Ich stehe eine Handbreit von der offenstehenden Beifahrertür entfernt. Die Innenbeleuchtung des Wagens erhellt den harten, krustigen Asphalt. Ein zusätzliches Licht von einer kleinen Lampe am unteren Türrand fällt auf den staubigen Sandstreifen neben der Straße. Wir schauen uns um. Das Tier müsste eigentlich auf der anderen Seite liegen, aber es könnte auch sein, dass es sich ins Gebüsch geschleppt hat. Nur wenige Schritte von unserem Wagen entfernt tragen die Büsche schwarze Hauben, weichen sie in den Erdboden zurück. Ich überlege, ob man die Scheinwerfer des Wagens so ausrichten kann, dass das Fernlicht uns bei der Suche behilflich ist. Wir haben den Motor ausgeschaltet. Als sei das schon eine Entschuldigung. Judith sitzt auf dem Beifahrersitz, den rechten Fuß auf der Straße, bewegt sich nicht von der Stelle. Ich gehe ein paar Meter. Der Boden neigt sich und fällt dann leicht ab. Er ist so weich, dass ich einsinke, statt hinzufallen. Ich sehe zuerst gar nichts, dann erkenne ich die Umrisse der lose im Boden verankerten Büsche. Einige von ihnen rollen vor mir her, und ich laufe zwischen ihnen hindurch. Die Stille ist sofort, ohne Übergang, von großer Schönheit und Erhabenheit, und ich denke: Das Tier findet sich hier zurecht. Allein in der Flucht, in der Bewegung kehrt es in seinen gesunden und unversehrten Körper wieder zurück. Es gibt nur Sand, Sträucher und einzelne große Steine, denen man leicht ausweichen kann. Die Stille ist überwältigend. Sie ist der Applaus für das, was ich getan habe. Ich bin sicher, dass wir das Tier nicht finden. Trotzdem gehe ich weiter. Es ist die Stille und das Gefühl, immer weitergehen zu können, ohne dass das irgendwelche Auswirkungen hat. Es gibt keine Richtung, keinen Weg, keinen Horizont. Ein paar Meter gehe ich aus dem Impuls heraus, einfach zu Fuß zum Hotel zurückzukehren. Wir wissen nicht einmal, was für ein Tier es gewesen ist. Ein besonders tieffliegender Vogel, ein Hund, der sich verirrt hat? Ich hocke mich hin, in einer Geste der Demut, und halte die Hände über den Boden.